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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Posaunen, Trommeln, Pauken und Guitarren. Das Konzert beginnt und wir können uns im Stillen Glück wünschen, daß wir ganz und gar nicht musikalisch sind.

Zum Ruhme des Chinesen kann gesagt werden, daß er häuslich ist. Sein Familienleben ist auf patriarchalischen Grundsätzen aufgebaut.

Trotz aller Rechtlosigkeit sind die meisten Chinesinnen ausgezeichnete Hausfrauen und Mütter und zeichnen sich in uneigennütziger Weise durch eine so gute Führung aus, daß man in China gar oft Denkmälern begegnet, die man tugendhaften Weibern errichtet hat.

Die Sonne neigt sich zum Untergange und unser Cicerone geleitet uns zu der letzten Sehenswürdigkeit seines Programms. Wir kehren zum Fluß zurück, dort winkt uns einladend eine Reihe von Schiffen entgegen. Zu Hunderten stehen sie still verankert in der gelben Flut des Perlflusses; sie bilden die schwimmende Stadt des Vergnügens und werden von den wohlhabenden Einwohnern Kantons gern besucht. Blumenboote hat man sie poetisch genannt und in der That hängen zahlreiche Blumenkörbe von den Decken der prachtvoll geschmückten Kajüten herab. Da sitzen die vornehmen Chinesen bei reichem Mahl oder Gläschen berauschenden Getränks, wobei geputzte Mädchen ihnen aufspielen.

Die Nacht hat ihre dunklen Fittiche auch über die Stadt des Vergnügens gebreitet, aus hundert Schiffen tönen Guitarren und lustige Kehlen. Doch wir sind müde von all den Eindrücken der Millionenstadt am Ostrande der Alten Welt. Wir rudern zurück nach dem Dampfer und sind unter der deutschen Flagge wieder auf deutschem Boden.


Zeit bringt Rosen.

Novelle von Stefanie Keyser.

      (3. Fortsetzung.)

Die Gesellschaft hatte sich in der Höhle zersplittert, so sehr auch der Führer mahnte, zusammen zu bleiben. Gabriele eilte rasch vorwärts, fast wie auf der Flucht vor etwas – vor dem großen Troß und seinen platten Witzen, meinte Schersen, der ihr unentwegt folgte. So waren sie in ein Gewölbe gelangt, dessen Höhe der Lichtschein nicht zu erreichen vermochte. Hier und da glitzerte aus den dunklen Wänden wie boshaft funkelnde Koboldaugen das Kupfererz. Und leise, eintönig fielen unsichtbare Tropfen aus der Höhe der Grotte.

„Einen schöneren stimmungsvolleren Ort können wir nicht finden,“ sagte Schersen, setzte das Grubenlicht auf einen Felsenvorsprung und faßte nach seinem Skizzenbuch. „Ich bin bereit, beginnen Sie!“ Und mit glückseligem Ausdruck fuhr er fort: „Es ist wahr und wahrhaftig wie im Märchenland – mit Ihnen allein, nur Ihre Stimme hören, nur Ihre Nähe fühlen.“

Durch die eiskalte Luft wehte der warme Hauch seiner Worte zu ihr hin. Langsam wandte sie sich ihm zu. Sie sah beim matten Schein des Grubenlichtes gespensterhaft blaß aus, ihre Augen schienen erloschen. Und mit einer Stimme, die wie von Thränen zitterte, sprach sie: „In dem Reich der Steine kann ich Ihnen keine Märchen erzählen. Ich bin hier heimisch wie das Kind im Vaterhaus. Und vom Vaterhaus fabuliert man nicht, da redet man die Wahrheit. – Mit solchen gebänderten, hellschimmernden, funkelnden Gebilden der Natur, wie sie hier uns umgeben, habe ich als Kind gespielt. Ihre Namen wurden mir von lieben Stimmen genannt, die längst verstummt sind. Mein Vater war Professor der Geologie und Mineralogie, und im Dienst dieser ernsten Wissenschaft ist mein Bräutigam, meine erste und einzige Liebe, gestorben.“

Schersen blickte sie verwirrt an. „Eine einzige Liebe?“ Es lag eine leichte Ueberhebung in seiner Stimme.

„O, die giebt es noch in der Welt,“ sagte sie, und bestrebt, dieser ihrer ersten Liebe auch die Würdigung dessen zu erringen, der am Ausgang der Jugend ihr seine Huldigungen zollte, sprach sie weiter: „Eduard Haller war ein Schüler meines Vaters, sein liebster und bedeutendster. In dem Ballsaal, wo die studierende Jugend tanzte, knüpften sich die ersten Fäden zwischen uns an, in der großen Mineraliensammlung meines Vaters schürzten sie sich zum festen Bündnis. Mein Vater freute sich des gewonnenen Sohnes, meine kränkliche Mutter vertraute getrost mein Schicksal der braven treuen Hand an. Er hatte die akademische Laufbahn gewählt. Wir konnten warten, waren beide noch gar jung.“

