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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Ausbreitung entgegen zu wirken. Die Forschungen der Gegenwart haben nun dargethau, daß an dem Entstehen des Unterleibstyphus vorzugsweise gewisse kleinste Lebewesen ursächlich beteiligt sind, welche das typhöse Gift fortpflanzen. Diese Typhusbacillen, nur bei schärfster Vergrößerung unter dem Mikroskope wahrnehmbare, sehr bewegliche Spaltpilze in Stäbchenform, sind regelmäßige Begleiter der in Rede stehenden Krankheit und es wird angenommen, daß sie teils aus den Entleerungen von Typhuskranken stammen, teils aus gewissen faulenden Stoffen, welche den Erdboden durchsetzen, daß sie auf mannigfaltigen Wegen, besonders durch Nahrungsmittel, Luft und Wasser in den menschlichen Körper gelangen und diesem das Gift mitteilen. Sorgfältig gesammelte Erfahrungen in vielen Typhusseuchen haben dargethan, daß das in den Entleerungen der Kranken befindliche Gift sich durch lange Zeit, mehrere Monate und selbst Jahre lang, in verheerender Weise wirksam erhält, besonders dann, wenn nicht durch ausgiebige Spülung mit Wasser oder reichlichen Zutritt frischer, wechselnder Luft auf Verdüunung und Entfernung des Giftstoffes hingezielt wird, dieser vielmehr durch Wärme, Feuchtigkeit, in Zersetzung begriffene Stoffe einen günstigen Nährboden bekommt. Krankenwärter, die ihre Hände nicht sorgfältig reinigen, Wäscherinnen, welche sich mit der Wäsche der Kranken beschmutzt haben, Trinkwasser, das aus einem auf diese Weise verunreinigten Brunnen stammt, Milch, die mit solchem Wasser gemischt wurde, übertragen und verbreiten hauptsächlich das typhöse Gift, sind die Ursache der Entwicklung einer Epidemie. Dieses Krankheitsgift entwickelt sich aber auch selbständig in faulenden Substanzen, besonders wenn Wärme und eine nicht zu große Menge von Flüssigkeit die Brutstätten dafür günstig gestalten, die Fäulnis und Gährung im Boden fördern, und die Verbreitung geschieht am häufigsten durch das Trink- oder Nutzwasser. Senkgruben in der Nachbarschaft der Wohnräume, Schlammablagerung in den Abzugskanälen, Behälter mit faulenden Pflanzenstoffen, in der Nähe befindliche Friedhöfe sind oft als Entwicklungsstätten des Typhusgiftes unwiderleglich nachgewiesen worden. Weniger sicher ist die Annahme von dem besonderen Einflusse des Standes des Grundwassers auf Beförderung und Verbreitung des Krankheitskeimes, obgleich gewichtige Forscher einen solchen Zusammenhang betonen und meinen, daß ein tiefer Grundwasserstand die Verbreitung des Typhus am meisten begünstige, ein hoher Grundwasserstaud der Ausbreitung der Krankheit hinderlich sei. Ergebnis der Beobachtung ist es ferner, daß die Zahl der Typhuserkrankungen im Herbste am größten, im Frühjahre am geringsten ist, daß ein besonders heißer und trockener Sommer die Krankheit mehr fördert, als wenn die Sommermonate kühl und reich an Regen sind.

Wie bei jeder Krankheit ist auch beim Typhus die persönliche Empfänglichkeit des Einzelnen für das Krankheitsgift von Ausschlag gebender Wichtigkeit. Nicht jedermann ist gleich empfänglich, den Giftkeim in sich aufzunehmen und zur Entwicklung zu bringen. Eigentümlicherweise ist gerade das beste Lebensalter dieser Erkrankung am meisten unterworfen und sind sonst gesunde kräftige Individuen für dieselbe empfänglicher als zarte schwächliche Personen. Hingegen ist es sicher, daß mäßig lebende, die körperliche Reinlichkeit sehr sorgsam pflegende Menschen seltener ergriffen werden als solche, welche an ihre Verdauungsorgane große Zumutungen stellen, sich dem Trunke ergeben, in schlecht gehaltenen Wohnungen leben und sich minder rein halten. Viel vermag der Einzelne darum durch geeignete Lebensweise und zweckentsprechende Verhütungsmaßregeln zu thun, um sich zur Zeit einer Typhusepidemie vor Erkrankung zu schützen. Da Wasser, Milch und andere Nahrungsmittel sowie die Luft hauptsächlich die Verbreiter des Giftes sind, so muß der Mitteilung des letzteren auf den bezeichneten Wegen vorgebeugt werden. Verdächtiges Wasser darf in dem Zustande, wie es aus dem Brunnen oder der Leitung zum Gebrauche gelangt, weder getrunken, noch zum Waschen, zum Mundausspülen etc. benutzt, sondern es muß vor der Benutzung gründlich gekocht und dann abgekühlt werden. Durch die Siedehitze werden die im Wasser enhaltenen Schädlinge am sichersten vernichtet, während alle Zusätze von Wein, Fruchtsaft es zwar wohlschmeckend, aber nicht frei von den Giftkeimen machen. Ein gutes wohlschmeckendes Ersatzmittel für solch abgekochtes Wasser sind die natürlichen, an Kohlensäure reichen, keimfreien Sauerbrunnen, an denen ja in Deutschland und Oesterreich-Ungarn kein Mangel herrscht, die aber allerdings noch immer ein viel zu kostspieliges Getränk bilden. In gleicher Weise wie das Wasser muß die Milch vor dem Genusse abgekocht werden, während andere Nahrungsmittel, wie Brot, Obst, vor jeder Verunreinigung sorgfältig zu schützen sind. Ebenso ist für Reinhaltung der Luft durch gehörigen Wechsel derselben in den Wohnräumen, durch Vermeiden der Ueberfüllung der Schlafstätten, durch Entfernung aller Ablagerungen von Abfällen, Dünger und Schmutz aus der Umgebung der Häuser zu sorgen. Was der Einzelne nicht zu leisten vermag und was die Aufgabe eines gut geleiteten Gemeinwesens bildet, das sind die Vorbeugungsmaßregeln, welche in Beschaffung eines guten, von Fäulnisstoffen freien Trinkwassers, am besten von Hochquellwasser, in geregelter und schneller Abführung der Auswurfstoffe, in Reinhaltung der Straßen, in geeigneter Vorsorge für Armenpflege und Krankenbehandlung, in entsprechender Anlage der Kirchhöfe bestehen.

