Seite:Die Gartenlaube (1894) 891.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Unter „Zinken“ versteht die Gaunersprache jede geheime Verständigung, nicht bloß die schriftliche, sondern auch diejenige vermittelst Finger-, Augen- und Gebärdensprache, durch Töne aller Art, Klopfen, Tierstimmen u. dergl. Am merkwürdigsten sind aber doch die graphischen Zinken, vielleicht auch am ältesten, denn sie führen zweifellos auf die alten Mordbrennerzeichen zurück, mit denen schon vor Jahrhunderten den Mitgliedern einer weitverzweigten Bande das nächste Opfer kundgemacht wurde. Ein schräges Kreuz mit ein paar Seitenstrichen am einsam stehenden Hof, das war genug, den Bauern dem Messer, Haus, Stall und Scheune dem Feuer zu überliefern. Auch die besonderen Wappenzeichen einzelner Mordbrenner kamen frühe schon auf, sicher schon im 15. Jahrhundert. Ein Beispiel dafür aus dem 17. Jahrhundert hat sich auf einer Thüringer Waldkapelle gefunden und ist uns erhalten geblieben. Da stand auf der ersten Zeile ein nach links weisender Pfeil, daneben vier Striche, endlich eine Mondsichel im letzten Viertel; d. h. in verständliches Deutsch übertragen: Mit dem letzten Viertel des Monds geht es gegen das vierte Haus in der Richtung des Pfeils. Darunter aber stand eine ganze Kette von „Visa“, von Unterschriften solcher, die von der freundlichen Einladung des ersten Schreibers Kenntnis genommen hatten und ihre Bereitwilligkeit erklärten, von ihr Gebrauch zu machen: ein Vogel, ein Würfel, ein Schlüssel, ein Topf und eine Kette.

Die zahmeren Enkel dieser unheimlichen Vorfahren leben heute noch. „Wer,“ so schreibt Dr. Hanns Groß in Graz in seinem „Handbuch für Untersuchungsrichter“ (Graz, Leuschner u. Lubensky), „an Kapellen, Scheunen, Kreuzen, Zäunen, Mauern, besonders an einsamen Orten und an Wegkreuzungen sich aufmerksam umsieht, findet Gaunerzinken in Menge. Freilich bedeuten sie nur selten mehr Mord und Brand, wohl aber, daß dieser oder jener Fechtbruder am soundsovielten hier war, in Begleitung oder allein, daß er in der angegebenen Richtung sich entfernte und am soundsovielten wieder zurückkommen will.“ Dazu kommen Andeutungen, in welchen Häusern das Betteln Erfolg habe, in welchen nicht, wo Gelegenheit zu einem Diebstahl sich biete u. dergl. m. Da steht z. B. eine offene Hand, darunter ein Pfeil nach rechts mit den Zahlen 4, 7, 11, 20 und ein Pfeil nach links mit den Zahlen 10, 6, 3; jeder Eingeweihte weiß hiernach genau, in welchen Häusern gut betteln ist. Oft wird zu diesem Zweck jedes Haus besonders markiert; ein leerer Kreis (vielleicht das Bild eines Geldstücks) bedeutet, daß hier etwas zu haben sei, ein schräges Kreuz, daß nichts zu machen sei, eine Verbindung beider, daß man hier wohl etwas bekomme, aber kein Geld, sondern höchstens Eßwaren oder abgetragene Sachen. Geige und Flöte dienen demselben Gegensatz zum Ausdruck: wo „der Himmel voller Geigen hängt“, da mag der Fechtbruder ruhig eintreten, nicht aber da, wo alles „flöten gegangen ist.“

Daß die Gaunerzinken auch heute noch durchaus nicht immer so verhältnismäßig harmloser Natur sind wie diese Bettelzeichen, geht schon aus der eingangs erzählten Geschichte hervor. Noch bedenklicher ist ein anderer Fall, der ebenfalls in Steiermark spielt und den Groß wie folgt erzählt:

