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verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

begann mir aufzugehen. Natürlich brach ich den Brief ohne weiteres auf, und ich brauchte nur die ersten Zeilen zu überfliegen, um mich zu überzeugen, daß es ein Liebesbrief von der blühendsten Gattung war.

Und da behüte einer junge Mädchen! Das Institut in Koblenz war berühmt wegen seiner strengen Zucht. Von dort einen Briefwechsel mit einem jungen Manne anzufangen, war ungefähr so schwer wie den König von Spanien zu stehlen. Und trotz alledem hatten sie sich – im Hause der Tante einer Mitschülerin angeblich – kennengelernt, verliebt, ausgesprochen, und in Ermangelung eines öffentlicheren Verkehrsweges mußte dieses werte Bild als Briefkasten dienen, durch den anscheinend ein recht lebhafter Meinungsaustausch zwischen den beiden jungen Kunstenthusiasten vermittelt worden war!

Jetzt begriff ich allerdings, welch wichtige Motive und Stimmungen dieser junge Mann aus dem Bilde zog, oder auch hineinlegte. Ich brauche nicht zu sagen, wie mich diese Beichte, die mir mein schuldbeladenes Töchterlein unter vielem Schluchzen und Stammeln vortrug, fürs erste stimmte. Vermutlich sprach ich mich darüber auch sehr deutlich aus, und es mag sein, daß ich dabei einen Teil meines väterlichen Zornes auf das Bild ablud und ihm einige Eigenschaftswörter beilegte, die es im Grunde nicht verdiente.

Aber da legte sich Franz Hahn ins Zeug. „Herr Justizrat,“ sagte er bescheiden aber fest, „das ist kein verfluchtes Bild. Dazu steckt viel zu viel Liebe darin. Die Liebe hat es gemalt, die unauslöschliche zu einer, die nicht mehr auf Erden weilte – die Liebe hat es durch ein halbes verlorenes Menschenleben hindurch gerettet, entschwundenen Glückes eingedenk. Und nun es bei Ihnen ein freundliches Obdach gefunden, da hat es sogleich wieder der Liebe dienen wollen, und gewiß einer guten und treuen Liebe. Glauben Sie doch meinen Augen – ich bin ein armer Kerl und sehr heruntergekommen, aber doch ein Maler mit Maleraugen – ich sehe das liebe Fräulein dort und sehe Sie, ihren Vater, und da weiß ich, daß unser Herrgott auch den Dritten im Bunde dazu richtig ausgewählt hat!“

Na, was soll ich weiter sagen – der Alte redete auf mich ein, mit Thränen in den Augen und dazu mit einem so unglaublich braven humoristischen Lächeln in seinem verwitterten Gesicht – und mein Töchterlein schluchzte und bat und hatte auch sogleich mit weiblicher Strategie das Bild ihrer Mutter zur Hand und hielt es mir vor – du lieber Gott, was soll ein armer Vater machen, wenn Mutter und Tochter so auf ihn einstürmen! Wenigstens mußte ich soweit kapitulieren, daß ich nun erst einmal in Ruhe den Brief las – umfangreich genug war er, obwohl eigentlich an sachlichen Angaben in dem ganzen Aktenstück nur die Mitteilung stand, daß „sein“ neues Schauspiel gestern in Berlin mit kolossalem Erfolge aufgeführt worden sei und „er“ sich jetzt hinlänglich sichergestellt fühle, um bei mir anzuhalten; sie möge mich darauf vorbereiten. Hm, die Vorbereitung! Aber was sonst noch in dem Briefe stand, die üblichen weitläufigen Kurialien solcher Aktenstücke aus Amors Kanzlei, schien mir schließlich doch alles von einer sehr netten soliden Persönlichkeit herzurühren …