In letzterer Beziehung scheint bei der in jüngster Zeit so lebhaft erörterten Frage, ob es zweckentsprechender und für die Gesundheit der Bevölkerung angemessener sei, die Leichen zu verbrennen statt zu begraben, der Hinweis von Wichtigkeit, daß in vielen Städten gerade die Friedhöfe den Anlaß zu stetig sich erneuernden Typhusepidemien geben. Es geschieht dies besonders dann, wenn der Friedhof hoch gelegen und auf einem für Wasser durchlässigen Boden errichtet ist, während unterhalb desselben an vertiefter Stelle die Wohnhäuser erbaut wurden. Da bringt das Wasser, welches auf der Begräbnisstätte faulende, in Zersetzung befindliche Stoffe aufgenommen hat, in den Untergrund der Häuser und verbreitet von hier durch die Brunnen oder mittels der Luft die schädlichen Keime, welche das Typhusgift dem Menschen zuführen. –

Ist ein Typhusfall vorgekommen, so müssen alle Bemühungen dahin gerichtet sein, daß derselbe vereinzelt bleibe, daß es von ihm aus nicht zu Massenerkrankungen komme. Der Erkenntnis entsprechend, daß die Entleerungen eines solchen Kranken das typhöse Gift fortpflanzen, muß man dieses möglichst gründlich zu vernichten trachten. Das geschieht am zweckmäßigsten, wenn man den Ausleerungen gleich frisch bereitete starke Kalkmilch in derselben Menge zusetzt und alles eine halbe Stunse stehen läßt; Kalkmilch wird aus gelöschtem Kalk durch Aufgießen von Wasser und Umrühren rasch hergestellt, ist übrigens auch schon zubereitet sehr billig in jeder Apotheke und jedem Droguengeschäfte zu haben. Ferner muß man in den Aborten selbst für reichliche Wasserspülung und Zusatz von fünfprozentiger Karbollösung oder zweiprozentiger Lysollösung sorgen, die beschmutzte Wäsche des Kranken, getrennt von der anderen Wäsche, in ebensolche desinfizierende Lösungen legen und dann sorgfältig mit kochendem Wasser brühen, endlich muß man mit peinlicher Genauigkeit darauf achten, daß jede mit dem Kranken in Berührung kommende Person sich grüudlich reinigt, namentlich die Hände wiederholt mit Seife wäscht und daß in dem Krankenzimmer weder eine Speise gekocht, noch von Gesunden genossen wird. Wo die Verhältnisse es nicht gestatten, diese Vorbeugungsmaßregeln im Hause durchzuführen, oder wo die Gefahr der Uebertragung auf viele andere Personen vorliegt, wie in Gasthäusern, Schulgebäuden, Erziehungsanstalten, Kasernen, dort ist es geboten, den Kranken zu entfernen und in ein für ansteckende Krankheiten besonders zugerichtetes Spital zu bringen. Die verlassene Wohnung ist dann einer eingehenden Reinigung zu unterziehen, der Fußboden soll gehörig mit Seife abgewaschen, die Zimmerwände mit Brot abgerieben. das gebrauchte Bettzeug (Matratzen, Federbetten, Wäsche) mit Dampf behandelt werden. So geliugt es, die Umgebung des Kranken zu schützen.

Der Unterleibstyphus selbst ist eine der schlimmsten, das Leben bedrohenden Fieberkrankheiten, schleichend im Beginne, heimtückisch im Verlaufe, unberechenbar in den Folgen. Bevor das Gift, das in den Körper eingedrungen ist, sich durch den Sturm der fieberhaften Erscheinungen kundgiebt, verlaufen gewöhnlich zehn bis vierzehn Tage des Unbehagens, welches zumeist nicht als Vorläufer einer ernsten Erkrankung angesehen wird, ein Umstand, der manches Ungünstige mit sich briugt. Die Empfindung von Mattigkeit, Unlust zur Arbeit, Kopfweh, Appetitlosigkeit sind Erscheinungen, welche auch für den Arzt kein sicheres Zeichen geben, und erst das Thermometer bringt die Entscheidung. Die Erhöhung der Körperwärme hat nämlich beim Beginne des Typhus einen kennzeichnenden Verlauf, sie zeigt in der ersten Krankheitswoche von Tag zu Tag eine Steigerung, wobei des Morgens ein Abfall und des Abends eine Erhöhung der Temperatur stattfindet. Nun werden auch

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 854. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_854.jpg&oldid=- (Version vom 17.5.2023)