Schersen lehnte, in allen seinen Voraussetzungen betrogen, gewaltsam aus seinen Gedankengängen und Empfindungen geschleudert, an dem Eingang der Grotte. Nur die gesellschaftliche Gewohnheit, bei Gemütsbewegungen äußerlich regungslose Ruhe zu behaupten, ließ ihn noch gefaßt erscheinen. Er hatte Zeit, sich auch innerlich zu sammeln; denn, Gabriele, von den Erinnerungen ergriffen, kaum mehr sich bewußt, zu wem sie sprach, fuhr fort: „Da kam er eines Tages erregt zu mir. ‚Ich fordere ein Opfer von Dir‘, sagte er, ‚aber Du wirst es bringen.‘ Er hatte eine Aufforderung bekommen, unter vorzüglichen Bedingungen sich der Expedition anzuschließen, die eine englische Gesellschaft ausrüstete, um das Innere Afrikas zu erforschen. Deutschland hatte noch keinen Anfang mit Kolonien gemacht. Er wünschte anzunehmen; es würde seinem Namen Geltung verschaffen, bei seiner Rückkehr ihm ein weiteres Feld eröffnen und – ich höre ihn noch sprechen: ,Ich bin berufen, mitzuhelfen, daß weite Länderstrecken der Kultur eröffnet, ihre Bewohner einem edleren Dasein zugeführt werden!‘ Wer wäre jung und nicht bereit zu hohem Flug? Ich widerstrebte nicht dem, was ihm als Glück erschien. Mein Vater war zu sehr Gelehrter, um nicht persönliche Bedenklichkeiten einem wissenschaftlichen Unternehmen unterzuordnen; nur meine Mutter seufzte, sorgenvoll.“

Aus fernen Höhlengängen, wo die andern vorwärts drangen, huschte rotes Licht herüber. Gabrieles Augen folgten dem feurigen Schein. „So leuchtete es am letzten Abend, bevor er Abschied nahm, zu mir, die ich einsam am Fenster stand, von dem Fackelzug her, den ihm die Studenten brachten. Musik klang dazu und endlich der feierliche Gesang. Aber die Worte verwehten. Nur – es fiel mir doch sonderbar auf das Herz, trotz meiner gehobenen Stimmung – nur eine Strophe trug der Wind deutlich heran: ,nos habebit humus‘ – ,die Erde wird uns haben.‘“ Sie atmete tief. Leise, unaufhörlich rieselten die Tropfen in das stille Wasser. „Das Wort hat recht behalten,“ fuhr sie fort. „Die erste, welche die Erde deckte, war meine Mutter. Wie weinte ich damals – und wie segnete ich später das Schicksal, das ihr das Kommende ersparte! Der zweite war mein Vater. Mit heiterer Ruhe ging der Erdensohn zu der alten Urmutter hinab; etwas von seiner stolzen Ergebenheit ließ er als edelsten Trost seinem verwaisten Kinde zurück. Den dritten – hat die Erde nicht gehabt.“ Ihre Stimme wurde dumpf. „Anfangs bekamen wir Nachrichten; dann blieben sie aus. Die Zeit ging hin, Monate – wissen Sie, was es heißt: harren, harren mit immer steigender Angst? Dann fiel der Schlag; die Nachricht kam, daß die Expedition verunglückt, aufgerieben sei. Es war nichts schonend zu verheimlichen; die Zeitungen brachten ausführlich den Bericht von einigen entwischten eingeborenen Begleitern. Der Häuptling eines wilden Stammes hatte die Europäer gefangen genommen und dann hinrichten lassen.“

Die Worte waren kaum verständlich von ihren Lippen gekommen. Es wurde totenstill, nur die Tropfen fielen und fielen. Nach einer Weile sprach Gabriele gefaßter weiter: „Ich gehöre nicht zu den glücklichen schwachen Menschen, die durch Ohnmachten und Nervenfieber über die furchtbaren Krisen im Seelenleben hinweggebracht werden. Ich habe den Jammer durchringen müssen, mit den Gedanken jeden Schritt seines Schmerzensweges verfolgend.“

Sie erhob sich von dem Felsstück, auf das sie sich gestützt hatte. Ihr Blick richtete sich sanft auf den jungen Mann, der, leichenblaß, ihr gegenüberstand. Sie wußte, er litt in diesem Augenblick wirklich unter seinem Irrtum, wenn auch verletzte Eitelkeit seine Empfindung steigern mochte. „Nach solchen niederschmetternden Schlägen führt kein Weg zurück in das frohe Getriebe.des Lebens,“ sagte sie mit milder Trauer in der Stimme. Sie ging ihm voraus mit dem leisen geduldigen Schritt, der ihr für ihre Lebenszeit vom Schicksal vorgeschrieben worden war. Er folgte ihr stumm. Das Skizzenbuch war uneröffnet geblieben, das gemeinschaftliche Märchen nicht verfaßt worden.

Aus den Höhlengängen tönten Zurufe, Lachen. Ilses Stimme war nicht mehr zu vernehmen. Vor ihren Anbetern sich versteckend, war sie in dunkle Spalten geschlüpft. Sie brauchte sie nicht mehr;

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 800. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_800.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2023)