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selbst die Nachtstunden zu Hilfe, und da sie sich dabei gegen den Frost nicht hinreichend schützte, erkältete sie sich und verfiel in eine langwierige lebensgefährliche Krankheit. Aus Besinnungslosigkeit erwachend, wünschte sie ihren neuen Religionslehrer zu sprechen. War sie von seinem Unterricht nicht durchgängig erbaut – denn der Gedanke an den Glaubenswechsel hatte doch viel Peinliches für sie – so hatte ihr immerhin sein gewinnendes Wesen zugesagt. Die Kaiserin erblickte in diesem Wunsche ein vollgültiges und willkommenes Zeichen innerer Bekehrung; dadurch und weil es bekannt war, daß die Prinzessin sich ihre Krankheit durch ihre Bemühungen um die Erlernung der russischen Sprache zugezogen hatte, gewann sie die Zuneigung der Kaiserin. Auch bei Hofe und unter dem Volke erregte sie Teilnahme, die sie nach ihrer Genesung, körperlich nun völlig erwachsen, durch vorsichtiges und leutseliges Verhalten zu steigern wußte. Die Kaiserin hielt sie jetzt der Ehre für würdig, die sie ihr zugedacht hatte. Der Vorschlag der Fürstin von Zerbst, den diese aus Rücksicht auf den Wunsch ihres Gemahls vorbrachte, aber wohl selbst nicht ernstlich meinte: auf einen Glaubenswechsel ihrer Tochter zu verzichten, wurde abgewiesen, und so trat die junge Prinzessin, die fortan den Namen Katharina führte, am 9. Juli 1744 öffentlich zur griechischen Kirche über. Am folgenden Tage fand die Verlobung mit dem Großfürsten Peter statt. Daß die Kaiserin ihr in dieser Zeit die Thronfolge zugesichert habe, falls der Großfürst vor ihr sterbe, hat die neuere Forschung als irrig erwiesen. Die Kaiserin schenkte der Braut ein Heiligenbild mit Brillanten für mehrere 100 000 Rubel und dem Brautpaare Ringe für etwa 50 000 Dukaten. Katharina führte nun den Titel Großfürstin und Kaiserliche Hoheit. Sie bekam einen Hofstaat und jährlich 30 000 Rubel „Nadelgeld“.

Der Großfürstin Katharina blieben in ihrer neuen glänzenden Stellung mancherlei bittere Erfahrungen nicht erspart. Sie hatte bisher kaum über einige Thaler verfügen können und verstand noch nicht, mit dem Gelde umzugehen, ja sie wurde auch späterhin nicht sparsam und kam sogar durch heimliche Anleihen in eine gewisse Abhängigkeit vom englischen Gesandten. Durch ihre Umgebung wurde sie zu kostspieligen Einkäufen verleitet, sie selbst erfreute gern durch Geschenke. Dabei geriet ihre Kasse in Bedrängnis. Die Kaiserin erfuhr davon und ließ ihr deshalb Vorwürfe machen. Der Großfürst war dabei zugegen und stimmte lebhaft mit ein, denn um der Kaiserin zu gefallen, stellte er sich stets auf ihre Seite. Jede Spur von Unmut, welche sich auf der Stirn der Kaiserin zeigte, fand zudem in der Schadenfreude der nicht betroffenen Höflinge ihren Wiederschein.

Erstaunt und nachdenklich betrachtete Katharina das alles. Sie sah, wie abhängig sie war und wie einsam sie trotz der launischen Gunst der Kaiserin dastand. Zugleich erkannte sie täglich mehr, daß am wenigsten ihre Mutter befähigt war, ihr einen Rat zu erteilen, vielmehr durch ihr Verhalten ein warnendes Beispiel dafür gab, wie man an diesem Hofe nicht auftreten durfte.

Wenn man die Briefe liest, welche die Fürstin von Zerbst an ihren Gemahl, an Verwandte in Deutschland und Schweden sowie an Friedrich den Großen schrieb, so sieht man, daß die Auffassung, welche sie von der Bedeutung ihrer Person und ihrer Sendung in Rußland hatte, eine ungemein hohe war; der Tochter that sie dabei nur ganz beiläufig Erwähnung. Sie, die erst 32 Jahre alt war, betrachtete sich als die Hauptperson und konnte sich, wie das einer Frau in mittleren Jahren wohl begegnet, schon an den Gedanken nicht gewöhnen, daß ihre Tochter allmählich heranwuchs und an ihr vorbei in den Vordergrund rückte. So ließ sie sich zum Beispiel von der armen Fieke, die von ihr auch noch in Rußland bei jeder Gelegenheit Ohrfeigen bekam, ein Stück guten Kleiderstoffes schenken, das die Kleine als ein Geschenk ihres Oheims für sich mitgebracht hatte; trotz einiger bescheidener Einwendungen der Tochter prangte nun die Mama in diesem Kleide. Nur das herrlichste Gewand des zerbstischen Kleiderbestandes ziemte einer Dame, die in Rußland eine gewaltige Staatsaktion vornehmen wollte! Sie hatte ausgesprochenermaßen die Absicht, den Vicekanzler Bestushew zu stürzen, das russische Reich einem preußisch-französisch-schwedischen Bündnis dienstbar zu machen, gewisse Schwierigkeiten in den Besitzverhältnissen von Holstein und Kurland zu ordnen und Rußland in eine andere Bahn der Entwicklung zu drängen. Zerbst verhandelte hier mit Rußland, und das Mißverhältnis der äußeren Machtmittel wurde dadurch mindestens ausgeglichen, daß das geistige und sittliche Uebergewicht offenbar auf seiten von Zerbst zu finden war. So dachte wenigstens die Fürstin. In Rußland hatten die Leute nun freilich ganz andere Ansichten.

