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verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

wo unter anderem Rousseaus Einfluß den Hang zur „Empfindsamkeit“ so stark zur Entwicklung brachte, gelangte auch dieses Element auf den Neujahrskarten zum Ausdruck. Die Spruchverse, die auf den Karten den Bildern beigefügt sind, triefen förmlich von überschwenglichen Versicherungen der Freundschaft, deren Erhaltung oft der Hauptwunsch des Gratulierenden ist. Und in Reaktion darauf treten dann zu diesen Karten auch solche von humoristischem Inhalt wie die nebenstehende, welche die frühere Zeit überhaupt nicht kannte.

Die Neujahrskarten des 18. Jahrhunderts sind meist in Kupfer gestochen und koloriert, seltener sind sie in Holzschnitt ausgeführt. In manchen ist ein Raum zum handschriftlichen Eintrag des Wunsches offen gelassen, meist aber sind die glückwünschenden Verse mit Lettern eingedruckt, häufig auf ein eingesetztes Stück von rosa Seide, das dann oft durch eine Klappe geschützt ist. Nicht selten sind die Karten ganz aus rosa Seidenstoff, der auf Papier aufgezogen ist, um ihm Halt zu geben. Gegen Ende des Jahrhunderts und im Beginn des unsrigen werden gern gepreßte Karten verwendet, wie überhaupt schon eine große Mannigfaltigkeit besteht.

Eine besondere Art Karten wurde von den Künstlern jener Zeit zu eigenen: Gebrauch für Freunde und Gönner hergestellt. Manch reizendes Blättchen, das von liebenswürdigem Künstlerhumor zeugt, ist auf diese Art entstanden. Der eine stellt sich vor, wie er in das Zimmer tritt und seinen Glückwunsch darbringt, der andere entschuldigt sich, daß er nicht selbst kommen könne: er hat sich mit in die Thüre eingeklemmtem Mantel dargestellt, der ihn am Kommen verhindert. Namentlich die Nürnberger Künstler Haller von Hallerstein, Klein, Erhard, Wilder, Fleischmann u. a. haben solche Blättchen gestochen. Nicht immer hat die Darstellung Bezug auf den Jahreswechsel; häufig ist ein interessantes altes Denkmal abgebildet und mit Widmung und Wunsch versehen. Solche Karten werden hier und da noch in der Gegenwart von Künstlern ausgeführt. Es wäre sehr erfreulich, wenn diese alte Sitte bei unseren Künstlern wieder mehr in Aufnahme käme.

Wie sehr das unerschöpfliche Thema des Jahreswechsels geeignet ist, phantasie- und gemütvollen Künstlern Anregung für graziöse, bald sinnige, bald humoristische Bilder zu geben, die dem kleinen Format der Glückwunschkarten entsprechen, dafür hat in neuerer Zeit gar ansprechende Zeugnisse aber auch die Industrie hervorgebracht, welche der Massenerzeugung der Neujahrskarten obliegt. Einzelne hervorragendere Firmen haben dem auf diesem Gebiete herrschenden Ungeschmack dadurch zu begegnen gesucht, daß sie erste künstlerische Kräfte für die Ausführung neuer Blätter gewannen. Zunächst ist freilich noch der Ungeschmack in der Ueberzahl, ja die niedrigsten Gattungen des Scherzes und Witzes haben sich mit bedauerlichem Erfolg dieser Mitteilungsform bemächtigt, die von Ursprung her nur bestimmt war, seinen Mitmenschen Segen und Heil fürs neue Jahr zu entbieten.


Das Bild des alten Malers.

Erzählung von Ernst Lenbach. Mit Abbildungen von René Reinicke.

Es freut mich, daß auch Ihnen dieses Bild besonders gefällt,“ sagte der alte Justizrat Landmann. „Es ist ein schönes und gesundes Werk und nebenbei so eine Art Familienstück.“ Dabei lachte er leise und geheimnisvoll in sich hinein.

