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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

„Ich hab’ doch den Generalkonsul auch einmal gesehen, ein einziges Mal war es bloß, aber ich besinn’ mich noch gut auf ihn. Er war sehr hübsch, sehr hübsch – wenn ich das sag’, ist es wahr, ich kann die Männer nicht leicht schön finden. Na, zwei so bildhübsche Menschen müßten doch ’ne andere Tochter haben!“

Es kam wieder keine Antwort.

„Und für wen hab’ ich denn nun den Tisch so fein gedeckt und lauter schönes Essen hingestellt?“ Mamsellchen riß zur Bestätigung ihrer Worte sperrangelweit die Thür zum Speisezimmer auf, das hell erleuchtet und mit einer wirklich reichbesetzten Tafel versehen war. „Bloß eine Tasse Thee will sie haben? Und dann oben für sich allein? Soll mir das gefallen?“

„Einerlei, ob Dir’s gefällt oder nicht, wenn man schwächlich ist und tagüber gefahren, kann man schon den Appetit zum Abendessen und die Lust zur Unterhaltung verlieren. Jedenfalls gedenke ich jetzt zu speisen, gieb den Wein herüber und den kalten Braten – und bring’ für Frau Hartmann das Theeservice hinauf!“

„Kann das nicht der Ewert –“

„Nein, nicht Ewert, sondern Du!“

Mamsellchen sagte kein Wort weiter, ihr Doktor hatte wieder sein „Gesicht“ gemacht. Wenn er das that, dann hörte alles Unterhandeln auf. In ihrem Innern erlaubte sie sich einen kräftigen Widerspruch, äußerlich aber war sie ganz Demut und Gehorsam, als sie sich mit dem Theeservice im Arm zur Thür hinausschob.

Sie konnte es nicht wissen, daß ihr Herr in seinem Innern gleichfalls enttäuscht war. Er hatte doch in aller Stille darauf gehofft, daß sein Gast ihm an diesem ersten Abend Gesellschaft leisten würde, und sah sich nun etwas mißgestimmt in dem schönen behaglichen Zimmer um. Sein Appetit, den er gegen Mamsellchen so gerühmt hatte, hielt nicht vor, er versuchte nur hier und da ein wenig von all den schönen Dingen, die seine alte Getreue aufgetragen hatte, und trank ein paar Gläser Wein. Seine Gedanken gingen unstet hin und her, ohne einen festen Punkt zu gewinnen.

Als Mamsellchen nach einer Weile wieder hereinkam, um vom Büffett etwas zu holen, hätte er sie gern gefragt, wie es der jungen Frau gehe, ob sie sich schon zur Ruhe begeben habe und ob der Thee ihr gut bekommen sei, aber eine wunderliche Scheu hielt ihn davon zurück. Er hoffte, Mamsellchen werde von selbst etwas sagen, aber sie sprach kein Wort und ging endlich mit einem trockenen „Gute Nacht“ von dannen.

Ihm war es noch viel zu früh, um zur Ruhe zu gehen, er fühlte aber, daß es mit dem Lesen und Arbeiten heute doch nichts mehr sei, und ging daher in den Garten hinaus. Eine milde Luft, von Wohlgerüchen gesättigt, wehte ihm entgegen. Die Sterne schimmerten matt, und die Mondsichel hing schmal und silbern am dunkeln Himmel.

Der Doktor stand lange da und sah gedankenverloren zu den beiden erleuchteten Fenstern im ersten Stock empor. Wie hatte er doch an seinen Freund Herzog geschrieben? Er wolle alles in Ruhe abwarten und die Dinge an sich kommen lassen. Nun, er hatte das gethan, und die „Dinge“ waren gekommen, ohne sein Zuthun! An das ruhige Ufer von „Buen Retiro“, auf dem er als unbeteiligter Zuschauer stehen wollte, war aus dem Ocean des Lebens die erste Welle herangespült worden. Ob es die einzige bleiben würde?

(Fortsetzung folgt.)




Das Haberfeldtreiben.
Von Arthur Achleitner.
(Mit Bild S. 29.)

Vor mehr als dreißig Jahren war man sich in Bayern schon einmal darüber klar, daß der uralte Brauch des Haberfeldtreibens durch polizeiliches Einschreiten kaum auszurotten sein dürfte, da die Sympathien der bäuerlichen Bevölkerung auf Seite der Teilnehmer an diesem geheimen Rügegericht standen, bis auf diejenigen natürlich, denen selbst einmal das gereimte Sündenregister in nächtlicher Stunde vorgelesen worden war. Seit reichlich dreißig Jahren erwiesen sich auch alle polizeilichen Maßregeln als wirkungslos, wenn man von der „Schlacht von Rosenheim“ im Jahre 1867 absehen will, in welcher die „Haberer“ von der Landwehr nach längerem Kampfe zurückgeworfen wurden. Jener Zusammenstoß hatte eine langwierige Untersuchung zur Folge, aber erwischt ist auch damals kein Haberer worden.

