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Die Kaiserin Katharina II. von Rußland vor ihrer Thronbesteigung.

Von Eduard Schulte.

Das Leben jener Herrscherin, die, einem deutschen Fürstenhause entsprossen, im Jahre 1762 an der Seite ihres Gatten den russischen Thron bestieg und dann nach Verdrängung des Gemahls als Katharina II. Selbstherrscherin von Rußland wurde, entrollt uns ein hervorragendes Kulturbild aus dem achtzehnten Jahrhundert, in dem neben den dunklen Schatten die Lichtseiten nicht fehlen. Uns sollen hier die Anfänge ihrer glänzenden Laufbahn beschäftigen.

Wer um das Jahr 1740 zur Sommerszeit nachmittags den Stadtgarten von Stettin betreten hätte, dem wäre vielleicht unter den dort umherspielenden Kindern eine Gruppe von zehn- bis zwölfjährigen Mädchen aufgefallen, kleinen Freundinnen, die zu einander hielten. Vielleicht hätte er bemerkt, daß eine von ihnen mit dem Namen „Fieke“, als Abkürzung von „Sophie“, oder „Sophiechen“, gerufen wurde und daß die so Gerufene, die Munterste und Ausgelassenste in der Gruppe, die gemeinsamen Spiele angab und leitete. Diese „Fieke“ war die spätere Kaiserin Katharina von Rußland. „Fieke“ fühlte früh einen natürlichen Beruf, führend aufzutreten, und überdies gab ihr der Rang ihrer Eltern, wenn er auch im Vergleich zu der späteren Kaiserwürde der Tochter bescheiden war, ein gewisses Uebergewicht über ihre Spielgefährtinnen. Ihr Vater war ein Fürst von Anhalt-Zerbst und befehligte, in preußischen Diensten stehend, ein Regiment Infanterie in Stettin; später wurde er Gouverneur der Stadt und stieg zum Feldmarschall auf. Die Mutter war eine geborene Prinzessin von Holstein-Gottorp. Die Eltern verwöhnten ihre Tochter Sophie, die am 2. Mai 1729 in Stettin geboren war und noch vier jüngere Geschwister hatte, in keiner Weise; sie ließen ihre Kinder aufwachsen, wie es in anderen Offiziersfamilien auch üblich war. Wenn Sophie einmal das stolze Dämchen spielen wollte, wozu sie Neigung hatte, kam sie bei der Mutter übel an. Die Einkünfte des Fürsten, dem die Regierung von Zerbst erst später zufiel, waren unbedeutend und bestanden zu einem wesentlichen Teil in dem Offiziersgehalt. Immerhin waren die Eltern in der Lage, ihren Kindern gute Lehrer zu halten. Sophie lernte leicht und wußte sich die französische Sprache schnell zu eigen zu machen. Ueber ihr Aeußeres sagt eine Dame, welche sie in Stettin sah, folgendes: „Sie war vortrefflich gebaut, zeichnete sich schon als Kind durch eine edle Haltung aus und war groß für ihr Alter. Der Ausdruck ihres Gesichtes war nicht gerade schön, aber angenehm; ihr offener Blick und ihr liebenswürdiges Lächeln gaben ihrer ganzen Person etwas sehr Anziehendes.“

Die ersten Jugendjahre flossen für die Prinzessin Sophie ohne außerordentliche Erlebnisse dahin. Eine willkommene Unterbrechung des Alltagslebens in Stettin brachten die wiederholten Besuche, welche die fürstliche Familie an den Höfen von Zerbst, von Braunschweig, von Berlin und bei der holsteinischen Familie in Eutin abstattete. Sophie lernte dabei den jungen Fürsten persönlich kennen, der später Friedrich der Große hieß.

Zehn Jahre alt, sah sie in Eutin einen entfernten Vetter aus der Familie ihrer Mutter, den damals elfjährigen Herzog Peter von Holstein, der unter einer für ihn regierenden Vormundschaft stand. Dessen Mutter war eine der Töchter Peters des Großen und also eine Schwester jener Elisabeth, welche 1741 den russischen Thron bestieg. Bei dieser ersten Begegnung zwischen den Kindern konnte schwerlich jemand deren gemeinsame Zukunft voraussehen: nach ihrer Thronbesteigung berief die Kaiserin Elisabeth ihren Neffen als Thronfolger nach St. Petersburg, Sophie wurde 1745 sein Weib, er selbst 1762 als Peter III. Kaiser von Rußland; er ist der Ahnherr der noch jetzt regierenden Zarenfamilie. Doch greifen wir den Ereignissen nicht vor. –

Sophiens Mutter, die als holsteinische Prinzessin geborene Fürstin von Zerbst, sah die Berufung des Herzogs Peter nach der russischen Hauptstadt mit Genugthuung und knüpfte an die ihr bekannte Hinneigung der Kaiserin zu der holsteinischen Familie weitere Hoffnungen für die Ihrigen. Sie schickte der Herrscherin einen Glückwunsch zur Thronbesteigung, und Elisabeth schenkte ihr dafür ihr Bild, das mit Diamanten im Werte von 18 000 Rubeln eingefaßt war. Die Fürstin von Zerbst sandte zum Dank ein Porträt ihrer Tochter Sophie nach St. Petersburg, das sowohl der Kaiserin als dem herzoglichen Großfürsten sehr gefiel. Elisabeth fing bereits an, sich nach einer Braut für den Thronfolger umzusehen. Der Vicekanzler Bestushew, der Leiter der auswärtigen Angelegenheiten, war für eine sächsische Prinzessin, der holsteinische Hofmarschall des Thronfolgers, Graf Brümmer, Elisabeths Arzt und Günstling Lestocq, der preußische Gesandte von Mardefeld und der französische Gesandte Marquis de la Chétardie, die eng verbündet waren und den Einfluß Bestushews bekämpften, verwiesen auf die Prinzessin von Zerbst. Für letztere entschied sich, mehr durch eigene Erwägungen als durch fremde Einflüsse bestimmt, die Kaiserin Elisabeth.