Den weiteren Verlauf können Sie sich ja wohl denken. Ich suchte meinen Rückzug mit Würde zu decken, aber das Ende vom Liede war natürlich, daß der Werber kam, warb und siegte … Nun, Gott sei Dank, sie sind glücklich geworden miteinander und ich habe die Zuversicht, daß wenn nicht mein Name, doch mein Stamm in Ehren weiter blüht. Franz Hahn hat aber noch mehrere Jahre hier bei mir gelebt, gezecht und gemalt. Es war ein schöner Nachsommer für ihn, und ich habe auch mein Teil davon geerntet. In jener ersten Zeit meiner Einsamkeit war mir der Humor des Alten, sein feines Kunstgefühl und seine ganze Gesellschaft eine tägliche Lebensfreude, das darf ich wohl sagen. Was er als Künstler wert war und was gar erst unter anderen Bedingungen aus ihm geworden wäre, davon kennen Sie ja die Beweise. Mein Schwiegersohn suchte ihn mehrmals zu bereden, daß er das eine oder andere von seinen Sachen ausstelle, und die Kritik hätte jedenfalls dafür gesorgt, daß es noch Anerkennung finde, aber davon wollte der Alte nichts wissen. „Meine Bilder sind in guten Händen,“ sagte er. „Das ist für einen alten Malersmann genug und mehr wert als ein Platz in Kunstgeschichtskatalogen. Und wenn je ein künftiger Docent an der Akademie es für unumgänglich nötig hält, mich an diesen Platz zu stellen und kritisch zu beleuchten, so verderben Sie ihm doch nicht im voraus die Freude, nur ungenügenden biographischen Stoff zu finden und mir mit seinem Scharfsinn ein Schicksal und einen Namen zusammen zu basteln! Wer weiß, ob es ihm nicht einen Ruf auf eine ordentliche Professur einträgt und ihn in Stand setzt, das Weib seiner Liebe heimzuführen!“

Dabei blieb er. Er war eben Zeit seines Lebens im Kampf um das Glück einer von den Mindestfordernden gewesen, während die Mehrzahl es für besser hält, möglichst viel zu verlangen. Aber jedenfalls hatte ihm die kurze Spanne Glück, der er in jungen Jahren seinen etwaigen Künstlerehrgeiz opferte, ein stilles Feuerlein in der Seele hinterlassen, das ihn bis zuletzt durchwärmte. Und daß er mit dem Bilde, das zum Denkmal seines eigenen Jugendglücks geworden war, das junge Glück meines Kindes hatte begründen helfen, dies trug gewiß nicht wenig dazu bei, jenes stille Feuerlein der Erinnerung in seiner Seele noch einmal vor seinem Ende frisch anzufachen.“

*  *  *

Der alte Herr hatte seine Erzählung beendet. Draußen klopfte der Diener leise mahnend an die Thür: der Dampfer war in Sicht, ich mußte aufbrechen. Noch einmal trat ich an das Bild heran. Ein voller warmer Sonnenstrahl zitterte durch die Jalousie quer darüber hin, er belebte das Lächeln auf den Lippen der schönen Schenkin, und ein Hauch des in ihr verkörperten Jugendglücks traf mein Herz.


Gaunerzinken.

Vor einigen Jahren fanden Gendarmen an einer einsamen Waldkapelle im Steiermärkischen ein paar sonderbare (auf S. 891 abgebildete) Kritzeleien: einen Papagei, und zwar in einem Zuge gezeichnet, eine Kirche, einen Schlüssel, ein Häufchen von 3 Steinen und ein Wickelkind. Die Gendarmen waren erfahrene Männer und erkannten alsbald, daß es sich hier um einen sogenannten „Zinken“ handelte, um eine Mitteilung von Gaunern für Gauner, und zwar ließen Kirche und Schlüssel ohne weiteres auf einen beabsichtigten Einbruch schließen, der in einer Kirche bewerkstelligt werden sollte. Der Papagei war das Zeichen dessen, der zur That einlud. Rätselhaft war anfangs nur das Häufchen mit den drei Steinen und das Wickelkind. Ein Pfarrer, den das Gericht beizog, fand die liturgische Deutung: die drei Steine waren das im steiermärkischen Bauernkalender übliche Zeichen für den Hl. Stephanus, der bekanntlich den Märtyrertod des Gesteinigtwerdens starb, und das Wickelkind bedeutete das Christkind. Also: am Stephanstage (26. Dezember) wollte der Mann mit dem Papageiwappen einen Einbruch in einer Kirche unternehmen. Zusammenkunft am Christfest (25. Dezember) bei der Waldkapelle.

An diesem Christfest wurden vier berüchtigte Gauner bei der Waldkapelle erwischt und dingfest gemacht.

Nicht immer gelingt es so den Wächtern des Gesetzes, die geheimnisvollen Zeichen vor geschehener That zu finden und zu deuten. Das seltsam romantische Verständigungsmittel hätte sich sonst wohl kaum bis in unsere Tage herübergerettet, wenn es nicht doch noch oft genug seinen Zweck erfüllte. Allerdings werden die wappenartigen Bilder – wie oben der Papagei – nach und nach verdrängt durch den Gebrauch der Schrift: auch die Gauner werden mit der Zeit gebildeter. Aber sonst wandern noch immer allerlei Mitteilungen auf dem uralten Wege des Zinkens von einem Spitzbuben zum andern.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1894, Seite 890. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_890.jpg&oldid=- (Version vom 25.5.2023)