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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

allerlei Dinge an, geschnitzte Fächer, Schachfiguren, Eßstäbchenbestecke, die in China die Stelle der Gabel vertreten; den Glanzgegenstand seines Angebots bilden aber ineinander geschachtelte Hohlkugeln, die aus einem Elfenbeinstück gefertigt sind. Unser Zeichner hat auf seinem Bilde S. 801 ein solches Meisterwerk chinesischer Geschicklichkeit abgebildet. Eine größere Elfenbeinkugel, mit mehreren nach geometrischen Gesetzen verteilten runden Löchern versehen, umschließt eine Anzahl schalenförmig umeinander liegender Hohlkugeln, welche sämtlich aus dem nämlichen Stück Elfenbein herausgearbeitet sind und ganz frei beweglich ineinander stecken. Nur die innerste Kugel ist massiv und zugleich winzig klein, etwa von Erbsengröße. Jede der hohlen Kugeln ist außen mit Reliefskulptur bedeckt und hat die nämliche Anzahl von Löchern wie die äußere Kugel. Die letztere ist natürlicherweise am schönsten verziert und zeigt eine ganze Reihe von sauber ausgeführten Darstellungen aus dem häuslichen Leben der Chinesen. Nach unten läuft die Kugel in ein Ornament aus, oben wird sie von einer Figur gekrönt, die wieder in eine Kette, deren Ende ein Fisch bildet, ausläuft.

Das Observatorium in Peking.

Von dem Laden des Elfenbeinschnitzers werden wir zu dem des Seidenwebers und Seidenstickers geleitet; es sind hier zumeist männliche Handarbeiten, die unsern Beifall finden, denn der Mann führt in China fleißig die Nadel, ebenso wie er den Hammer schwingt, um Schwerter zu fegen. Unser bezopfter Cicerone geleitet uns ferner auch an den Stand des Klein-Mosaik-Arbeiters. Hier werden uns Schmuckgegenstände von gepreßtem Metall angeboten, auf welche winzige Stückchen von Vogelfedern, die blau und purpurn schimmern, mit unendlicher Geduld und Sorgfalt geklebt sind. Zum Schluß betreten wir einen Laden, in dem die chinesischen Reispapiermalereien feilgeboten werden. Es ist billiges Zeug von geringem Kunstwert, ein Werk mehrerer Handlanger; denn bei diesen Bildern macht der eine Künstler den Umriß, ein zweiter malt das Gesicht, ein dritter die Hände und ein vierter das Gewand. Uebrigens liegen auch Photographien, sowohl europäische und amerikanische als auch an Ort und Stelle gefertigte, im Kunstladen aus. Eben sind auch Chinesen als Käufer erschienen und siehe da, was dem vornehmen Mandarin, einem hohen Beamten, angeboten wird, das überrascht uns in hohem Grade! Fürwahr, das ist das markige Antlitz des eisernen Bismarck, des Altreichskanzlers, der selbst in China weit und breit bekannt ist. Vom Laden des Kunsthändlers ist zum Atelier des Künstlers nur ein Schritt. Wir thun ihn und erleben eine neue Ueberraschung. Auf der Staffelei steht eine chinesische Madonna. Die Jungfrau Maria mit dem Jesuskinde erscheint uns als eine hausbackene Chinesin und auch das Christkind trägt unverkennbar die charakteristischen Züge eines Chinesenknaben. Das Gemälde wurde auf Bestellung eines Missionärs angefertigt; und es giebt viele ähnliche Heiligenbilder im Reiche der Mitte, denn man sucht die Heiligen dem gelben Volke menschlich oder chinesisch näher zu bringen.

Ah Cum, der ehrwürdige Cicerone, gefällt sich in Gegensätzen, denn er geleitet uns in einen der achthundert Tempel Kantons, wo wir an fünfhundert Genien oder Buddha-Apostel als lebensgroße vergoldete Holzbildsäulen bewundern können. Eine dieser Heroengestalten fällt uns ganz besonders auf, denn sie zeigt kaukasische Gesichtszüge, trägt einen europäischen Hut und europäische Stiefel. Unser Cicerone stellt uns den Herrn mit feierlicher Gebärde vor – das soll die Bildsäule Marco Polos sein, des einstigen Verbreiters chinesischen Ruhmes!

Im Herrensalon.  

Ueber die Religion der Chinesen wollen wir auf unserm Gange durch Kanton Näheres nicht erfahren. Als ein altes Kulturvolk haben die Chinesen verschiedene Religionen und Bekenntnisse – eine nationale Götterlehre, die von Confucius reformiert wurde; sie kennen den Buddhismus in verschiedenen sektenartigen Färbungen und auch Mohammedaner fehlen ebensowenig wie Christen im Reiche der Mitte; aber bei aller Verschiedenheit der Lehren ist eins allen Chinesen gemeinsam – der krasseste Aberglaube. Die Welt wimmelt in den Augen des gelben Mannes von Genien und Dämonen, von bösen und guten Geistern und man steht mit ihnen in China in weit besserem Rapport als bei uns mit den Geistern der spiritistischen Zirkel. In Tempeln und Häusern werden diesen Geistern Altäre errichtet und die Priester haben vollauf zu thun, um bei allen möglichen Anlässen die Götzen zu beschwören oder vor ihren Standbildern zu orakeln. Die Kunstgriffe, deren sie sich dabei bedienen, sind ebenso geheimnisvoll wie die der Zauberer aller anderen Völker. Der Zauberstab spielt auch in China eine große Rolle und bei Beschwörungen der Götzen werden Stäbchen aus wohlriechenden und betäubenden Stoffen abgebrannt; verschiedenfarbige Stäbchen, die aus einem Becher geschüttelt werden, dienen zu Orakelzwecken; Rot gilt dabei als Glücksfarbe, während Weiß die Trauerfarbe bedeutet.

Doch die Zeit drängt und wir verlassen den Tempel, in dem die guten Genien herbeigelockt werden. Uns können diese Ceremonien nicht beunruhigen; denn in unsrer Brust tragen wir nach

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 798. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_798.jpg&oldid=- (Version vom 10.5.2023)