„Vor mehreren Jahren wurde auf einsamer Waldstraße in der östlichen Steiermark ein Gendarm erstochen gefunden; er war durch unzählige Messerstiche getötet worden. Der Augenschein hatte ergeben, daß er sich am Rande der Straße niedergesetzt hatte, um sich eine Pfeife zu stopfen, sein Tabakbeutel war offen, der Tabak zerstreut, die Pfeife frisch und halb gefüllt. Er war wegen seines überaus pflichttreuen thatkräftigen Vorgehens namentlich bei den Landfahrern und Zigeunern gefürchtet und verhaßt und auch von Zigeunern, die ihn in der geschilderten Stellung meuchlings überfallen hatten, ermordet worden. – Wenige Tage nach seinem Tode wurde nicht weit vom Thatorte auf einer halbverfallenen Mauer eine rohe Zeichnung gefunden, deren Deutung nicht zweifelhaft sein konnte. Es war ein zwar fratzenhaft gezeichnetes, aber nicht zu verkennendes Gesicht, mit dem Hahnenfederhute der Gendarmen, die Züge des Ermordeten daran kenntlich, daß der martialische Schnurrbart desselben ungeschickt, aber unverkennbar nachgeahmt war. Ueber dem Kopfe waren vier Messer sehr deutlich gezeichnet. Daß diese Zeichnung nicht später, d. h. nicht nach dem Tode des Gendarmen entstanden war, hat der Umstand bewiesen, daß sie vom Regen arg verwaschen war, obwohl es in der Zeit vom Morde bis zur Auffindung der Zeichnung nicht geregnet hatte.“

Groß fügt diesem Berichte nicht mit Unrecht hinzu: „Ich kann mich des Gedankens nicht erwehren, daß es sich hier um eine Drohung, Aufforderung zur Hilfeleistung, vielleicht auch um eine Warnung gehandelt hat, und daß die rechtzeitige Auffindung dieses Zinkens den braven Gendarmen hätte warnen und sein Leben erhalten können, da er dann mindestens nicht allein bei Nacht jenen gefährlichen Weg zurückgelegt hätte.“



Blätter und Blüten

Die Schlußsteinlegung im neuen Reichstagshause. (Zu dem Bilde S. 888 und 889.) Bereits in Nr. 45 des nun zum Abschluß gelangenden Jahrgangs hat die „Gartenlaube“ die Vollendung des neuen Reichstagshauses zum Anlaß für eine Würdigung seiner künstlerischen und nationalen Bedeutung genommen und dieses selbst den Lesern nebst den verschiedensten Räumlichkeiten aus seinem Innern im Bilde vorgeführt. Die weihevoll symbolische Handlung, welche nunmehr am 5. Dezember durch die vom Kaiser geführten drei Hammerschläge auf den dafür bereit gehaltenen Schlußstein im Kuppelraum der Wandelhalle vollzogen worden ist und die das Hauptbild der heutigen Nummer den Lesern vors Auge stellt, soll uns weiter die „Weihe des Hauses“ vergegenwärtigen, mit der das herrliche Gebäude in Gegenwart seines Erbauers am Tage der Eröffnung der neuen Reichstagssession von seiten der Reichsregierung und des Reichstags selbst seiner hohen Bestimmung übergeben worden ist. Mit demselben Hammer, mit dem vor zehn Jahren – am 9. Juni 1884 – von Kaiser Wilhelm I. die Grundsteinlegung des Hauses besiegelt worden war, vollführte nun sein Enkel den letzten Hammerschlag an dem Bau! Und, wie es in der kaiserlichen, beim Beginn der Feier vom neuen Reichskanzler, dem Fürsten Hohenlohe, verlesenen Urkunde heißt, soll dieser nun als „ein Denkmal der großen Zeit“ aufragen, „in welcher als Preis des schwer errungenen Sieges das Reich zu neuer Herrlichkeit erstanden ist, eine Mahnung den künftigen Geschlechtern zu unverbrüchlicher Treue in der Pflege dessen, was die Väter mit ihrem Blute erkämpft haben.“

Zu der Feierlichkeit, welche mittags um 1 Uhr begann, war der mittlere Teil der großen Wandelhalle festlich drapiert worden. Für den Kaiser und die Kaiserin, die Prinzen und Prinzessinnen in ihrer Begleitung war an der östlichen Front des Kuppelraums unter einem Baldachin eine Estrade errichtet. Die obersten Vertreter der Regierung, des Heers und der Marine, frühere Minister und Reichstagspräsidenten, unter diesen auch Simson, sowie der Maler Adolf Menzel befanden sich unter den geladenen Gästen – Fürst Bismarck hatte wegen des schweren Trauerfalls, der ihn betroffen, die Einladung absagen müssen. Auch die Mitglieder des Bundesrats gruppierten sich um die kaiserliche Estrade, während gegenüber, rechts und links von der westlichen Eingangsthüre zum Kuppelraum die Mitglieder des Reichstags Aufstellung nahmen. Wallot, die Mitglieder der Reichstagsbauverwaltung und die Meister des Maurer- und Steinmetzgewerkes hatten ihren Platz neben dem Schlußstein, an dessen Stelle sich später ein Denkmal Kaiser Wilhelms I. erheben soll.

