Seite:Die Gartenlaube (1894) 726.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)


Um fremde Schuld.

Roman von W. Heimburg.
     (7. Fortsetzung.)

Wollmeyers drohende Zumutung, mich für Brankwitz zu entscheiden, hatte mir die Zunge gelähmt. Ich griff mir an die Kehle – es war, als ob mich jemand erdrosseln wollte – und schwieg weiter.

„Also, bis übermorgen mittag erwarte ich Ihre Antwort,“ wiederholte er dringend.

„Mit welchem Interesse – – ich wollte sagen, was kann Ihnen daran liegen, ob ich Brankwitz heirate oder ob ich mich auf irgend eine andere Weise versorge, da ja doch die Versorgung ein Hauptgrund zu dieser Heirat sein soll, wie Sie selbst betonen.“

„Ich ein besonderes In – – Interesse?“ fragte er betroffen, „wie kommen Sie darauf? Lediglich Ihr Wohlergehen, Ihre gesicherte Zukunft – Ihre Mutter – –“

„Nun, ich dachte, es müsse Ihnen ganz besonders daran liegen, mich auf die genannte Art versorgt zu sehen. Um so besser, wenn es nicht der Fall ist; dann wird es Ihnen ja auch nicht schwer werden, wenn Sie Herrn von Brankwitz in meinem Namen danken und sagen, es bleibe bei der Abrede. Ich werde mir schon ganz allein durchs Leben helfen, und zwar so gut, daß Mamas Sorgen bald aufhören sollen und die Ihrigen dazu, Herr Wollmeyer.“

Er faßte plötzlich mein Handgelenk. „Haben Sie eine andere Neigung?“ fragte er hastig.

Ich fühlte, wie ich purpurrot wurde. „Ich habe noch nie an so etwas gedacht,“ stotterte ich. Aber vor meiner Seele stieg ein Bild auf, ein Phantasiebild, das Bild eines großen schönen Mannes mit treuherzig und fest blickenden Augen, und stolz und hoch, wie ein Mädchenkopf sich wohl heimlich den Einen ausmalt, und wär’s ein noch so vernünftiger Mädchenkopf; ein Bild, das so verzweifelt wenig Aehnlichkeit hatte mit dem verlebten Brankwitz, dessen Auge blöde durch das Monocle schaute und desseb Haarwuchs so sehr spärlich war.

„Eine so grundlose Ablehnung lasse ich nicht gelten,“ sagte er, gänzlich aus seiner bisherigen Liebenswürdigkeit heraustretend, „die Zeiten sind nicht danach. Ich habe als Ihr Vormund das Recht, Ihre Zukunft sicher zu stellen, und solche Aussichten wie jetzt bieten sich nicht zum zweitenmal. Ich sage Ihnen hiermit, daß diese Verlobung wünschenswert ist und mehr als das, daß sie notwendig ist. Ich lasse Ihnen Zeit bis übermorgen, zu trotzen – bis übermorgen mittag, verstanden? Dann bitte ich mir ein Ja aus, ein ganz kurzes sachgemäßes Ja! Ich habe durchaus keine Lust, mich auf lange und kindische Erörterungen einzulassen. Gute Nacht!“

Als die Thür hinter ihm ins Schloß gefallen war, blieb ich sitzen, als sei ich gelähmt. Irgend etwas Unheimliches spürte ich, eine Macht, die stärker war als ich, und eine zitternde Verzweiflung überkam mich. Herr von Brankwitz hatte den Rat seiner Schwester pünktlich befolgt, die Wirkung war da. Was sollte ich thun? Konnte man mich denn zwingen? Aber nein, ich würde noch vor dem Altar schreien: „Ich will nicht, ich will nicht!“ Wie unheimlich das alles war! O wäre doch wenigstens die Base hier!

Es schlug elf Uhr, da raschelte es leise an meiner Thür und nun kam Mama. Ich saß noch immer mit angstverzerrtem Gesicht da – im Grunde meines Herzens war ich ebenso scheu, ebenso weich wie andere junge Mädchen. „Ach Mama, Mama!“ stammelte ich.

Sie sah sehr blaß aus und müde, als sie vor mir saß. „Du bist noch so fleißig?“ fragte sie. „Warum sagtest Du uns denn gar nicht Gute Nacht?“

Weißt Du denn nichts? wollte ich rufen. Die übersprudelnden Worte, die sich mir auf die Lippen drängten, erstarrten aber, denn sie schien nichts zu wissen. Und wozu auch – sollte ich ihr noch mehr Sorgen schaffen? „Ach ja,“ stotterte ich, „es ist wahr, aber ich fühlte mich so müde nach dem Hochzeitslärm und überhaupt, ich bin so viel jetzt auf den Füßen.“

„Ja, wir sind das bunle Leben nicht gewöhnt, Anneliese.“

„Ich möchte einmal so recht, recht stillsitzen, Mama, gar keinen Menschen sehen.“

„Ach Kind, Du bist so jung, genieße doch Dein bißchen Jugend! Die paar Jahre gehen rasch dahin, und dann – – Du sahst so hübsch aus in dem gelben Kleide mit dem roten Anemonenkranz, Liebling! Olga Sellmann sagt es auch; sie wollte Dir übrigens noch Gute Nacht sagen, Anneliese. Ich glaubte, ich würde sie hier treffen.“

„Herr Gott, bin ich denn nirgends mehr sicher vor diesen Menschen!“ murmelte ich.

