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verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

der Böse, vor dem die drunten, die nie etwas Böses gethan, voll Abscheu das Antlitz wenden würden. Nein, er mußte wieder gehen, er durfte ihnen nicht vor die Augen treten, nur warten wollte er noch und hinabschauen, nur so lange, bis er den Fex gesehen. Er hatte ja doch so fleißig gearbeitet, den ganzen Winter lang, rechnete er dem lieben Gott vor, dafür könnte ihm schon diese eine Gnade zu teil werden. Mehr zu verlangen, das wußte er, hatte er kein Recht; später vielleicht, wenn er ein großer Führer geworden war und tausend Gefahren bestanden und vielen Menschen das Leben gerettet hatte, dann vielleicht durfte er wieder heimkommen und die Schwelle seines Hauses betreten, was ihm als der Inbegriff aller Glückseligkeit erschien.

Die Prozession war zu Ende; nur ein leiser Pulverdampf zog noch über das Thal hin; die Leute gingen heim – durch die Wiesen, über den Bach oder am Waldesrand entlang. Wie von magischer Gewalt gezogen, stieg Sepp tiefer hinab; verzehrend haftete sein Blick an dem kleinen Haus, das ihm gehörte und in das keiner hineinging, obwohl die Thür offen stand – warum stand sie offen?

Großer Gott, da erhob sich’s von der Schwelle und richtete sich auf und schnoberte in die Luft – der Fex – der Fex! Dem Buben stürzten die Thränen wie Bäche aus den Augen; er streckte die Arme aus, er wollte rufen, aber nur ein heiserer Laut drang aus seiner Kehle. Der Hund lief hinunter auf die Wiese, hinter einem Hirten her, der mit der Peitsche knallte. Die Thränen verhinderten den Hans Sepp, recht hinzusehen, er wischte sich die Augen, heftig, zornig – wem lief der Fex nach – wer war jetzt sein neuer Herr?

Im nächsten Augenblick stand der Hans Sepp wie eine Bildsäule da, mit weit aufgesperrten Augen, als sähe er am helllichten Tag Gespenster. Dann raste er hinab; drunten der Fex stieß ein markerschütterndes Geheul aus – ein paar Minuten später, und der Hans Sepp stand vor seinem Kameraden Aloisl.

„Jesus,“ schrie dieser auf, „wir haben ja alle Tag’ für Dich gebetet – wo warst denn so lang, Hans Sepp?“

„Bist nicht ertrunken?“ lautete dessen erstaunte Frage.

Der Aloisl schüttelte den Kopf. „Der Fex hat mich aus dem Bach gezogen – schau, jetzt meint er, Du haust ihn wieder, und hat Angst vor Dir. Wie die Männer Dich suchten, haben sie ihn droben am Ortler gefunden, halb verhungert, mit erfrorenen Pfoten; kraxeln kann er nimmer, aber vor Deinem Haus hat er alle Nacht gelegen und nach Dir gejammert. Gottlob, daß Du wieder da bist,“ schloß der Aloisl seinen Bericht, „und wir haben heut’ zum Glück grad Knödel und Speck.“

Der Hund hatte sich trotz seines schlechten Gewissens nicht länger zu halten vermocht und war an Hans Sepp wie närrisch emporgesprungen. Der Bursche umschlang das Tier und drückte die Wange gegen dessen Kopf.

„Aber,“ kam der Aloisl auf seine erste Frage zurück, „wo warst denn so lang, Hans Sepp?“

Der deutete mit der Hand nach den Höhen, von denen er herabgekommen war. „Dort drüben,“ murmelten seine Lippen, „weit, weit dort drüben –“ Dann blieb sein Auge mit einem Ausdruck plötzlichen Erstaunens an des Kameraden Gesichtszügen hängen – ein wenig gewachsen war er, der Aloisl, sonst hatte sich nichts in seinem stillen schläfrigen Gesicht verändert. Er aber – der Hans Sepp atmete tief auf und etwas wie ein Schauer ging ihm durch die Seele – er war ein anderer geworden, ein ganz anderer – er war kein „Böser“ mehr.


