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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

gelangt man schon hinter die Süßigkeit dieser „kühlen Blonden“. – Das Werdersche Bier, schlechtweg „die Werdersche“ genannt, hat sich vor Jahren der besonderen Gunst des Berliners erfreut; man schrieb ihm nährende Eigenschaften zu und kredenzte es mit Vorliebe den nützlichen Spreewald-Ammen. Ein großer Teil der hauptstädtischen Bevölkerung verdankt ihm also mittelbar Kraft und Wohlbeleibtheit. War es der Werderschen seiner Zeit gelungen, dem Weißbier ganz erheblichen Abbruch zu thun, so mußte sie später ihrerseits einem überlegenen Gegner, dem Bayerischen, weichen; und jetzt sieht man sie in Berlin nur noch hin und wieder in Kellerfenstern angekündigt, neben Käse, Hülsenfrüchten, Bückingen und anderen Viktualien. Leider scheint sie keineswegs erbittert über diesen Niedergang ihres Ansehens, sondern ist im Gegenteil noch süßer und fader im Geschmack als früher geworden; ihre Brauer legen offenbar mehr Wert auf Erzielung einer tiefschwarzen Farbe als auf gaumenreizende Süffigkeit. Hierdurch tragen sie ihr gut Teil dazu bei, den Werderanern ihren jahrhundertelang aufrecht erhaltenen Ruf strengster Nüchternheit auch ferner zu bewahren.

Berühmter als Werderscher Apfelwein und Werdersches Bier, unentbehrlich für den Berliner Markt ist das Werdersche Obst. Der Wohlstand der „Insel“ beruht ausschließlich auf ihrer Obstkultur, und es ist deshalb ganz selbstverständlich, daß dieser Erwerbszweig hier als der vornehmste gilt und man ihm mit größter Liebe, peinlichster Sorgfalt obliegt. Denn die Fischerei z. B., der trotz Werders günstiger Lage kaum einige dreißig Familien unter 6000 Einwohnern nachgehen, wirft nur kärglichen Gewinn ab. Jeder Werderaner, vom kleinsten Ziegeleiarbeiter und Anbauer bis zum Tienen-Kapitalisten, ist Gärtner; nahezu alle Arbeitskraft der Familie wird auf dies eine Gebiet beschränkt. Man muß wissen, daß Werder im Jahre 1893 über 700000 „Tienen“, d. h. 5 Millionen Liter Obst im Werte von fast einer Million Mark, nach Berlin gesandt hat, und wird sich dann eine Vorstellung davon machen können, welch gründlicher Betrieb hier auf räumlich ungemein begrenzter, anscheinend unfruchtbarer Scholle entfaltet wird. Wenn man daneben bedenkt, welch aufopfernde Pflege der Obstbau erheischt, wenn anders er lohnend sein soll, wie sorgsam der Boden bearbeitet, das junge Grün behütet werden muß, wie oft Schädlinge ganze Ernten vernichten, wie viel von der Gunst des Wetters abhängt und wie andererseits gerade die Wettergunst einen Segen bringen kann, der bei unseren wirtschaftlichen Zuständen zum Fluch ausschlägt, indem er das allzu reichlich geratene Obst entwertet – dann wundert man sich wohl nicht darüber, daß die Werderaner zwar meist in auskömmlichen Verhältnissen leben und schuldenfreie Häuschen ihr eigen nennen, daß sie es aber zu Bankdepots nur selten bringen. Eingeschaltet sei gleich hier, daß der, wenigstens in früheren Tagen, schlechte Ruf der Werderaner bei allen Marktbesuchern sich zwanglos aus ihrer damaligen Armut und ihrer angespannten Thätigkeit erklärt, die ihnen nicht Zeit ließ, sich um Fremde liebenswürdig zu bemühen, und die ihnen die Mittel verweigerte, sie gastlich aufzunehmen. Wenn deshalb Martin Zeiler im 16. Jahrhundert schrieb, daß sie „gar unfreundliche Leut“ seien, „dem Gaste das Wasser von gesottenen Eiern um Gotteswillen geben“ und daß der, „dem sie eine reine Streu zum Nachtlager machen, sich für einen großen Herrn achten solle“, so muß man immer der Gründe denken, die solche Selbstsucht hervorgerufen. Und von den heutigen Werderanern darf man gewiß nicht mehr behaupten, was ein anderer Reiseschriftsteller jener Tage über ihre Ahnen sagte: „Sie hassen alles Fremde, thun fast treuherzig, sind aber habgierig und unbarmherzig, von außen gleißnerisch, von innen reißende Wölfe. Immer nur auf Geld und Erwerb bedacht, halten sie nicht viel von Künsten und Wissenschaften.“

Auf der Fahrt nach Berlin.

Ihre Kunst und ihre Wissenschaft bestand darin, sich den Markt der nahen Hauptstadt erst zu erobern, dann zu sichern. Frühzeitig schon, gegen die Mitte des vorigen Jahrhunderts, fingen sie an, edlere, feinere Fruchtsorten als die landläufigen zu kultivieren und dadurch die Feinschmecker aufmerksam zu machen. Der königliche Hof bezog lange Jahre hindurch sein Tafelobst aus Werder, und Berlin zahlt für Werdersche Produkte noch heute gern Vorzugspreise. Den alten Ruf unerschüttert zu bewahren, wenden die Werderaner alles auf, ihre Pflanzungen fortzuentwickeln, so daß die von ihnen auf den Markt gebrachten Früchte wirklich den Ehrennamen „Wunder Pomonens“ verdienen. Beobachten wir die fleißigen Leute an einem Wochentage, der im allgemeinen wenig Besucher auf die Insel bringt, bei ihrem Werke, das hart und mühsam genug ist, das zur Sommerszeit schon um zwei Uhr morgens zu beginnen pflegt und an dem die Jüngsten wie die Aeltesten mit gleichem Eifer teilzunehmen pflegen! Freie Luft und Arbeit halten gesund; neben den vier- und fünfjährigen Kleinen, die man schon zum Ausjäten des Unkrautes verwendet, machen sich auch zahlreiche Greise und Greisinnen nützlich, denen man ihre siebzig, selbst achtzig Jahre kaum ansieht.

Die Gärten bedecken ein Gebiet von über 2000 Morgen und ziehen sich von Norden nach Süden längs der Havel hin. Da der Boden unter seiner schneeigen Sandschicht fett und schwarz ist, treibt er allerlei üppiges Unkraut, Geziefer wird vom Duft und von der leckeren Süßigkeit der Blüten in unglaublichen Mengen herbeigelockt, der nötige Dung für die Bäume ist nur unter großen Schwierigkeiten, oft von weither, zu beschaffen, und so ergiebt sich, rechnet man noch die Arbeit des Pfropfens und Okulierens hinzu, für die Morgenstunden genug Gelegenheit zu rastlosem Schaffen. Die höchste Thätigkeit freilich entwickelt sich, wenn die Blüte vorbei ist und die Frucht gedeihlich heranreift. Werder exportiert neben

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 698. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_698.jpg&oldid=- (Version vom 19.9.2023)