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der fremden Höfe. Daß die Großfürstin diesem Gatten nicht innerlich nahe stehen konnte, ist begreiflich. Die Neigung, die er ihr anfangs gezeigt hatte, erkaltete schnell. An der Seite dieses Gatten ist dann freilich auch die Großfürstin nicht vorwurfsfrei geblieben.

Die Kaiserin war zu unbeständig, als daß ihr Verhältnis zu der Großfürstin auf die Dauer ungetrübt hätte sein können. Katharina durfte mit ihrer Mutter, der sie trotz der Entfremdung vor der Trennung mit großer Anhänglichkeit zugethan blieb, keinen Briefwechsel führen. Wollte sie eine Nachricht geben, so wurde der Brief vom Auswärtigen Amte aufgesetzt und enthielt einige nichtssagende Redensarten; sie durfte nur ihren Namen darunter schreiben. Diesem Zwange gegenüber hielt sie es für erlaubt, sich um die Ermöglichung eines unbehinderten Briefwechsels zu bemühen; eine Zeit lang steckte sie bei Hofkonzerten einem eingeweihten Geigenspieler, der weitere Verbindungen hatte, ihre in kleine Röllchen gewickelten Briefe in die Rocktasche, während sie hinter dem Stuhl, wo er saß, scheinbar harmlos vorbeiging. Ihre Vorsicht und ihre immer weiter greifende Beliebtheit schützten sie bei dieser und mancher anderen Heimlichkeit. Schon erkannten die Staatsmänner und die Gesandten, daß sie, ganz anders geartet als ihr Gemahl, eine Frau war, mit der man rechnen konnte und vielleicht einmal rechnen mußte. Seit 1753 näherte sie sich dem Kanzler Bestushew, der ihrem Hause abgeneigt gewesen war, weil es die preußischen Interessen vertrat, aber nicht ihr persönlich: er blieb ihr fortan ergeben.

Nachdem das großfürstliche Paar neun Jahre verheiratet gewesen war, erfolgte am 1. Oktober 1754 die Geburt eines Knaben, des Großfürsten Paul. Die junge Frau hatte nicht das Glück, für ihr Kind selbst sorgen zu dürfen. Die Kaiserin Elisabeth hätte es als eine Schädigung ihres Ansehens und ihrer Macht betrachtet, wenn sie den kleinen Großfürsten nicht in ihrem Zimmer und unter ihren Augen hätte aufwachsen sehen; nur ihr sollte, wenn er zum Bewußtsein erwachte, seine kindliche Zuneigung gelten. Der Mutter wurde er gleich nach der Geburt genommen; sie durfte ihn erst nach sechs Wochen und von da ab nur in Zwischenräumen von mehreren Monaten sehen, und auch dann nur flüchtig. Um seine Pflege hatte sie sich nicht zu bekümmern. Auch von dem zweiten Kinde, der im Jahre 1757 geborenen Großfürstin Anna, wurde Katharina in gleicher Weise ferngehalten.

Kaiserin Katharina II. von Rußland
im Alter von 19 Jahren.
Nach dem Gemälde von v. Grooth.

Keine Entschädigung für die Sorge um ihr Kind, aber doch eine Gelegenheit zu nützlichem Wirken fand die Großfürstin in demselben Jahre 1754 durch die Uebernahme der holsteinischen Regierungsgeschäfte. Ihrem Gemahl waren sie lästig geworden, und er bat Katharina, sie ihm abzunehmen. Sie erfüllte seine Bitte, nachdem er ihr die nötige Vollmacht ausgestellt hatte. Bei ihrer Neigung zur Gründlichkeit ließ sie sich von den holsteinischen Beamten über die Fragen der Finanzen, der Rechtspflege, der Kirchen- und Schulangelegenheiten, der Handelspolitik, kurz über alle Zweige der Staatsverwaltung eingehend unterrichten und führte nun die Geschäfte mit erstaunlicher Arbeitslust und Arbeitskraft. Ihre mehrjährige Regierung über Holstein war für sie eine Vorschule für die Regierung von Rußland. Kaum je hat eine Fürstin einen Thron so gut vorbereitet bestiegen wie Katharina.