„Anneliese, wenn Du doch weniger schroff sein wolltest!“ klagte sie. „Woher hast Du dieses barsche Absprechen? Wir beide, Papa und ich, waren doch nicht so!“

„Woher? Ich weiß es nicht, Mama. Meine Zunge ist eben meine einzige Waffe und mein einziger Schutz.“

„Das klingt, als wärst Du fortwährenden Angriffen ausgesetzt. Es thut Dir doch niemand etwas, Anneliese, Dir doch nicht!“

Sie erhob sich seufzend. „Gute Nacht, mein Kind! Steh’ fröhlicher auf morgen, als Du Dich heute hinlegst.“

„Gute Nacht, Mama!“

Ich begleitete sie bis in das vordere Zimmer und sah ihr nach, wie sie durch den Flur schritt und im Treppenturm verschwand. Sie ging mit gesenktem Kopf, als grüble sie noch immer über ihr halsstarriges widerspenstiges Kind.

„Ach!“ rief da die Flötenstimme Olga Sellmanns durch die Halle, und ihr blonder Kopf schaute aus der gegenüber liegenden Thür, „sind Sie noch wach, Fräulein Anneliese? Ich komme einen Augenblick zu Ihnen, ich muß Ihnen noch Gute Nacht sagen.“ Sie verschwand für ein paar Sekunden und kam dann, ein Tuch über das weiße theatralische Negligé werfend, quer durch den Flur zu mir herüber. „Darf ich eintreten?“ Ich sagte nicht: „Bitte!“, ich ging nur langsam zurück und sie folgte mir.

„Ah! Hier wohnen Sie? Wie gemütlich, wie himmlisch altmodisch! So schaute es aus bei meiner Schwiegermutter; sehr nett zum Ansehen, aber nicht für lange – wie?“ Und sie stand mit der Lorgnette vor Papas Bild.

„Ich wünsche mir nichts Besseres,“ antwortete ich und dachte: was will sie denn nur? Sie wandte sich um, sah mich prüfend an auf die Aehnlichkeit mit dem Bilde, schüttelte den hochfrisierten Kopf, in dessen duftigem Haar noch der Goldstaub flimmerte, den sie zur Erhöhung des rötlichen Glanzes für die Hochzeitsfeier hineingethan und sagte. „Keine Spur von Aehnlichkeit!“

„Ich weiß es.“

„Aber setzen wir uns ein wenig,“ rief sie und sank in einen Lehnstuhl. „Plaudern wir ein bißchen! In diesem gottgesegneten Nest geht man ja schon mit den Hühnern zu Bette; ich bin gewohnt, um zehn Uhr erst aufzuleben. Kinder, was seid Ihr hier spießbürgerlich! Nein, diese Hochzeit, diese Toiletten – die Brautmutter voran – und die gute Komtesse! Die einzige wahrhaft elegante Erscheinung war – Anwesende sind immer ausgenommen, meine Kleine – war die Braut; in der That königlich, königlich! Hätte sie nur nicht ein so sentimentales Gesicht gemacht, als würde sie begraben anstatt gefreit.“

„Sie hatte vielleicht Ursache – es war so eine Art Begräbnis für sie,“ sagte ich.

„Puh!“ rief die rosige Frau, „zu gräßlich! Das klingt ja wie bei Heine! Wie heißt’s doch da?“ Sie schnippte mit den Fingern, kam aber nicht darauf, „so was von einer gestorbenen Liebe war’s und einem Leichenschrein! Ach, das ist ja alles Modesache, heut’ ist’s eben nicht mehr Mode. Wenn man einen Mann heiratet, den man nicht liebt, so ist doch lange noch nicht alles verloren! Sehen Sie mich an, ich nahm auch einen Gatten, der mir nichts bedeutete. Der Mann, den ich liebte, hatte nicht einen roten Dreier, um mich zu heiraten. Was thun? Ich war gescheit, ich nahm den Reichen. Der andere? Nun -“ sie lächelte, an mir vorübersehend, „wir blieben gute Freunde – man ist heutzutage ganz tolerant, und mein Mann war es auch.“

Ich sah sie verständnislos an. Ich war viel zu arglos dazu, um den vollen Sinn des Geschwätzes zu fassen, aber ich fühlte den schwülen ungesunden Hauch, der von der leichtfertigen Rede dieser großen üppigen Person ausging, die sich nun erhob und mit ihrem Lächeln und den eigentümlich flimmernden grünlichen Augen an mich herantrat. „Ich sehe, Sie sind müde, Anneliese, ich will gehen – also Gute Nacht! Ja, ja, es ist gar nicht so entsetzlich, verheiratet zu sein,“ sagte sie, mich am Ohre zupfend, „und wenn man’s vernünftig anfängt, so ist’s erst das wahre Leben. Man lebt ja nicht mehr in den Zeiten der Komtesse, wo es gleichbedeutend war mit dem Ende aller rosigen Jugendfreude und Freiheit – nein,

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 726. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_726.jpg&oldid=- (Version vom 23.8.2022)