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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)


lassen und mich beschworen, Sie um Gotteswillen darin zu bestärken, Nein und wieder Nein zu sagen, wenn der Wollmeyer Sie wegen Brankwitz bestürme. Ich sah, wie sie sich quälte, und da tröstete ich sie: ,Haben Sie keine Bange, gna’ Frau, die Anneliese ist, wie man so sagt, in festen Händen; Anneliese hat den schon gefunden, der sie liebt.‘ Und ich hab’ ihr erzählt: so und so, gnä’ Frau, ein Blinder hätt’s mit dem Stocke fühlen müssen, wie gut sich die Zwei sind. Da hat sie ungläubig den Kopf geschüttelt und hat gemeint, wenn’s so wär’, dann hätt’s Anneliese ihr gebeichtet. ‚Gnä’ Frau,‘ hab’ ich ihr gesagt, ‚ich hab’s geseheu, wie sie sich küßten‘ und hab’ ihr geschildert, wie es gekommen und was für eine treue ehrliche Seele er ist und daß freilich noch mancherlei zu überwinden sei, bis es so weit wäre. – Und von der Mama muß der Wollmeyer das alles gehört haben.“

„Ich begreife Sie nicht, Base,“ unterbrach ich sie kopfschüttelnd, „da Sie doch wissen mußten –“

„Wäre Ihre Mutter am Leben geblieben, so hätte er verzichtet auf Vergeltung, Sie wissen es, Anneliese, er hat es Ihnen selbst gesagt. Aber Sie haben ihn zurückgestoßen, und – dann ist er fort und hat kein Wort mehr von Ihnen geredet.“

„Das ist recht von ihm,“ sagte ich. „Was soll er mit mir, wenn er die Last auf seiner Seele behält, die abzuschütteln er doch nur herübergekommen ist? Ich kann ihm die Ehre seines Vaters nicht wiedergeben, auch sein Vaterland nicht ersetzen. Ich bitte Sie, Base, reden Sie nichts! Er wird wissen, was er zu thun hat, so gut, wie ich es weiß. Und wenn er in jener schrecklichen Nacht alles vergaß, seinen Vater, seine Heimat, alles, um mich zu retten aus dieses Menschen Nähe, um meiner Mutter willen, so war das ein Edelmut, den anzunehmen ich mich schämen müßte, so lange ich lebe!“

„Aber, wenn Robert vergeben will?“

„Das darf er nicht, liebe Base, denn dies Recht hat er nicht. Seine künftige Frau, sie sei, wer sie wolle, kann einen unbescholtenen Namen verlangen; seine Kinder würden ihm dereinst wenig Dank wissen für diese Schwäche. Und nun will ich Ihnen noch etwas sagen, liebe Base – wenn Sie etwa die nötigen Beweise besitzen und ihm vorenthalten, so sind Sie Wollmeyers Verbündete! Das ist meine Meinung!“

„Gott im Himmel,“ wehrte die alte Frau ab, „was wollen Sie denn, Anneliese?“

„Und wenn Sie noch etwas in Händen haben – und das haben Sie – dann schicken Sie es ihm je eher je lieber, denn Sie werden schwerlich Gelegenheit finden, ihn persönlich auf der Mühle zu sprechen – er kommt nicht, das ist gewiß.“

Ich verstummte; im Vorzimmer war die Thüre gegangen.

„Anneliese, er hat gehorcht!“ rief die zitternde alte Frau.

„Nun, dann weiß er, woran er ist.“

„Anneliese, ach Gott, wenn Sie wüßten, wie er mich beobachtet, mich bewacht, mich nicht aus den Augen läßt! Er weiß ja, ich halt’s mit dem Robert, und weiß, welchen Einfluß ich auf ihn habe, drum behandelt er mich auch trotz alledem gnädig, drum will er, daß wir nach der Mühle kommen, um mit Robert dort zusammenzutreffen.“

„Da muß er also auch glauben, Base, daß Sie irgend etwas in Händen haben?“

Sie sah in eine andere Ecke und schwieg. „Er wußte, daß Hannchen etwas Derartiges besaß,“ gestand sie dann.

„Die Frau wußte von dem Schurkenstreich?“ rief ich, „Hannchen wußte darum?“

„Ach, sie wußte alles, Annelieseken, und beinahe gestorben ist sie daran. Sehen Sie, damals als der Steckbrief hinter dem Nordmann losgelassen wurde – es ist schwer, davon zu sprechen, Kind, der Wollmeyer hatte den flüchtigen Nordmann selbst angezeigt als Dieb von seines Sohnes Vermögen – da ist die Frau wie irrsinnig gewesen, denn“ – und die Base dämpfte ihre Stimme bis zum leisen Flüstern – „denn Wollmeyer selbst war der Dieb, Anneliese! Aus Hannchens Truhe hat er die paar armseligen Staatspapiere genommen, nachts, als er gedacht, die gute Seele schliefe. Nebenan in der Wohnstube hat der schwere Eichenholzkasten gestanden, und sie ist aufgewacht und hinübergeschlichen und hat ihn da hantieren sehen. Todkrank ist sie geworden noch in der nämlichen Nacht, und als sie nach ein paar Wochen wieder zur Besinnung kam, da war das Unglück geschehen – in allen Zeitungen hatte es gestanden.“

„Und die Frau – die arme Frau?“ stammelte ich.