Während die Fürstin von Zerbst der Entschließungen der Zarin harrte, beschäftigte sich die Einbildungskraft der Prinzessin Sophie lebhaft mit der schönen russischen Herrscherin, die so reichlich schenken konnte, und mit der glanzvollen Kaiserstadt an der Newa. Da traf am Neujahrstag 1744 in Zerbst, wo die ganze fürstliche Familie versammelt war, aus St. Petersburg für die Fürstin ein Brief ein, worin der Hofmarschall Brümmer sie im Auftrage der Kaiserin einlud, mit ihrer Tochter Sophie ohne Verzug nach Petersburg zu kommen. Die Kaiserin habe gewichtige Gründe, zu wünschen, daß die Fürstin ihren Gemahl nicht mitbringe. Wahrscheinlich wollte Elisabeth die fremden Einflüsse, die sie, hierin ganz Altrussin, nicht liebte, durch die Anwesenheit des Fürsten nicht noch gemehrt sehen; war das Kommen der Fürstin unvermeidlich, so mochte es daran auch genug sein. Der Zweck der Reise war so durchsichtig, daß Brümmer es nicht für nötig hielt, ihn besonders zu erwähnen. Auf die schwach bestellte Kasse der Fürstin Rücksicht nehmend, schrieb er: „Damit sich Euerer Durchlaucht keine Hindernisse in den Weg stellen, damit Sie für sich und die Prinzessin, Ihre Tochter, einige Toiletten anschaffen und die Reise ohne Zeitverlust unternehmen können, habe ich die Ehre, diesem Brief einen Wechsel beizulegen, auf welchen Sie beim Vorzeigen desselben sofort Geld ausgezahlt erhalten werden. Die Summe ist freilich sehr bescheiden; allein ich muß Euerer Durchlaucht sagen, daß dies mit Absicht geschieht, damit die Zahlung einer großen Summe nicht denen in die Augen fällt, die alle unsere Handlungen beobachten.“ Ferner schlug Brümmer vor, die Abreise möglichst geheim zu halten und bis Riga unter dem Namen einer Gräfin Reinbeck zu reisen.

Wenige Stunden nach diesem Briefe lief ein Schreiben Friedrichs des Großen ein, welcher der Fürstin die Absicht der Zarin, die Prinzessin Sophie mit dem Thronfolger zu vermählen, offen mitteilte, sich des Verdienstes, die Augen auf die junge Dame gelenkt zu haben, in wohlberechneter Weise rühmte und ebenfalls Geheimhaltung empfahl. Er sowohl wie Brümmer wünschten jedenfalls, etwaigen Gegenwirkungen, die von anderen Höfen gegen den Heiratsplan unternommen werden konnten, zuvorzukommen. Eine preußische Prinzessin, etwa eine seiner Schwestern, nach Rußland zu verheiraten, hatte Friedrich ausdrücklich abgelehnt, da ihr Los dort ihm zu unsicher schien. Aber es war ihm recht, daß die Prinzessin eines Hauses, das er dem preußischen Interesse zugeneigt glaubte, die Brautfahrt nach St. Petersburg unternahm.

Die Fürstin von Zerbst hatte nicht das leiseste Bedenken. Sie sah in der Verbindung ihrer Tochter mit dem russischen Thronfolger nur eine glänzende, für eine Prinzessin aus armem Fürstenhause doppelt wünschenswerte Versorgung. Sie packte ihre Koffer, und es klingt wie eine Erklärung und Entschuldigung für die Freudigkeit, mit der sie einpackte, wenn wir erfahren, daß sie für ihre „Fieke“ weiter nichts mitnahm als drei bis vier Kleider, ein Dutzend Hemden, einige Paar Strümpfe und wenige Taschentücher. Das war alles. Wie die Kaiserin Elisabeth das Reisegeld bezahlte, so gab sie später in St. Petersburg auch die Geldsummen, welche nötig waren, um die Fürstin und ihre „Fieke“ einigermaßen standesgemäß einzukleiden. Wie gut kannte der Hofmarschall Brümmer die Gedanken und Entschließungen der Fürstin, wenn er der Kaiserin Elisabeth auf die Frage, wann die Damen aus Zerbst wohl eintreffen würden, antwortete: „Ihrer Durchlaucht fehlen nur die Flügel, sonst würde sie zu Eurer Majestät geflogen kommen!“

Nicht ganz wohl bei der Sache war es dem Vater der Prinzessin, dem Fürsten von Zerbst. Der Frau Gemahlin gegenüber mochte er nur eine beratende Stimme haben. Sollte aber die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1894, Seite 867. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_867.jpg&oldid=- (Version vom 28.6.2023)