Seite:Die Gartenlaube (1894) 692.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Bim! Bim! Bim! trommelte ich die drei Schlußaccorde, klappte den Deckel des Flügels zu, stand auf und ging aus der Thür.

Ich hatte völlig vergessen, daß ich mir gelobt, um Mamas willen artig zu sein, aber schließlich, das konnte sie doch nicht verlangen, daß ich solchen Blödsinn mir anhörte! Es war ja nahezu eine Liebeserklärung, wenigstens die beste Einleitung dazu – aber so wenig geschmackvoll wie möglich. Der schönste Platz im ganzen Hause war doch noch immer meine einsame Stube drunten, die verständigste Gesellschaft die meines alten guten Schutzengels, dessen besondere Eigenschaft ich freilich an jenem Abend noch nicht kannte.

„Gottlob!“ sagte ich, als ich vor der alten Frau stand, die beim Scheine der einfachen Petroleumlampe in ihrem Stübchen am Tisch saß und in allerhand Sachen kramte. „Das ist nicht zum Aushalten da droben, Base! Mama sieht aus, als wollte sie jeden Augenblick in Thränen ausbrechen; er ist wie eine Gewitterwolke, und die Frau Sellmann, geborene von Brankwitz, müßte polizeilich verboten werden, ihres Parfüms wegen. Der Herr Bruder hat den ‚Kleinen Kurmacher in der Westentasche‘ oder ‚die Kunst, sich bei den Damen beliebt zu machen‘ auswendig gelernt und will die Wirkung an mir erproben. Die Tante Komtesse endlich sitzt dabei und weiß nicht, was sie zu all dem sagen soll.“

„Sie hätten aushalten müssen, Annelieseken, ’s giebt sonst nur bös Blut. Gehen Sie wieder hinauf, denken Sie an das, was sie der Mama versprochen haben!“

Aber eigensinnig blieb ich, holte mir einen Stuhl, setzte mich neben die alte Frau und beschwor dadurch ein Unwetter herauf, das zwar schon lange grollend am Himmel gestanden, sich aber nun urplötzlich und vernichtend über mein bißchen Frieden und Glück ergoß.

Die Base batte nämlich in ihrer Kommode gekramt, und auf dem Tische lagen Bücher und zusammengebundene Briefpäckchen. Ein altes blauweißes Schülermützchen, arg von Wind und Wetter mitgenommen, hatte sie über ihre linke Hand gezogen und strich mit der Rechten wie liebkosend darüber hin, just in dem Augenblick, als die Thür der Vorderstube krachend zugeschmettert wurde und der Hausherr eiligen harten Schrittes in unsere Idylle polterte. Er mochte gerade noch gehört haben, daß ich mich erkundigte, ob diese Mütze einst Robert Nordmann gehört habe.

Die Base saß stumm, erschreckt da.

„Also hier?“ fragte er. „Ich muß bitten, daß Sie sich wieder hinaufbemühen zur Gesellschaft. Sie sind kein Kind mehr, Sie sind die erwachsene Tochter meines Hauses, und ich kann verlangen, daß man gegen dieses Haus Rücksichten nimmt. Ich muß mich wundern, Anneliese, daß Sie den alten Weiberklatsch hier einer gebildeten Unterhaltung vorziehen! Dem Unwesen des allzuvertraulichen Verkehrs mit der Base werde ich überhaupt ein Ende machen. Sie hetzt Frau und Kind gegen mich auf, wie sie ehedem meine verstorbene Frau und den Neffen gegen mich aufgewiegelt hat. Das muß aufhören! Du packdt morgen Deine Siebensachen,“ wandte er sich an die alte Frau, die aufgesprungen war und in stummem Entsetzen die Hände ineinander schlang. „Kannst nach Langenwalde gehen und auf der Mühle wohnen, wie’s schon lange geplant ist für Deine alten Tage. Hier sollst Du jedenfalls nicht mehr Unheil anstiften!“

Damit verschnaufte er sich, putzte den Kneifer und sah uns beide eine Weile niederschmetternd an; dann wandte er sich, um zu gehen.

„Wollmeyer, was kommt Ihnen denn an?“ fragte mit zitternder Stimme die alte Base. „Wann habe ich jemals gegen Sie geredet? Ich habe geschwiegen, immer geschwiegen, das wissen Sie besser als jeder andere.“

„Ich brauche Dein Schweigen nicht!“ herrschte er, wieder zurückkommend, „verstehst Du?“

„Nun also,“ unterbrach ihn die Base, „wie kann ich denn da hetzen? Meintag hat man mir das nicht zur Last gelegt. Aber ich kann gehen, morgen kann ich gehen, will ich gehen. Sie haben ganz recht, Wollmeyer, ’s ist besser.“ Sie wischte sich mit dem Rücken der Hand über die Stirn und begann mit zitterudeu Fingern ihre paar armseligen Erinnerungen zusammenzupacken.

„Sagen Sie ’mal, Anneliese, hab’ ich Sie je aufgehetzt?“ fragte sie, in der Meinung, daß er das Zimmer verlassen habe.