„Was sie mit ihm geredet, weiß ich nicht, mir gegenüber schwieg sie, erst später erfuhr ich einzelnes. Aber wie gebrochen ist sie seitdem gewesen, das Kind, den Robert, hat sie geliebt, abgöttisch geradezu, als müßte sie an ihm alles wieder gutmachen, was an den Eltern gesündigt worden war.“

„Nun und der Steckbrief?“

„Ach, Anneliese, es war von Wollmeyer wohlweislich so eingerichtet, daß der erst losgelassen werden konnte, als der Arme drüben in Amerika verschwunden war und sich nicht mehr wehren konnte.“

„Es ist ja furchtbar, Base! Und das andere, das Schreckliche, das mit dem Bankrott – wußte das Hannchen auch?“

„Durch einen Zufall kam sie auch hinter diese Schuld ihres Mannes. Ach, Fräulein Anneliese, was haben wir armen Frauensleute durchgemacht seit jenem Tag! Ich hab’ gemeint, die Frau stirbt mir unter den Händen, als sie beim Durchsehen des alten Schreibtisches das Ding fand. Es war damals, als wir eben von der Mühle herunterziehen wollten, hierher. Wollmeyer hatte selbst seine Papiere in eine Kassette geräumt, die er sich eigens für diesen Zweck gekauft hatte, er war immer so eigen und sorgsam mit seinen Briefschaften, seinen Büchern; keine Seele, am allerwenigsten Hannchen, durfte an seinen Schrank. Da kommt sie einmal mit wankenden Knien und aschfahlem Gesicht in mein Stübchen hinauf, Sie wissen, das Giebelstübchen, wo der Lindenbaum durchs Fenster hereinguckt. Ich saß da und ruhte mich ein wenig aus, es war so eine arge Räumerei gewesen. ‚Dorchen, Dorchen!‘ hat sie gekeucht, ,o du Allbarmherziger, womit hab’ ich’s verdient, daß ich so gestraft werde! Ist es nicht genug, daß er das Kind bestiehlt und den Vater beschuldigt als Dieb? Nun auch das noch! Mein Tag werd’ ich nicht wieder froh, denn, siehst Du, Dorchen, jeder Bissen Brot, den wir essen, ist unrecht Gut!‘ Sie können glauben, Fräulein Anneliese, daß mir, wie ich das hörte, das Herz stillgestanden hat vor Schreck. Was die arme Seele durchgekämpft hat in den Jahren, die nun folgten, das ist nicht zu beschreiben. Zuerst hat sie versucht, ihn dazu zu bewegen, sein Unrecht einzugestehen, auf den Knien ist sie vor ihm gerutscht und hat die Hände gerungen – er hat alles geleugnet, hat gedroht, er ließe sie ins Irrenhaus sperren, und wie das nicht half, da hat er sie geschlagen. Das Papier solle sie ihm wiedergeben, das sie gefunben, das sie gänzlich mißverstanden habe, hat er gefordert. Und das mit Robert seinem Vermögen sei gar wahnsinnig, denn damals habe sie schon im Fieber gelegen und sei todkrank gewesen. Aber sie gab das Papier nicht heraus, sie log, es sei verbrannt. In Wahrheit trug sie es bei sich, eingenäht in eine Tasche. Er hat damals schon Kisten und Kästen heimlich mit dem Nachschlüssel geöffnet und nach dem Schriftstück gesucht – allein er fand nichts. Und sie, sie hatte nicht den Mut, den Mann, der ihr angetraut war, den Vater ihres verstorbenen Kindes, anzuklagen. Aber sie waren getrennt für immer, nie hat sie sich überwinden können, wieder ein freundliches Wort zu ihm zu reden. Seine Geschwätzigkeit, seine Phrasen, seine vornehme Art, seine hiesige Stellung beachtete sie gar nicht; unter vier Augen mit ihr wagte er kaum einen Laut zu sagen – er hat ausgekostet, was Verachtung heißt.“

Die alte Frau war ins Erzählen gekommen. Sie saß jetzt neben mir auf dem Fenstertritt, und beim Sprechen wickelte sie die Bänder ihrer Schürze zu kleinen Rollen auf und wieder ab, obgleich die Hände heftig zitterten.

„Base,“ sagte ich, „es ist also wahr, daß er die Nordmanns durch einen falschen Bankrott betrog?“

Sie nickte. „Er hatte ja ein paar Verluste gehabt, aber was will das sagen bei solcher Besitzung! Da ist der Brankwitz gekommen, und der mag ihm den teuflischen Vorschlag zuerst gemacht haben, und, kurz und gut, er war schwach dem Gelde gegenüber.“

„Und der Nordmann hat das natürlich gemerkt und ihn als Betrüger verklagt?“ fragte ich.

„Ja! Und da, mein Gott, da hat er halt das Fürchterliche gethan – da hat er den Eid geleistet, da hat er geschworen, daß er nichts mehr besitze, daß er alles verloren habe. Und aus Rache, sehen Sie, aus Rache stempelte er Nordmann zum Diebe.“

Sie nickte, mit starren Augen.

(Fortsetzung folgt.)


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 846. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_846.jpg&oldid=- (Version vom 31.8.2022)