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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Zeit Ludwigs XV. Meiner Eltern kann ich mich fast gar nicht erinnern, da ich als ganz kleines Kind nach Tours geschickt wurde, wo damals ein Bruder meiner Mutter wohnte. Anfangs zu Hause unter der Aufsicht meines Oheims unterrichtet, wurde ich später in das Collège académique der Jesuiten zu Tours gebracht, in welchem die Kinder der Edelleute, überhaupt der wohlhabenden Stände, erzogen wurden. Soviel ich mich erinnere, war es gegen das Ende des Jahres 1792, als ich mich nach Paris begab, um meine Eltern und meinen jüngeren Bruder wiederzusehen, welche bis dahin in Versailles gelebt hatten. In Paris floß das Blut schon in Strömen. Es war zu der schrecklichen Zeit, wo niemand seines Lebens bis zum nächsten Tage sicher war. Es sind seit dieser Zeit mehr als hundert Jahre vergangen; ich habe vieles gesehen und erlebt; ich habe in Aegypten die Pest mitgemacht; ich habe die Schrecknisse des Krieges in Spanien ausgestanden, ich war Augenzeuge und Teilnehmer des Dramas, welches in der Geschichte unter dem Namen des ‚Rückzuges der großen Armee‘ bekannt ist – das ist aber alles nichts im Vergleich zu den blutigen Tagen der Schreckenszeit.

Der erste Kummer, welcher mich in Paris traf, war die Nachricht vom Tode meines Vaters, der, wie man glaubt, am 10. August umkam.“ – Beiläufig bemerkt, der 10. August 1792 war der Tag des zweiten Volkssturms auf die Tuilerien, infolgedessen die königliche Familie in die Nationalversammlung flüchtete, welch’ letztere bekanntlich die Königsgewalt suspendierte und Ludwig XVI. mit seiner Familie als Gefangene in den Temple abführen ließ.

Aber lassen wir dem Greise wiederum das Wort! „Wo meine Mutter geblieben, ist mir unbekannt. Ich fand eine Zuflucht bei den Freunden meines Vaters und blieb bis zum Jahre 1794 in der Hauptstadt. Am 21. Januar 1793, dem Tage der Hinrichtung Ludwigs XVI., wollte ich, zusammen mit einigen Freunden, zum letztenmal den unglücklichen König sehen. Gemäß einer Verordnung der Municipalität wurde aber niemand, mit Ausnahme des Militärs, auf die Straße gelassen. Da ich weder zur Nationalgarde gehörte, noch Bekannte im Sicherheitskomitee besaß, auch nicht ständiger Bewohner von Paris war, so wurde meine Lage mit jedem Tage gefährlicher. Der einzige Ausweg wäre der Eintritt in die Armee gewesen. Um diese Zeit erhielt ich einen Brief von meinem Bruder, der in Rouen lebte und mich zu sich einlud. Ich verließ Paris im Jahre 1794 und lebte in Rouen bis 1798. Da erfuhr ich, daß General Bonaparte in Havre für eine Expedition gegen England Freiwillige annehme. Ich entschloß mich ohne Zögern, in die Reihen der Armee einzutreten, und begab mich nach Havre. Da ich als Kavallerist zu dienen wünschte, wurde ich dem 2. Husarenregimente zugeteilt, mit welchem ich in der Folge die Hauptfeldzüge des Konsulats und Kaiserreichs mitmachte. Wir Freiwilligen wurden nach Toulon befördert, wo sich das Regiment bereits befand. In Toulon stand auch unser Geschwader. Der Zweck der Expedition wurde vorläufig noch geheim gehalten, und erst nach der Einnahme von Malta erfuhren wir, daß Aegypten unser Ziel sei. Nach drei Wochen waren wir unter den Mauern Alexandrias, welches wir mit stürmender Hand nahmen. Auf dem Marsche nach Kairo hatten wir zum erstenmal Gelegenheit, mit den Mamelucken zusammenzutreffen, welche unser Carré angriffen, aber nach kurzem Kampfe von uns vernichtet wurden. Unsere Kavallerie litt übrigens recht stark durch die fortwährenden Ueberfälle der Mamelucken, von denen namentlich die Nachzügler und die Kranken unbarmherzig niedergemetzelt wurden. In der Schlacht bei den Pyramiden stand ich in der Eskorte des Hauptkommandierenden (Bonapartes). Hier befand sich, bei der Einnahme des ägyptischen Lagers, unter der Menge der Trophäen auch der prächtige Säbel Murad Beys, welchen Napoleon seit dieser Zeit als Ehrenwaffe mit sich zu führen pflegte, bis zu seiner Erhebung zum Kaiser der Franzosen.“

Zur Geschichte dieses merkwürdigen Säbels kann ich aus meinen eigenen Reiseerlebnissen einen kleinen Beitrag liefern. Napoleon schenkte ihn dem bekannten General und späteren Generalpostdirektor Grafen Lavalette. Aus dessen Familie kam er in den Besitz des Barons Larrey, eines Sohnes von dem noch später zu erwähnenden Generalarzte Napoleons I.; Baron Larrey, der Sohn, war gleichfalls Generalarzt in der französischen Armee, Leibarzt Napoleons III. und ärztlicher Leiter des großen Pariser Militärhospitals Val de Grâce. Ein hoher Achtziger, lebt der Baron noch heute in Paris; er ist Besitzer einer äußerst wertvollen Sammlung von Erinnerungen aus der Zeit des ersten Kaiserreichs, die der alte Herr mit liebenswürdiger Zuvorkommenheit seinen Besuchern zeigt. In dem Salon des alten Barons sah ich auch jenen berühmten Säbel Murad Beys.