„Wahrhaftig nicht!“ stieß ich hervor, kaum noch fähig, mich zu beherrschen. „Ich lasse mich überhaupt von niemand aufhetzen, ich thue, was ich für richtig halte.“ Und ich ballte die Hände und sah dem Mann mit funkelndem Haß in die Augen, der, im Gefühl seiner Ueberlegenheit die Achseln zuckend, zu mir herüberblickte.

„In fünf Minuten erwarte ich Sie oben; Brankwitz will vierhändig mit Ihnen spielen.“

Ich antwortete nicht.

Da rief die Base den Mann abermals von der Thür zurück.

„Wegen dem Brankwitz sind Sie böse, Wollmeyer? Ja, lieber Gott. und wenn ich jetzt vor den Geschworenen stände dort im Gerichtssaal, ich könnte doch nur wiederholen, was ich heute morgen zur Mutter von Anneliese gesagt, daß er nichts weiter ist als unserem Herrgott sein Tagedieb; daß er ebenso fleißig dabei ist, sein Geld zu verjubeln, wie sein Vater dabei war, es zusammenzuscharren, und daß seine Schwester kein Umgang ist für die gnädige Frau, von Anneliese ganz zu schweigen. Das sag’ ich nun noch einmal vor Anneliese, weil ich ja doch fort muß und weil ich gern möcht’, daß sie weiß, wie ich über den Besuch droben denke. Nun, und morgen werde ich zur rechten Zeit reisen, Wollmeyer, verlassen Sie sich darauf!“

Und sie ergriff meinen Arm. „Gehen Sie hübsch hinauf, Anneliese, Mama wartet. Brauchen keine Angst zu haben, gehen Sie – ich hab’ noch ein Wort mit ihm zu sprechen.“ Sie schob mich an dem Mann meiner Mutter vorüber, schloß die Thür hinter mir und blieb mit ihm allein.

Zitternd vor Aufregung lehnte ich mich an einen der Schränke, die im Nebenzimmer standen. Drinnen mußte ja gleich ein furchtbares Wetter ausbrechen! Mit Todesangst wartete ich, um der alten Frau zu Hilfe zu kommen, doch es blieb alles still, die Base sprach nur im gewöhnlichen Tonfall und gar nicht viel. Da raffte ich mich auf und ging nach oben. Dort saß ich neben Brankwitz und spielte rein mechanisch mit ihm, während verwirred, beängstigend die Ahnung einer rätselhaften dunklen Zukunft auf mich eindrang. Was mochte das alles bedeuten? Was sollte dieses geflissentliche Wiederholen des ungünstigen Urteils der Base über den Brankwitz vor meinen Ohren? Was hatte es heute früh gegeben zwischen Herrn Wollmeyer, der Base und meiner Mutter?

Wollmeyer kam herauf, klopfte mir auf die Schulter, sprach von mir als einer „kleinen Ausreißerin“, empfahl mir Frau Sellmann zum Vorbild, legte dieser die Zähmung des in Freiheit dressierten Töchterleins ans Herz und händigte der entzückten Komtesse ein gewichtiges Päckchen ein für ihre Weihnachtsbescherung. Wenn ein Fremder in dies behagliche Zimmer hätte schauen können, in dem elegante Frauen und Männer bei Mokka und türkischen Cigaretten plaudernd beisammen saßen und zarte bläuliche Wölkchen unter den roten Falten der zeltartigen Decke sich kräuselten, wer Mama gesehen hätte in dem Sessel, zu dessen Füßen ich mich auf ein Bänkchen niedergelassen hatte, wer die Worte des Hausherrn gehört hätte, der sie „liebste Helene“ und „Schätzchen“ anredete, der hätte gedacht: wie beneidenswert, wie glücklich sind alle diese Menschen!

Als ich abends hinunterkam, fand ich die Base zwischen Kisten und Schachteln eifrig ihre Sachen einpackend; das alte runzelvolle Gesicht sah eigentümlich verfallen aus. „Gute liebe Base!“ sagte ich mit feuchten Augen.

„Ich war fünfundzwanzig Jahre bei ihm in Leid und Freud’,“ antwortete sie, „und Leid ist’s zumeist gewesen. ’s kommt mir hart an. Aber er hat recht, freilich hat er recht.“

„Base, was soll ich anfangen ohne Sie?“ stotterte ich, denn ich schluckte an den aufsteigenden Thränen.

„Annelieseken, das müssen Sie nicht fragen,“ lehnte sie bescheiden und gerührt ab. „Sie haben die Mama, und Sie sind eine feine Dame, und ich bin so eine alte einfältige Person. Aber ’s freut mich doch, und ich habe Ihnen lieb, Annelieseken, sehr lieb, und wenn Sie ’mal auf der Gotteswelt nicht wissen wohin, dann kommen Sie zu mich; ’s ist gar nicht so weit. Und wenn Sie’s nicht übel nehmen wollen, hätt’ ich die Bitte, leben Sie ihm mehr zu Gefallen wie bisher, wegen der Mama; ’s ist ja ’mal nicht anders. Bloß wenn er – bloß mit dem Brankwitz, da bleiben

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 692. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_692.jpg&oldid=- (Version vom 23.8.2022)