Blätter und Blüten


Ein Werk der Selbsthilfe. Vor einiger Zeit ist in der „Gartenlaube“ über das „Frauenheim“ zu Hirschberg berichtet worden, jene gemeinnützige Anstalt zu dem Zwecke, alleinstehenden Frauen und Mädchen, die nur über bescheidene Mittel verfügen, eine bei aller Bescheidenheit trauliche Häuslichkeit zu gewähren. Wie dieses Heim auf dem Grundsatze aufgebaut ist, daß die Genossenschaft ermöglicht, was dem Einzelnen unmöglich wäre, so gilt dies auch von einem anderen Heime ähnlicher Art, das vor anderthalb Jahren in Wien-Lainz gegründet worden ist. Auch hier ist das leitende – und wir können hinzufügen, von Erfolg gekrönte – Streben, den Einzelnen durch Zusammenschluß vieler zu einem Verbande, zu einer wirtschaftlichen Gemeinschaft im Kampfe ums Dasein zu stärken und ihm zugleich ein Gut zu bieten, das ihm des Lebens Ungunst versagt hat, eine behagliche Häuslichkeit. Das Lainzer Heim unterscheidet sich nur in einem wesentlichen Punkte von dem Hirschberger: es ist nur für Witwen und Waisen von Offizieren der österreichisch-ungarischen Armee bestimmt. Sonst aber entspricht es ziemlich genau der schlesischen Schwesteranstalt. Jede nähere Auskunft ist die Vorsteherin des Heims, Frau Constanze Glieher in Wien-Lainz, Hauptstraße 37, gerne zu erteilen bereit.

Das nach Ostasien entsendete deutsche Kreuzergeschwader. (Zu dem Bilde S. 857.) Sowohl die Handelsinteressen als das politische Ansehen des Deutschen Reichs hatte es nach dem Ausbruch des koreanischen Kriegs zwischen Japan und China dringend wünschenswert gemacht, daß auch unsere Marine in den vom Kriege bedrohten Häfen eine achtunggebietende Vertretung finde. Beläuft sich doch allein unsere direkte Ausfuhr nach China auf 30 Millionen Mark jährlich und unter den Europäern, welche in den chinesischen Hafenstädten den Handel vermitteln, befinden sich viele Deutsche. Ein entsprechendes Geschwader für diesen einen Zweck mit der nötigen Schnelligkeit zusammenzubringen, war für unsere Marineverwaltung keine geringe Aufgabe, aber sie ist inzwischen gelöst worden.

Das sich in den ostasiatischen Gewässern formierende Geschwader besteht aus den Schiffen „Irene“, „Cormoran“, „Alexandrine“, „Arkona“, „Marie“, „Wolf“ und „Iltis“. Zum Geschwaderchef ist der Contreadmiral Hoffmann ernannt worden, der bisher Vorstand der nautischen Abteilung im Reichsmarineamt war. Das seine Flagge führende Schiff ist die im Vordergrunde unseres Bildes sichtbare „Irene“.

Diese verließ am 17. November unter dem Kommando des Korvettenkapitäns v. Dresky Wilhelmshaven. Zahlreiches Publikum hatte sich eingefunden, und als Punkt 1 Uhr das Schiff abfuhr, begleiteten es brausende Hurras und ein Musikkorps spielte dem scheidenden Schiffe die Nationalhymne als Scheidegruß. Der Kreuzer „Cormoran“ verließ schon im Oktober die Heimat, um in die ostasiatischen Gewässer zu dampfen, woselbst sich die Kreuzer „Alexandrine“, „Arkona“ und „Marie“ sowie die Kanonenboote „Wolf“ und „Iltis“ bereits befinden. W. S.     

Eine neue Geschichte des deutschen Volkes. Seit die gewaltigen Ereignisse des Jahres 1870 unserem Volke die ersehnte Einigung gebracht und dadurch die Kämpfe von Jahrhunderten zu einem großen Ziele geführt haben, hat sich unsere Geschichtswissenschaft mit erneutem Eifer der historischen Entwicklung unseres Vaterlandes zugekehrt, und nicht wenige bedeutende Werke sind auf diesem Gebiet geschaffen worden. Aber diese Forschungen waren meist spezieller Natur, sie gingen in die Einzelheiten und wandten sich so eher an diejenigen, die aus der Geschichte ein besonderes Studium machen. Ein Buch, das den Lebensgang unseres Volkes in einem einheitlichen Bilde entrollte, unter Benutzung aller Ergebnisse der Einzelforschung und doch ohne Weitläufigkeit und Störung des sicheren Ueberblicks – ein solches Buch für die weitesten Kreise war erst zu schreiben. Und daher werden es viele dankbar begrüßen, daß, wie wir an anderer Stelle kurz mitgeteilt haben, Theodor Lindner, Professor an der Universität Halle, eine solch kurzgefaßte und übersichtliche „Geschichte des deutschen Volkes“ uns geboten hat (Stuttgart, Cotta). Nach großen Gesichtspunkten angelegt, bietet dieses Werk mit seiner gedrängten geistvollen Darstellung einen lebendigen Einblick in die wirksamen Ideen und Kräfte jener Persönlichkeiten und Epochen, welche vor allem die Entwicklung und den Charakter des deutschen Volkes bestimmt haben. Wir möchten es daher jedem empfehlen, dem es am Herzen liegt, den Gang der vaterländischen Geschichte nicht bloß in einem kleinen Teile selbst mitzugehen, sondern in seiner Gesamtheit zu überschauen und innerlich mitzuerleben.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1894, Seite 875. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_875.jpg&oldid=- (Version vom 21.9.2023)