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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

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Blätter und Blüten.

Ein Denkmal der Völkerschlacht bei Leipzig. Es ist eine erfreuliche Erscheinung, die man wiederholt seit der Gründung des neuen Deutschen Reiches beobachten konnte: die Bürger des neuen Reiches fühlen eine Art sittlicher Verpflichtung, die Schulden des alten zu bezahlen, die angefangenen Werke der Vorfahren zu vollenden. Was an den politischen Wirrnissen, an der wirtschaftlichen Armut früherer Tage auf halbem Wege scheiterte, was vielleicht nur als Pflicht empfunden, aber unter der Ungunst der Zeiten nicht gethan wurde – heute sieht man eins ums andere aufgenommen vom lebenden Geschlechte und als eigene Aufgabe behandelt. Das Hermannsdenkmal im Teutoburger Walde, die Türme zu Köln und zu Ulm sind die glänzenden Zeugnisse für diesen ehrenwerten Zug im Charakter unserer neuen Reichsbürger.

Und jetzt gilt es wieder eine solche Aufgabe. Das Schlachtfeld bei Leipzig, das Gefilde, auf dem einst in bangen Tagen über das Schicksal unseres Volkes entschieden ward, von dem ein glorreicher Aufschwung der Gemüter hinausging in alle deutschen Lande, auch in die, welche an jenem 18. Oktober 1813 dem fremden Herrn noch Vasallendienste leisten mußten – es trägt noch heute kein Denkmal, das einer so erhabenen Wendung in unserer Geschichte würdig wäre. Wohl fehlt es nicht an einzelnen Erinnerungszeichen: der Fremde pilgert zum „Monarchenhügel“ mit seiner Spitzsäule, zu dem Granitwürfel, welcher dem Oberkommandierenden der verbündeten Armeen, dem Fürsten Schwarzenberg, von seiner Gattin errichtet wurde, er betrachtet sich wohl auch den „Napoleonstein“, der die Stelle bezeichnet, wo der französische Kaiser die Niederlage seiner Truppen mitansah. Aber kein Denkmal steht da, in dem das Ungeheure, das hier geschah, auch nur annähernd zum Ausdruck käme.

Man hat die Lücke schon lange empfunden und auch schon lange die ersten Schritte gethan, sie zu füllen. Bei der fünfzigjährigen Wiederkehr des Siegestags, am 18. Oktober 1863, wurde unter großen Feierlichkeiten, unter der Teilnahme fast ganz Deutschlands der Grundstein gelegt zu einem würdigen Nationaldenkmal der Befreiungskriege. Allein in jenen schwülen unklaren Jahren, da die Lösung der „deutschen Frage“ schwer auf den Gemütern lastete, da war die nachhaltige Stimmung nicht vorhanden für den Ausbau eines Völkerschlachtdenkmals, und seit über dreißig Jahren liegt der Grundstein einsam und verlassen im Felde.

Aber er soll nicht ewig so ruhen. Im neuen Deutschen Reiche ist Licht und Raum für den Geist, der an den Völkerbund von 1813, an die glorreichen Erinnerungen der Befreiungsschlacht anknüpft. Und so hat sich zu Leipzig ein „Deutscher Patriotenbund zur Errichtung eines Völkerschlachtdenkmals bei Leipzig“ gebildet, der in ganz Deutschland die Werbetrommel rührt und Freiwillige sammelt zur Erfüllung einer vaterländischen Ehrenpflicht. Jeder gute Deutsche ist willkommen, der sein Scherflein beitragen will; der erste Vorsitzende des Bundes, Architekt Clemens Thieme in Leipzig, An der Pleiße Nr. 12, ist gern bereit, die Gaben in Empfang zu nehmen. Und wenn dann dereinst das Denkmal steht, in schlichter Größe und Schönheit, wie wir allein es uns denken können, dann wird jeder, der das Seine dazu gethan, sich mit Genugthuung sagen können: auch du hast teilgenommen an der Tilgung einer alten Ehrenschuld.

Meister Grimbart in Nöten. (Zu dem Bilde S. 793.) Der Weidmann kennt heute zwar noch eine ganze Reihe „weidgerechter“ Jagdarten auf den Dachs, aber unter diesen nimmt das „Dachsgraben“ doch eine solch hervorragende Stelle ein und ist besonders in neuerer Zeit, wo der Teckel der Lieblingshund nicht nur der Jäger, sondern – ich möchte sagen – jedermanns geworden ist, dermaßen in den Vordergrund getreten, daß die Zeit vor der Thür steht, wo es ebenso ausschließlich für weidmännisch angesehen wird wie bei den Engländern die Parforcejagd auf den Fuchs.