Die Kaiserin Elisabeth sah in der Fürstin anfangs eine liebe Verwandte, die ihr als Schwester ihres verstorbenen Bräutigams doppelt wert war. Aber als sie nun erfuhr, daß die Fürstin mit den Feinden Bestushews, mit Brümmer und Lestocq, mit den Gesandten Mardefeld und Chétardie heimliche Unterredungen hatte und mit diesen Herren sowie mit dem Könige von Preußen in eifrigem Briefwechsel stand, verlor sie die Geduld. Sie stellte die Fürstin zur Rede und eröffnete ihr, es stehe ihr schlecht an, sich in Dinge zu mischen, die sie nichts angingen; sie möge sich diese Bemerkung als Lehre für die Zukunft dienen lassen. Die Fürstin fiel aus allen Himmeln und stammelte thränenden Auges Entschuldigungen. Es war ihr entgangen, daß der Vicekanzler alle Briefe, die sie zur Post gab, sofort fein säuberlich öffnen und genau abschreiben ließ, so daß die Kaiserin sie schon bald nach der Einlieferung an die Post lesen konnte. Der französische Marquis Chétardie, der sein Beglaubigungsschreiben noch nicht überreicht hatte und also durch das Gesandtenrecht noch nicht geschützt war, erhielt den Befehl, binnen vierundzwanzig Stunden seine Heimreise anzutreten. Später wurden auch Lestocq und Brümmer vom Hofe entfernt. Gegen das preußische Interesse wurde ein Vertrag mit Oesterreich geschlossen, und Bestushew erhielt seine Ernennung zum Großkanzler. Da die Fürstin sich durch diese Vorgänge noch immer nicht belehren ließ und bald von neuem zu intrigieren anfing, so wurde die Hochzeit des großfürstlichen Paares, obwohl der Großfürst noch einem Knaben glich, beschleunigt und damit der Fürstin die Veranlassung zu längerer Anwesenheit entzogen. Sie wurde zur Abreise reichlich beschenkt, und als sie im Oktober 1745 nach Riga kam, erreichte sie ein Brief der Kaiserin, worin die Bitte ausgesprochen war, sie möge bei ihrer Ankunft in Berlin Seiner preußischen Majestät im Namen der Kaiserin den Wunsch vorlegen, den Gesandten Mardefeld abzuberufen. Die Bitte war äußerst höflich abgefaßt, aber der Hohn und die Ironie, die in dem Auftrage selbst lagen, da die Fürstin mit König Friedrich und Mardefeld im Bunde gestanden hatte, waren vernichtend. Friedrich, der, in Schlesien kämpfend, das Vorgefallene brieflich erfuhr, war nicht wenig verwundert darüber, da er nach den Briefen der Fürstin hatte glauben müssen, daß sie die Herrin der Lage sei. In Wahrheit ist er nie in seinem Leben so unglücklich vertreten worden wie durch die Fürstin. Ihre Staatsaktion konnte nicht kläglicher endigen.

Am 1. September 1745 hatte die Trauung des siebzehnjährigen Großfürsten, der noch im letzten Jahre mehrere schwere Erkrankungen zu überstehen gehabt, mit der sechzehnjährigen Großfürstin zu St. Petersburg stattgefunden. Das junge Paar wohnte, wenn der Hof in einem der St. Petersburger Schlösser weilte, immer unter demselben Dache mit der Kaiserin. Katharinas Aufgabe war keine leichte. Ihr Gemahl langweilte sie damit, in den wenigen Zimmern, die ihnen beiden zur Verfügung standen, seine Bedienten zu exerzieren und eine Meute Hunde, die nachts in der Nähe des Schlafzimmers untergebracht wurde, abzurichten. Einmal traf sie ihn damit beschäftigt, eine Ratte, welche die ihm zum Spielzeug dienende hölzerne Festung benagt hatte und dabei von einem seiner Hunde ergriffen worden war, auf Grund eines standrechtlichen Erkenntnisses zu henken. Im Winterpalais, wo er Wand an Wand mit der Kaiserin wohnte, berief er eines Abends die Herren und Damen seines Hofes zu sich, um ihnen, was er gern that, eine Vorstellung auf seinem Puppentheater zu geben. Für das Vorspiel des Stückes verwies er sie auf eine verschlossene Thür desselben Zimmers, welche in das Speisezimmer der Kaiserin führte. Er hatte die Thür über und über mit Löchern durchbohrt, und die Zuschauer konnten die Kaiserin mit ihrem Hofe speisen sehen. Die Großfürstin, welche er ebenfalls zum Zuschauen herbeirief, erschrak, als sie hörte, um was es sich handle, erklärte, daß sie an diesem unpassenden und gefährlichen Zeitvertreib, welcher der Kaiserin bei so viel Zeugen schwerlich verborgen bleibe, nicht teilnehmen werde, und ging in ihr Zimmer zurück. Die Kaiserin hörte von dem Vorgefallenen und machte dem Großfürsten persönlich heftige Vorwürfe, ja, sie verstieg sich zu der Aeußerung, daß sie ihn seiner Streiche wegen noch vom Throne ausschließen werde. Aehnliche Auftritte und Drohungen fielen öfters vor und kamen durch die Diplomaten zur Kenntnis

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verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1894, Seite 871. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_871.jpg&oldid=- (Version vom 22.9.2023)