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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)


Um fremde Schuld.

Roman von W. Heimburg.
     (5. Fortsetzung.)

Ganz Westenberg staunte den neuen Haushalt der jungen Frau Wollmeyer an; wo ich mich blicken ließ, bekam ich von dem fabelhaften Glück zu hören, das Mama betroffen, selbst Tante Komtesse söhnte sich aus mit den Manieren des Mannes und fand, daß Len’ ihn schon höfisch zugestutzt habe, und schließlich war ich mit meiner Meinung, meiner Kälte unter all den anderen Menschen wie ein weißer Rabe, und Mamas bekümmerte Blicke erzählten, wie schwer sie dies empfinde.

Ja, war sie denn wirklich glücklich? Einerseits gab mir die Möglichkeit, daß sie es sei, eine wahrhafte Beruhigung, anderseits empörte mich der Gedanke, daß sie fähig sein könnte, neben diesem Mann zufrieden zu leben, bis ins innerste Herz, und zuweilen, wenn sie abends, jetzt allerdings selten genug, zu mir herunterkam, um wie sonst ein paar Augenblicke an meinem Bette zu sitzen, dann ertappte ich mich dabei, daß ich sie wortlos anstarrte, um dieses Rätsel zu erforschen. Einmal schien es mir, als habe sie geweint, aber ich hatte nicht den Mut, sie zu fragen. Sie klagte nie – worüber auch? Sie besaß ja alles, was das Herz einer Frau nur zu wünschen vermag, aber es that mir weh, sie so zufrieden zu sehen.

„Er ist sehr gut!“ sagte sie einmal, als ich sie über ihrem Ausgabenbuch fand – Rechnen war immer ihre schwache Seite gewesen –, sich bemühend, einen Fehler, den sie gemacht hatte, herauszufinden. „Er hat so viel Geduld mit mir.“

In diesem Augenblick schaute er zur Thür herein und lachte, als er sie so beschäftigt sah. „Ja, ja!“ rief er, „man ist jetzt die Frau eines Kaufmanns geworden, da muß anders Buch geführt werden als früher.“

„Ich will Dir’s abnehmen, Mama,“ sagte ich ruhig, und seit dem Tage half ich ihr bei der Buchführung; sie kam dann herunter zu mir, und wenn wir nicht rechneten, schwatzten wir zusammen wie in alten Zeiten, oder ich war bei ihr oben in ihrem Toilettenzimmer, während sie sich in irgend ein Seiden- oder Sammetkleid warf, denn sie machten eben mittags und nachmittags ihre ersten Besuche, und Mama mußte dem Rang einer Frau Wollmeyer entsprechend angezogen sein. Später kamen die Gegenvisiten, bei denen meine Anwesenheit gewünscht wurde, und als das vorüber war, nahm der Hausherr sein altes Leben wieder auf, das heißt, er ging hier und da zu einer Stadtverordnetenversammlung, und alle Tage zweimal zum Stammschoppen, Sonntags in die Kirche und Mittwochabend mit Mama zum Whistkränzchen, das sie mit der Komtesse und dem Postdirektor von Blessow, dem Superintendenten und deren Frauen hielten.

Ich lebte indessen wie eine verwunschene Prinzessin im Märchen mit meiner alten Base und dachte darüber nach, wie ich mich erlösen könnte, denn daß ein anderer Mensch mich hier herausführen werde, das schien mir unmöglich. Ich wollte auch meine Freiheit nur mir selbst verdanken und arbeitete nun tüchtig, um mich in Musik und Sprache zu vervollkommnen. Hier brauchte man mich ja nicht – Mama war ja glücklich!

Allmählich war man tiefer in den November hineingekommen, und in unserem Hause wurden Vorbereitungen getroffen zu dem Empfang von Gästen, des Herrn von Brankwitz und seiner Schwester. Die alten Füße der Base waren treppauf treppab gelaufen den ganzen Tag, und ihr Gesicht sah anders aus als sonst – zwei hochrote Flecken brannten ihr auf den hageren Wangen. Mama hatte nach Tisch über Kopfschmerzen geklagt und war nicht fähig, Herrn Wollmeyer zum Bahnhof zu begleiten, um den Besuch zu empfangen. Ich saß in meiner Stube und bemühte mich, einen französischen Brief zu schreiben an irgend eine fingierte Persönlichkeit, als Mama eintrat und mich mahnte, Toilette zu machen. Dann strich sie mir über die Wange und schob mir ein Päckchen in die Hand.

„Du möchtest Dich heute abend damit schmücken, läßt er Dir sagen.“

Der „Er“ war Herr Wollmeyer, mir gegenüber nannte sie ihn immer so. Ich öffnete das Päckchen; ein kleines ganz mit winzigen Diamanten besätes goldenes Medaillon in Herzform blitzte mir entgegen.