Es ist Herbst – ein windstiller Tag, und hinaus geht’s in den Forst auf den Haupt- oder Mutterbau, in welchem sich Meister Grimbart, wie die frisch „ausgefahrene“ Erde vor den „Röhren“ und die augenscheinlich beim Herauschleifen verloren gegangenen, zerstreut liegenden trockenen Gräser, Farne und Blätter uns zeigen, sein warmes, wohnliches Winterquartier eingerichtet hat. Was ziehen und zerren die niedrigen, krummläufigen, tollkühnen Kerlchen, die Teckel, doch vor Jagdeifer an den Koppeln! Sie können die Zeit nicht erwarten, da sie tief unter der Erde mit ihrem dickwanstigen Feinde ins Zwiegespräch kommen. Aber sie müssen sich noch gedulden, die schneidigen Burschen – denn zunächst wird von ihnen nur einer gelöst, der alte erfahrene Erdmann, der dann auch sofort in eine „befahrene“ Röhre „einschlieft“, begleitet von dem neidischen langgezogenen, weinerlichen „Gehünsche“ der anderen Krummläufe. Jetzt heißt es still sein, damit wir den durch die Erde gedämpften „Hals“ Erdmännchens hören können und die Stelle finden, unter der er „vorliegt“. Hier ertönt leise der dumpfe Schall – wenn wir das Ohr auf die Erde legen, können wir deutlich die Stimme des Hundes vernehmen – er hat den Dachs gefunden. Jetzt kommt es darauf an, daß er seinen Feind in ein Endrohr treibt – in eine sackartige Stelle des Baus, wo Grimbart, wenn der Hund nicht weicht, weder vor- noch rückwärts fliehen kann. Wenn dann von oben dahin „durchgeschlagen“ (ein Schacht getrieben) wird, wo wir das dumpfe Verbellen Erdmännchens hören, und wir treffen auf die Röhre, so steckt der Dachs in dem kurzen Ende vor uns und wird mit der Zange herausgezogen. Daher kommt es zunächst darauf an, daß wir dem Hunde behilflich sind, seinen Feind ins Endrohr zu treiben. Wir schlagen deshalb mit dem flachen Spaten fest auf die Erde, daß die Schläge dröhnend durch die Bäume hallen.

Richtig, der Dachs hat sich „versetzt“ – Erdmännchen ist unter uns still. Wieder wird die Stelle aufgesucht, wo der Hund verbellt – wieder wird aufgeklopft und wieder ist der Dachs verschwunden. So geht es fast eine Stunde im Bau hin und her, der Hund kann seinen Feind nicht „fest machen“, der Bau ist zu groß. Jetzt wird die ganze Teckelgesellschaft gelöst, vielleicht gelingt es der vereinten Anstrengung, Meister Grimbart in ein Endrohr zu treiben.

Hier unter uns liegt wieder ein Hund vor – – aber es verbellt und „hünscht“ in allen Röhren, an allen Enden. Der Spaten schlägt dröhnend auf die Erde – diesmal klingt der Hals deS Hundes nur um so wütender auf derselben Stelle. Nochmals schallen die Schläge mit der Schaufel laut durch den Forst – – der Dachs wankt und weicht nicht, er steckt im Endrohr. Jetzt heißt es, so rasch wie möglich „durchschlagen“, und die jagdeifrigen Arbeiter graben und hacken drauf los, als gelte es, einen Schatz zu heben. Zoll um Zoll geht’s tiefer hinab in die Erde. Bei jedem Spatenstich klingt der Hals des Hundes deutlicher und wütender herauf – es hört und weiß der brave Teckel, daß er Hilfe bekommt. Plötzlich sinkt der Spaten bis an den Stiel ins Erdreich und hell klingt der Hals des Hundes aus dem sich bildenden Loche hervor – – wir sind auf der Röhre. Behutsam wird die Oeffnung erweitert, damit sie von hineinrutschender Erde nicht ganz verschüttet wird; – da ist der Kopf Erdmännchens – der schweißende Fang, die Augen mit Sand und Erde verklebt – wütend heulend und scharrend, er will über die Erdbarrikade klettern, welche die Röhre versperrt und ihn von seinem Feinde trennt. Dort, an der anderen Seite schiebt sich auch der weißblässige Kopf Grimbarts hervor – aber nur eine Sekunde, dann ist er wieder im Dunkel der Röhre verschwunden. Nur Geduld, Bürschchen, wir kommen gleich!

Plötzlich ein Höllenlärm dort hinten auf dem Bau. Die zuletzl gelösten Hunde haben einen zweiten Dachs gefunden, und dieser, durch die wütenden Angriffe seiner Feinde hin– und hergejagt, ist schließlich „gesprungen“, wie der Jäger das aus dem Bau Laufen nennt

Ludwig Beckmann, der bekannte Düsseldorfer Jagdmaler, hat den Augenblick festgehalten, wo dieser zweite Grimbart, von seinen Feinden umringt, einen Augenblick stutzt – hätte er aber den Zeitpunkt fünf Sekunden später gewählt, so würden wir sehen, wie ein Teckelchen schweißend Kobolz schlägt und wie der graue Borstenträger, gefolgt von seinen Feinden, mit ungeahnter Schnelligkeit zur nächsten Dickung flieht – gewiß auf Nimmerwiederseheu, wenn der Jäger nicht wäre, der ihn mit gut gezieltem Schuß erlegt. Karl Brandt.     


Inhalt: Um fremde Schuld. Roman von W. Heimburg (11. Fortsetzung). S. 789. – Meister Grimbart in Nöten. Bild. S. 793. – Der Thronwechsel in St. Petersburg. Von Paul Lindenberg. S. 795. Mit Bildnissen S. 796. – Ein Tag in China. Von J. Zwenger. S. 797. Mit Abbildungen S. 789, 797, 798, 799 und 801. – Zeit bringt Rosen. Novelle von Stefanie Keyser (3. Fortsetzung). S. 800. – Blätter und Blüten: Ein Denkmal der Völkerschlacht bei Leipzig. S. 804. – Meister Grimbart in Nöten. Von Karl Brandt. S. 804. (Zu dem Bilde S. 793.)



[ Verlagswerbung für „E. Marlitts Romane.“ (nicht illustrierte Ausgabe). – Hier nicht dargestellt.]



Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 804. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_804.jpg&oldid=- (Version vom 20.9.2023)