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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

germanischen Mythologie und Volkskunde ihre Einbildungen unkritisch geglaubt hat.

Aber die Zwölfnächte der Weihnachtszeit? Das deutsche Mittelalter kennt weder den Ausdruck noch die Sache. Wo es die Zeit um Weihnachten bezeichnen will, sagt es: Zu Weihnachten, oder: In den Weihnachten, und dieser Ausdruck bedeutet die kirchlichen Feiertage, an Zahl meist vier, hier und da auch mehr. Epiphanias dagegen heißt ganz allgemein: der zwölfte Tag (nämlich nach Weihnachten, mit welchem Tage das kirchliche Jahr begann und auch vielfach das staatliche und bürgerliche). Im Anfang des sechzehnten Jahrhunderts geben deutsche Volkskalender Wetterregeln über die Weihnachtszeit, in denen die zwölf ersten Tage des Jahres als vorbedeutend für die zwölf Monde des Jahres aufgefaßt werden. Aus dieser Kalenderlitteratur gehen die „zwölf Nächte“ in den deutschen Volksglauben über und werden selbst ein Stück Volkstum, so daß gelehrte Sammler im neunzehnten Jahrhundert sie für einen Rest einer heiligen Zeit der alten Deutschen halten konnten.

Wenn heute am Heiligen Abend des Nachts die zwölfte Stunde schlägt, dann geht nach dem modernen Volksglauben ein Blütentraum durch die Natur. Mitten aus Schnee und Eis schießt der Hopfen in fingerlangen Sprossen hervor, die Bäume schlagen aus und blühen, auf den wilden Apfelbäumen im Walde reifen in einer Stunde winzige Aepfelchen, und die Rose von Jericho erblüht das einzige Mal im Jahre. Auch das ist kein Stück alten Germanenglaubens, sondern es gehört den wandernden Sagenmotiven an, die aus dem fernen Osten, namentlich aus Indien kommend, etwa seit dem zehnten Jahrhundert die volkstümliche Einbildungskraft in Deutschland befruchteten. Die meisten unserer Kinder- und Hausmärchen, die den Brüdern Grimm noch zum Teil für Reste deutscher Göttersagen galten, sind auf diese Weise zu uns gekommen und haben sich dann von Mund zu Mund fortgepflanzt, bis seit dem sechzehnten Jahrhundert die gedruckte deutsche Volkslitteratur sie aufnahm und dem Volksbewußtsein immer aufs neue vor Augen hielt. Die blühenden Bäume der Weihnacht kommen zuerst in einer arabischeu Quelle des zehnten Jahrhunderts vor, und von Nordafrika aus kommt dieser Zug dann über Spanien und Frankreich nach Deutschland. Hier greift ihn die Kirche auf, die eben den Versuch macht, ihrem Jesusgeburtsfest wirkliche Volkstümlichkeit zu geben. Sie thut das in der Weise, daß sie volkstümlichen Glauben auf das kirchliche Fest zu übertragen versucht und die Heilige Nacht mit einer Reihe von Wundern ausschmückt, die auf die Einbildungskraft des Volkes wirken sollen. Da kommen ihr die blühenden Bäume denn äußerst gelegen, und bald genug erzählt die mittelalterliche kirchliche Tendenzsage Geschichten, wie ein Bischof in der Christnacht in den Wald ging und dort einen Apfelbaum blühend fand, der unmittelbar darauf seine Blüten zu Früchten reifen ließ. Der älteste deutsche Beleg für blühende Bäume der Weihnacht findet sich im „Leben der heiligen Hedwig“, die um 1180 in Franken geboren war. Da wird uns berichtet: „Einst, als sie noch jung war, kam am Weihnachtstage jemand herein und sagte in ihrer Gegenwart, während sie auf dem Tische saß, daß ein Kirschbaum im Garten in frischem Blütenschmuck stehe. Sie hörte dies und schickte ihn zurück, um zu beobachten, ob die vorerwähnten Blüten am unteren oder am oberen Teile des Baumes sproßten. Er ging und meldete zurück, daß der Baum an seinen untern Aesten blühe. Jene aber sprach: ‚Das ist ein Zeichen künftigen Sterbens. Viele Arme werden dieses Jahr sterben.‘ Und wie sie vorausgesagt, so geschah es.“

Von dem Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts an läßt sich diese Sage oder dieser Glaube durch die populäre Litteratur in ununterbrochener Kette bis zur Gegenwart verfolgen, und an mehr als einer Stelle münden in diesen Strom volkstümliche Zuflüsse ein, die sich da und dort aus jener kirchlichen Sage gebildet haben.