Mit der ernsten Beschäftigung stellte sich auch das Bedürfnis ernster Lektüre ein. Vor allen alten und neuen Schriften bevorzugte sie die Geschichtswerke des Tacitus und den „Geist der Gesetze“ von Montesquieu, Werke also, die meist auf Frauen nur geringe Anziehungskraft auszuüben pflegen. Montesquieus gehaltvolles Buch, das die Höhe der staatsphilosophischen Einsicht des achtzehnten Jahrhunderts darstellt, wurde ihr so wert, daß sie es ihr „Gebetbuch“ nannte; sie lernte daraus das Regieren als eine verantwortungsvolle Pflicht betrachten.

Die schwersten Zeiten, die Katharina verlebte, fallen in die Jahre 1757 bis 1760. Eine plötzliche ernste Erkrankung der Kaiserin im Jahre 1757 gab der Frage der Thronfolge, über die nach einem Ukas von 1722 das Staatsoberhaupt allein zu verfügen hatte, eine erhöhte Wichtigkeit. Der von der Kaiserin zum Erben eingesetzte Großfürst Peter erfreute sich keiner Zuneigung. Daß er Friedrich den Großen nicht nur bewunderte, sondern auch mit ihm, obwohl Rußland seit 1756 Krieg gegen Preußen führte, in brieflichem Verkehr stand, entfremdete ihm die russischen Staatsmänner, und daß er am liebsten preußische Uniform trug und auf preußischem Fuß exercierte, mißfiel dem gemeinen Manne. Trotzdem hatte die Kaiserin ihre wiederholt ausgesprochene Drohung, ihm sein Thronrecht wieder zu entziehen, nicht verwirklicht. Was geschah, wenn sie plötzlich starb? Der Kanzler Bestushew suchte brieflich das Einverständnis der Großfürstin für den Plan nach, sie unmittelbar nach dem Tode Elisabeths zur Mitregentin des neuen Kaisers ausrufen zu lassen. Trotz ihrer Verbindungen mit einflußreichen Personen wagte sie jedoch nicht, ihre Zustimmnng auszusprechen, und unmittelbar darauf gelang es ihren und Bestushews Feinden, das zwischen ihr und ihm bestehende stille Bündnis durch den Sturz Bestushews unwirksam zu machen. Der Rückzug des russischen Feldmarschalls Apraxin bald nach dem Siege, den er bei Großjägerndorf gegen den preußischen Feldmarschall Lehwald im Jahre 1757 gewonnen hatte, wurde nämlich böswillig dem Kanzler in die Schuhe geschoben; es hieß – und irrigerweise wird noch jetzt so erzählt – Bestushew habe den Rückzug angeraten, im Hinblick auf die Erkrankung der Kaiserin und den scheinbar nahegerückten Thronwechsel, der den preußisch gesinnten Großfürsten zur Herrschaft gebracht hätte. Während aber die Erkrankung der Kaiserin am 19. September erfolgte, ist der Rückzug der russischen Armee schon am 7. September im versammelten Kriegsrat beschlossen worden, und zwar wegen der traurigen Lage, in welcher das durch die zwar siegreiche, aber blutige Schlacht geschwächte Heer sich befand. Umgekehrt hat Bestushew, um den Feldmarschall Apraxin von jenem Verdacht zu reinigen, die mit Apraxin wie mit ihm befreundete Großfürstin veranlaßt, den Feldherrn in einem Briefe vor der Fortsetzung des Rückzuges, von dem man in Petersburg hörte, zu warnen. Die Feinde Bestushews und der Großfürstin erhielten von diesem Briefe eine unsichere Kunde und stellten, den Thatbestand verdrehend, der Kaiserin das Verhalten beider als verräterisch dar. Es gelang diesen Feinden freilich nicht, die Sache zu beweisen, dagegen wurde immerhin ein gewisses Einverständnis zwischen Bestushew, Apraxin und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1894, Seite 872. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_872.jpg&oldid=- (Version vom 22.9.2023)