„Von den Generälen,“ erzählt der alte Savin weiter, „welche an diesem Zuge teilnahmen, erinnere ich mich sehr genau Berthiers (des späteren Fürsten von Neuchâtel, Herzogs von Wagram, Generalstabchefs des Kaisers) und Lannes’ (des Herzogs von Montebello, der bei Aspern tödlich verwundet wurde), unter dessen Kommando ich im Jahre 1808 in Spanien diente. 1801 kehrten wir nach Frankreich zurück. Ungeachtet der glänzenden Siege, welche wir über die ägyptische Armee davongetragen hatten, war ja der Ausgang der Expedition nicht glücklich. Wir sahen das alle ein, vom General bis zum gemeinen Manne, und kehrten daher in einer nicht übermäßig freudigen Stimmung in die Heimat zurück. Hier aber erwartete uns ein Triumph. In Lyon bereitete der erste Konsul der ägyptischen Armee einen so glänzenden Empfang, daß wir in den Augen ganz Frankreichs als Helden dastanden. Bei dieser Gelegenheit zeigte Napoleon so recht jene Eigenschaften eines Heerführers, durch die er sich die Herzen der Soldaten zu gewinnen wußte. Zwanzig Jahre lang gingen diese mit dem Rufe „Vive l’Empereur“ in den sichern Tod, nur um einen zufriedenen Blick von dem Kaiser, ihrem „Petit Caporal“, wie er scherzweise genannt wurde, zu ernten.

Im Jahre 1805 war ich bei Austerlitz, im folgenden Jahre machte ich die Schlacht bei Jena mit, welche das damalige Schicksal Preußens entschied. Auf dem Marsche nach Berlin gehörte ich wiederum zu der Eskorte, welche den Kaiser begleitete. In Potsdam, bei dem Besuche des Grabes von Friedrich dem Großen, sprach der Kaiser, wie man damals sagte, folgende Worte, nachdem er den Degen des Königs genommen und seinen eigenen an dessen Stelle gelegt hatte: „Ich nehme den Degen Friedrichs und lasse Preußen den meinen; der eine ist so viel wert wie der andere.“ Ich weiß nicht, inwieweit dieses wahr ist; persönlich habe ich die Worte nicht gehört, aber in der Armee war diese Aeußerung in aller Munde.

Im Jahre 1808 befand sich das 2. Husarenregiment unter der Zahl derjenigen Regimenter, welche unter dem Kommando Lannes’ in Spanien kämpften. Unter allen Kriegen des Kaiserreichs war der spanische durch besondere Härte und Grausamkeit ausgezeichnet. Von der Geistlichkeit angestachelt, erhob sich das ganze Volk. Einem solchen Widerstande begegneten wir später nur noch einmal – in Rußland, auf dem Rückzuge von Moskau. Die Belagerung von Saragossa, bei dessen Einnahme ich verwundet wurde, ist mir besonders im Gedächtnisse geblieben. Der Heldenmut der Spanier erreichte hier seinen höchsten Grad; an der Verteidigung beteiligte sich die gesamte Bevölkerung, vor allem die Frauen. Jede Straße, jedes Haus war eine fast unüberwindliche Festung, welche nur mit ungeheurem Verluste erstürmt werden konnte. Für die Teilnahme an diesem Kampfe wurde ich mit dem Orden der Ehrenlegion belohnt.

Bald stieß mir ein Unglück zu, welches sich gleichfalls meinem Gedächtnisse tief eingeprägt hat. Dies ist meine Gefangenschaft in einem spanischen Inquisitionskerker. Mit zehn anderen Gefährten wurde ich damals in eine ziemlich große Kasematte gesperrt, welche wahrscheinlich noch zu jener Zeit als Folterkammer diente und in der wir einige Eisengeräte vorfanden, die wir zur Bewerkstelligung unserer Flucht benutzten. Es gelang uns, eine Höhlung in die Wand unseres Gefängnisses zu machen, durch die wir, unter dem Schutze der Nacht, entflohen. Ungefähr vier Wochen lang irrten wir in den Bergen umher, wo wir uns fast ausschließlich von Salat und Apfelsinen nährten, bis wir endlich wieder unser Regiment erreichten. Von jenen elf Genossen sahen aber nur drei die Heimat wieder; die übrigen waren dem Hunger und den Strapazen erlegen.“

Hier kommt eine Lücke in dem Berichte, die aber Herr Woensky in liebenswürdiger Weise in dem seine Mitteilungen begleitenden Briefe ergänzt hat. Savins Regiment gehörte zu jenen, welche im Jahre 1809 Spanien verließen, um in dem Feldzuge gegen Oesterreich verwendet zu werden. So kämpfte Savin auch auf den Schlachtfeldern von Aspern und Wagram, um dann im Jahre 1812 gegen Rußland geschickt zu werden. Hier setzt der Bericht des Alten wieder ein:

„Im russischen Feldzuge von 1812 gehörte unser Regiment zum dritten Corps der Großen Armee und stand unter dem Kommando des Marschalls Ney. Mit ihm machte ich den ganzen Feldzug mit vom Niemen bis zur Moskwa und wieder zurück bis zur Beresina. In der Schlacht bei Krasnoi, wo mir mehrere Pferde unter dem Leibe

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 715. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_715.jpg&oldid=- (Version vom 19.9.2023)