Nach der Verlesung der Urkunde wurde dieselbe in einer Kapsel verwahrt und in die dafür hergestellte Höhlung des Schlußsteines versenkt. Dann überreichte der Bevollmächtigte Bayerns beim Bundesrat, Graf Lerchenfeld, indem er den Bau als „Wahrzeichen der Einheit des Deutschen Reiches“ pries, dem Kaiser die Kelle, mit welcher dieser aus der vom Meister des Maurergewerks gehaltenen Mulde den Mörtel in die Vertiefung des Schlußsteines warf, worauf die Meister der beiden Gewerkschaften den Schlußstein versetzten. Der Präsident des Reichstags, v. Levetzow, der seine Landwehrmajorsuniform trug, ergriff nunmehr das Wort und reichte dem Kaiser feierlich auf einer silbernen Platte den Hammer dar. In seiner Ansprache ward auch der Großartigkeit des Bauwerks selber gedacht. „Seine Grundmauern sind fest,“ fuhr er fort, „seine Hallen weit, seine Zimmer hoch, und fest in Treue, weit in Voraussicht, hoch in den Gedanken sei immer das, was je und je in diesem Hause möge beraten und beschlossen werden.“ Der Kaiser, hinter welchem wir auf unserem Bilde die Kaiserin und den Fürsten Hohenlohe sehen, erhob dann den Hammer; den dritten Schlag begleitete er mit den Worten: „Pro gloria et patria!“ Unter den letzten, die in programmmäßiger Reihenfolge den Hammerschlag ferner vollzogen, befand sich der geniale Erbauer des Hauses, Paul Wallot, der in zehnjähriger unermüdlicher Arbeit mit schöpferischem Künstlergeist das machtvolle Bauwerk ausgeführt hat, dessen von Würde und Anmut beseelter Stil der „Freude am Reich“ architektonischen Ausdruck verleiht. Auf unserem Bilde steht der Künstler rechts vom Präsidenten des Reichstags.

Das Brennen der Tannenzweige. Aus unserem Leserkreise wird an uns die Frage gerichtet, woher es wohl komme, daß frisches Fichten- und Tannenreisig unter so stürmischen, geradezu explosionsähnlichen Erscheinungen zu brennen pflege. Gerät z. B. am Christbaum eine Zweigspitze in Brand, so lodert sie auf unter züngelnden Flammen und lebhaftem Geknatter; dabei entströmen den brennenden Nadeln Gase mit so großer Kraft, daß die Flamme eines dicht daneben befindlichen Wachslichtes hin und her bewegt wird, ja mitunter erlöschen kann.

Dieser das Auge fesselnde Vorgang läßt sich auf folgende Weise erklären: während die grünen Blätter unserer Laubbäume bekanntlich nicht brennen, thun dies die Nadeln der Koniferen darum, weil sie in reichlichen Mengen ätherische Oele und harzige Massen, also leicht entzündliche Stoffe, enthalten und verhältnismäßig arm an Wasser sind. Die ätherischen Stoffe entzünden sich zuerst und lassen dabei die rasch von Nadel zu Nadel hineilenden Flämmchen entstehen; dann gerät auch die Nadelmasse selbst in Brand, wobei das in den Zellenräumen enthaltene Wasser durch die Hitze plötzlich in Dampf verwandelt wird. Der Wasserdampf mengt sich mit den Dämpfen des ätherischen Oels und verläßt die Nadeln unter stürmischen Erscheinungen; nähert man solchen Nadeln die Flamme einer Kerze, so sieht man oft, daß daraus Spitzen herausgetrieben werden, als ob man mit einem Lötrohr hineinbliese. Daß der Wasserdampf der Haupterzeuger dieser Erscheinung ist, erhellt schon daraus, daß sie um so weniger deutlich hervortritt, je älter und darum trockener das brennende Reisig ist. Das Knistern des brennenden Fichtenzweiges ist also auf dieselben Ursachen zurückzuführen wie das Knattern feuchten Holzes im Ofen. Die vereinte Wirkung der leicht entzündlichen ätherischen

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1894, Seite 891. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_891.jpg&oldid=- (Version vom 28.6.2023)