Wir saßen zu Zweien in dem kleinen Gemach neben dem Eßzimmer seiner Villa, in jener behaglichen und mitteilsamen Stimmung, die der würzige Geruch von echtem Kaffee und Havannarauch nach einem guten Mahle zu erwecken pflegt. Draußen vom Rheine klang das Stampfen und Rauschen eines Salondampfers herein, das Verdeck war dicht besetzt, und man konnte in der klaren Augustluft die einzelnen Gruppen und Gestalten scharf unterscheiden: junge Pärchen auf der Hochzeitsreise, die sich gegenseitig auf jedes alte Haus in der Front des Rheinstädtchens aufmerksam machten und dabei einander so dankbar in die Augen schauten, als hätten sie sich soeben fürstlich beschenkt, reisende Engländer, die ernsthaft in ihren roten Büchern die Geschichte der Burgruinen auf dem jenseitigen Ufer nachlasen, ohne die Burgen selbst eines Blickes zu würdigen, und alle die anderen ständigen Personen dieses lustigen Sommerschauspiels.

Der alte Herr beachtete sie nicht. Er hatte sich mit dem Rücken gegen das Balkonfenster gekehrt und betrachtete nachdenklich sein Lieblingsbild. Es war offenbar Porträt: eine junge Frau von kräftigen, fast üppig zu nennenden Formen, in einfacher ländlicher Tracht. Die linke Hand stützte sie auf ein Weinfäßchen, den vollen rechten Arm streckte sie aus weitem, halb zurückgleitendem Aermel aus, als wollte sie dem Beschauer den Römer kredenzen, den sie zierlich zwischen den rundlich schlanken Fingern hielt. Das Gesicht fast ganz von vorn – ein unendlich fröhliches Gesicht mit lachenden Augen, lachenden Wangengrübchen und lachendem Munde, der die schönsten Zähne sehen ließ. Von den dichten rotblonden Haarflechten hatte sich eine gelöst und rieselte wie ein Goldbächlein über die breite Schulter nach vorn auf das dunkle Kleid. Die Behandlung von Licht und Schatten wie die ganze frische kerngesunde Art des ziemlich in Lebensgröße gehaltenen Bildes erinnerte durchaus an Meister Rembrandt.

„Ja, es ist ein vortreffliches Bild,“ wiederholte der alte Herr. „Vortrefflich auch darin, daß die Nachahmung vollkommen ehrlich bleibt. Du lieber Gott, ich kenne ja einige sogenannte Bilderfreunde, denen man ohne sonderliche Mühe das Ding als einen Rembrandt oder einen anderen berühmten Holländer aufbinden könnte. Aber der Maler hat gar nicht an solche Schlechtigkeiten gedacht. Er hat sich einfach von einer geistesverwandten Vorliebe für den alten Meister den Pinsel führen lassen – und freilich auch von einer andern Liebe. … Für mich aber hat das Bild noch eine ganz eigene Bedeutung – und weil’s Ihnen so gefällt, so sollen Sie zur Belohnung für Ihren guten Geschmack die ganze Geschichte hören. Es dauert doch noch ein Stündchen, bis Ihr Dampfer kommt …“

Und der Alte erzählte:

„Es ist jetzt etwa zehn Jahre, daß ich das Bild besitze. Ich hatte kurz zuvor den Staatsdienst quittiert und war hierher gezogen; mein Töchterlein, damals ein Mädel von siebzehn Jahren, war noch zu Koblenz in strenger und heilsamer Hut des Instituts, allwöchentlich kam sie ’mal herüber. Drunten im Städtchen hauste zu jener Zeit ein kleiner Weinhändler, ein listiger alter Patron mit roter Nase und mächtiger Glatze. Persönlich machte der Kerl gerade nicht den besten Eindruck – wir alten Juristen haben in Fragen der Reellität eine feine Nase – aber seinen Stammgästen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1894, Seite 884. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_884.jpg&oldid=- (Version vom 23.5.2023)