Seitdem hat sich der Brauch nicht nur wieder eingebürgert, sondern es hat sich auch in der Organisation des geheimen Femgerichtes wie in der Inscenierung des nächtlichen Treibens manches und zwar nicht zum Vorteil des Brauches verändert. Zwei Mann, die der Teilnahme schwer verdächtig waren, hat man innerhalb dreier Jahrzehnte vor die Gerichte zu bringen vermocht. Der eine davon, ein Knecht, der den zu erwartenden Haberern ein Faß Bier zuführen wollte, am Treiben aber nicht weiter beteiligt war, hat dies mit einer einjährigen Gefängnisstrafe büßen müssen. Man hat, um dem nächtlichen Unfug Einhalt zu bieten, die Gendarmerie, die Grenzwache und schließlich Militär in Anspruch genommen, ohne den geringsten Erfolg. Strafeinquartierungen schädigten wohl das unglückliche Dorf, in dem von fremden Haberern „getrieben“ worden war, brachten aber auch nicht den geringsten Anhalt zur Festnahme auch nur eines einzigen Haberers. Ebenso ergaben die nächtlichen Streifungen, das von den Behörden angeordnete Aufstellen von Nachtwachen kein Resultat, wohl aber wurde damit weitgehende Erbitterung in der Bevölkerung Oberbayerns erzeugt.

Was zunächst den Ursprung des seltsamen Brauches anlangt, so wird der Name vielfach davon hergeleitet, daß ehemals Feldmarkfrevler und Wucherer von einer geheimen Volksjustiz mit Verheerung ihrer Felder bestraft wurden. Gelehrte Forscher haben den Brauch für einen Rest der einst von Karl dem Großen in den Grafschaften eingesetzten Rügegerichte erklärt, während andere der Ansicht sind, daß das Haberfeldtreiben auf die dem Kloster Scheyern gehörige Hofmark Fischbachau zurückzuführen sei, wo die Mönche den Brauch nächtlicher Femgerichte als wirksamen Schutz gegen die um sich greifende Unsittlichkeit begünstigt haben sollen. Für die Annahme, daß in alter Zeit hauptsächlich Feldmarkverheerer durch das geheimnisvolle Volksgericht bestraft wurden, spricht der Umstand, daß solchen Verbrechern die Felder gleichfalls verheert wurden, und da im Gebirge meist Haber (Hafer) gebaut wird, dürfte der Name Haberfeld auf das ganze „Rechtsverfahren“ übertragen worden sein. Nach den Ausführungen im ersten Band der „Bavaria“, dem unter W. H. Riehls Leitung erschienenen geographisch-ethnographischen Hauptwerk über das Königreich Bayern, haben zwei Mängel der durch die Einführung des römischen Rechts in ihrer Entwicklung gestörten Rechtsordnung den Brauch hervorgerufen. Danach hat einerseits das Rügegericht eine Ergänzung für solche Fälle sein sollen, in denen die bestehende Justiz mangelhaft gehandhabt wurde. Anderseits habe es dem Volke gedient, um solche Vergehen gegen seine Sitten und sein Rechtsgefühl, die das vom Leben des Volkes längst losgelöste Recht und seine Uebung in den Schreibstuben nicht ahndete, wenigstens durch energischen und öffentlichen Ausdruck des Unwillens von seiten der Genossenschaft zu strafen. Und in der That wendete sich die geheimnisvolle Volksjustiz mit ganz besonderer Hartnäckigkeit gegen solche Fälle von Geiz, Wucher, Betrug, Hartherzigkeit und Ausbeutung, gegen die das Betreten des öffentlichen Rechtswegs wenig Erfolg versprach. Weltliche und geistliche „Herrenleut“, die ihre Macht mißbrauchten und gegen die ein persönliches Auftreten nutzlos und wohl gar unmöglich war, wurden früher mit Vorliebe von dieser nächtlichen, im ganzen immerhin harmlosen Feme heimgesucht. Einen Widerspruch findet man im Brauche hinsichtlich des Besitzstandes der Verfemten. Während nach der einen Version Feldfrevlern die eigenen Felder strafweise verheert wurden, ist es durch Jahrzehnte eine geheiligte Uebung gewesen, jede Sachbeschädigung streng zu vermeiden. Wenn wirklich Beschädigungen vorkamen, wurde im geheimen reichlich Ersatz geleistet; man legte für Gegenstände, die man zum Lärmerzeugen mitnahm, oder für Bretter, Zaunspfähle das Schadenvergütungsgeld an Ort und Stelle des genommenen Gutes oder Gegenstandes nieder und für jede während des Treibens zerbrochene Fensterscheibe wurde ein Silberzwanziger, in Papier gewickelt, entweder durch das Fenster in die Stube geworfen oder doch auf den Fenstersims gelegt.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 27. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_027.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)