„Aber weshalb denn, Mama?“ entfuhr es mir.

„Er meint es so gut, er möchte Dir gern eine Freude machen,“ antwortete sie. „Nicht wahr, Du wirst es tragen?“ Ihre Blicke hingen förmlich angstvoll an mir.

„Wenn Du es durchaus wünschest, Mama.“

„Bitte!“ sagte sie leise.

In diesem Augenblick kam die Base herein, noch rot von der Arbeit am Küchenherd. Mama trat rasch zu ihr und hielt ihr die Hand hin. „Base, er hat’s nicht so gemeint,“ flüsterte sie.

Ich sah verwundert von der einen zur andern.

„Freilich, freilich!“ murmelte die alte Frau und drückte Mama die Hand. „Er hat ja auch recht – wenn man alt wird, werden auch unsere Leistungen mangelhafter, und das hat Gott so eingesetzt, daß wir langsam welken und absterben – da kann Wollmeyer nichts daran ändern, geht ihm dereinst ebenso.“

„Nicht so bitter sein, Base.“

„Bin nicht bitter, gar nicht, wenn ich hätt’ bitter werden wollen, so –“

Mama wandte sich langsam zu mir. „Mach’s gut heute abend,“ forderte sie, „und sei freundlich!“ Dann ging sie, müde, um Jahre älter aussehend denn sonst, trotz ihres eleganten, fast zu jugendlichen Anzuges.

„ Was hat’s gegeben, Base?“ fragte ich besorgt, als sich die Thür hinter ihr schloß.

„Weiter gar nichts, wirklich gar nichts,“ sagte sie in ihrer alten freundlichen Art. „’s sind ’mal Tage, wo es bös Wetter giebt. Machen Sie es wieder gut, schauen Sie auf heute abend, wie Sie früher immer aussahen, so als ob die liebe Sonne in das Stübchen guckte, dann wird’s besser!“

Mamas Aussehen hatte mich unglücklicher gemacht, als ich mich seit langer Zeit gefühlt. Sie hatte recht, sie konnte verlangen, daß ich freundlicher war. Ich begann unter dem Einfluß dieses guten Vorsatzes mich hastig anzukleiden und als ich eben fertig war, da rasselte der Wagen über das Pflaster des Hofes und ich ging hinaus – um Mamas willen die Gäste zu begrüßen. Friedrich riß die Thür auf und den Wagenschlag, und ich trat auf die Schwelle.

Eine lispelnde hohe Frauenstimme scholl aus dem Wagen. „Ach, sogar weißgekleidete Jungfrauen zu meinem Empfang? Onkel Wollmeyer, Du hast einzige Einfälle!“

Herr Wollmeyer, der beim Umsehen mich erblickte, lachte, indem er der großen Frauengestalt beim Aussteigen behilflich war. „Ja freilich, ’s ist die Anneliese, unser wildes Trotzköpfchen. Kommen Sie her, Anneliese, so – gebt Euch einen Kuß – so, so!^

In dem weiten seidenen Mantel, der sich jetzt auseinander breitete, versank ich fast, ich fühlte mich plötzlich umarmt und atmete ein süßliches, mit Patschuli vermischtes Parfüm ein, das mich fast betäubte.

„Ach, solch winziges Püppchen,“ sagte dieselbe hohe Stimme, „wie ein Figürchen von Meißener Porzellan, süß, einfach süß!“

„So laß sie doch endlich los, Olga!“ rief eine dritte Person, „willst Du sie erdrücken? Schön guten Abeud, mein gnädiges Fräulein, freut mich, Sie so wohl zu sehen, waren damals auf der Hochzeit etwas – hm –“

Der junge Brankwitz hatte mir beide Hände hergestreckt, und in diesem Augenblick überkam mich wieder die ganze verzweifelte Stimmung des unseligen Hochzeitstages; ich fühlte, wie mir alles Blut zum Herzen drang, fühlte, daß ich aschfahl aussehen mußte, und legte nur flüchtig für eine Sekunde einen einzigen Finger in seine Hand, dann wandte ich mich kurz ab. Zum Glück trat eben die Komtesse in die Thür in ihrem beliebten abendlichen Straßenanzug, mit hoch aufgeschürztem Rock, an den Füßen mächtige Holzpantoffeln wie sie in Westenberg der grundlosen Wege halber den Gummischuhen vorgezogen wurden, einen altmodischen weiten Tuchmantel um, eine Kapuze längst verflossener Mode auf dem Kopfe, eine riesige Laterne in der einen Hand und in der andern einen ebenso riesigen Regenschirm.

Mit einem Jubelschrei flog ich dieser grotesken und doch so lieben Erscheinung entgegen.

„’n Abend!“ rief sie, und ohne sich um die Fremde zu

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 690. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_690.jpg&oldid=- (Version vom 22.8.2022)