Wer hat je den Geburtsschein des Knecht Ruprecht gesehen? An dieser Frage läßt sich mancherlei aussetzen. Einmal giebt es nämlich viele Knecht Ruprechte, und sodann ist es fraglich, ob zu der Zeit, in welcher der Knecht Ruprecht zuerst auftaucht, schon Geburtsscheine üblich waren. Der Knecht Ruprecht gilt überdies gemeinhin für einen Gott, für einen Rest des Gottes Wuotan, der mit einem Beinamen Hruodperaht, d. h. der Ruhmglänzende, geheißen haben soll. Ein so schöner Beiname ist einem Gotte, der wahrscheinlich in weiten Strichen der deutsche Zunge ein bloßer Sturmdämon war, gewiß zu gönnen, indessen der Knecht Ruprecht stammt nicht von ihm ab. Der Knecht Ruprecht ist trotzdem volkstümlich deutschen Ursprungs, wenn er auch eigentlich mit Weihnachten nichts zu thun hat. Er ist nämlich der Typus eines Knechtes und erscheint zuerst in einem volkstümlichen Bettelspruch, einem Wechselgespräch zwischen Herr und Knecht. Der Herr beklagt sich, daß die Bauern nichts mehr geben wollen, und der Knecht berichtet darauf, sie hätten sich doch noch besonnen und allerlei in die Küche geliefert. Weiter kommt er in einem „Gespräch von dem gemeinen Schwabacher Kasten“ vor, das um 1530 gedruckt ist. Die Abbildung zeigt ihn mit dem Meister Tuchmacher am Webstuhl. Er könnte ebensogut bloß „Knecht“ heißen. Er hat keine Beschäftigung, die darüber hinaus geht. Der ins Ohr fallende Reim: Knecht – Ruprecht scheint der Anlaß zu der Zusammenstellung und der Grund gewesen zu sein, weswegen der Name nicht in Vergessenheit geriet. In den im sechzehnten Jahrhundert gebräuchlichen kirchlichen Weihnachtsumzügen, in denen schön gekleidete Gestalten als Jesus, Petrus, heiliger Nikolaus etc. auftraten, erscheint eine solche Gestalt noch nicht. Aber in ähnlicher Weise, wie das mittelalterliche Jesusgeburtspiel immer volkstümlicher wurde, indem es volkstümliche Gestalten und Züge in sich aufnahm, werden auch diese Weihnachtsumzüge volkstümlich, welche eigentlich vom Martins- und Nikolaustag stammen und daher auch stets diese Heiligen noch aufweisen. So wird in diese Umzüge dem heilige Christ ein Knecht beigegeben, der in einem 1668 gedruckten Umzugsspiel neben Ruprecht noch Acesto heißt, bald aber allein mit dem Namen Knecht Ruprecht bezeichnet wird. Er bildet in dunkler, schrecklich aussehender Vermummung ein düstres Gegenstück zu der Lichtgestalt des heiligen Christ, und das Volk findet an ihm bald solches Wohlgefallen, daß es statt seiner eine ganze Reihe Ruprechte den heilige Christ begleiten läßt. Als man dann gegen das Ende des siebzehnten Jahrhunderts die Umzüge eines heiligen Christ vielerorts als anstößig zu empfinden begann, wurde seine Gestalt beseitigt. Der Knecht Ruprecht aber blieb unangetastet. Er konnte kein feiner gestimmtes religiöses Empfinden verletzen, und so zieht er in Stadt und Land vielfach noch heute herum, mit Rute und Sack bewaffnet, und spendet den artigen Kindern Aepfel, Nüsse und Pfefferkuchen und den schlimmen Hiebe.

Mit den ursprüuglich rein kirchlichen Winteranfangs- und späteren Weihnachtsumzügen hängt auch die Entstehung der Weihnachtsbescherung zusammen, wenn in letzter Linie auch noch ein anderer Bach volkstümlicher Ueberlieferung in sie eingemündet ist. In dem gesamten römisch-gallsch-deutschen Sprachgebiete bestand von altersher der Brauch von Neujahrsgeschenken, die zum Teil in eine freundlichere Form gekleidete Abgaben waren, auf die man aber ebensogut rechtlichen Anspruch hatte wie unsere Dienstboten auf ihre Weihnachtsgeschenke und viele Beamte auf sogenannte „Weihnachtsgratifikationen“. Es war ein römischer Brauch, der vielleicht durch Uebertragung ähnlicher deutscher Züge vom Wintersanfang auf den neuen Jahresanfang verstärkt wurde. Jedenfalls

finden wir seit dem fünfzehnten Jahrhundert Weihnachtsabgaben in der Form von Weihnachtsgeschenken ziemlich häufig. Wo sie Gaben der Oberen an die Unteren sind und einen bestimmten Lohn vertreten, erscheinen sie meist als Geschenke zum Dank für einen dargebrachten Weihnachts-Neujahrs-Wunsch. Diese beiden Wünsche fallen für das ausgehende Mittelalter in Deutschland ja zusammen wie noch heute in England. Kinder erhalten hier und da nur eine kleine Gabe, wenn sie die Träger des Glückwunsches sind, und noch im sechzehnten Jahrhundert belohnen Eltern ihre Kleinen für die Gratulation mit einem Pfenning. Eine eigentliche Weihnachtsbescherung giebt es noch nicht, diese entwickelt sich, wie bemerkt, erst gegen Ende des sechzehnten Jahrhunderts aus den volkstümlichen Weihnachtsumzügen. Die umziehenden Gestalten, welche in den einzelnen Häusern eine kleine Aufführung abspielen, sammeln hinterher Gaben ein. Wie sich dann die Aufführung immer mehr an die Kinder wendet, die in dem „heiligen Christ“, der sie examiniert, den wirklichen Christus sehen und in seinen Begleitern dessen Heilige, bringen die Umziehenden den Kindern, den artigen wenigstens, auch selbst Kleinigkeiten mit, um dafür desto mehr von den Elten zu erhalten, oder draußen vor der Thür wird ihnen auch von den Eltern eingehändigt, was sie drinnen den Kleinen bescheren sollen. Wie ferner die protestantische Kirche namentlich in Mitteldeutschland die Umzüge selbst beseitigt, bleiben doch jene kleinen Gaben. Früh beim Erwachen finden die Kinder neben dem Bett ein Bündel, in das allerhand kleine Geschenke eingebunden sind, und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 838. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_838.jpg&oldid=- (Version vom 25.5.2023)