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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

ihren Besuch an und sagte endlich: „Wenn Dich das alles so beunruhigt, Kind, so geh’ doch noch ’mal zu dem Doktor Sonnenthal und frage den, ob Du schwören mußt, und ob Du auf der Anklagebank sitzen sollst, und das andre all. Was ist dabei? Er ist doch Dein Rechtsbeistand und ist für dergleichen Dinge da. Wenn ich nur ausgehen dürfte, würde ich gleich mit Dir gehen. – Nun, Kleine?“

Franzel schüttelte den Kopf. „Nein, Tante, allein mag ich nicht hingehen – Aurelie ist ohnehin schon dahinter gekommen und denkt sich Gott weiß was Schlimmes.“

„Die Aurelie? So …“ – Fräulein von Hagen wurde mit einigen recht unliebsamen Bemerkungen bedacht, aber sie hatte es wirklich nicht besser verdient, wie Tante Lorenz seelenruhig meinte.

In der folgenden Nacht lag Franzel lange schlaflos und sann den unbarmherzigen Dingen nach, die ihr Leben dunkel und häßlich machten. Sie wurde von einem bösen Husten gequält, den sie sich wahrscheinlich auf ihrem gestrigen Abendgange geholt. Seit die graue Schwester nachts bei Ernst wachte, hatte man Franzels Bett im Nebenzimmer untergebracht, damit sie möglichst ungestört sei; aber trotz der geschlossenen Thür und trotzdem Franzel bei jedem Hustenanfall ihren Kopf mit Todesverachtung unter die Bettdecke steckte, hörte Ernst es dennoch. Er schickte die Schwester mehrmals zu ihr hinein, und gegen Morgen ließ er sie dringend bitten, liegen zu bleiben und auch einmal an sich selber zu denken. Trotzdem stand Franziska zeitig auf, brauchte irgend ein Hausmittelchen, um den Husten und ihr Gewissen einigermaßen zu beruhigen, und rüstete sich zum Ausgehen. In dieser schlaflosen Nacht war sie zu dem Entschluß gekommen, dennoch den Doktor Sonnenthal aufzusuchen. Sie, eine verheiratete Frau, konnte doch wohl am hellen Vormittag zum Rechtsanwalt gehen, um ihn geschäftlich auf fünf Minuten zu sprechen! Ernst schlief noch, und die Schwester wurde mit der Erklärung beruhigt, sie müsse eine Viertelstunde an die Luft, ihr Kopf schmerze zum Zerspringen.

Bald nachdem Franziska gegangen, klingelte es, und als Rieke nachsah, stand Fräulein von Hagen draußen. Sie war zufällig oder absichtlich mehrere Tage nicht gekommen, sondern hatte sich nur durch ihr kleines Laufmädchen nach Ernsts Befinden erkundigen lassen, hatte deshalb auch noch keine persönliche Abweisung erfahren wie alle anderen Bekannten. Die brave Rieke hatte keine Ahnung von dem Ausgang ihrer Dame, sonst würde sie ihn kaum gelitten haben; sie hatte auch noch ein Wörtlein mitzusprechen! Dem Herrn ginge es besser, die gnädige Frau schliefe noch, berichtete sie daher lakonisch, Besuche dürften aber in der nächsten Zeit nicht angenommen werden.

Aurelie lächelte. Sie sei doch kein Besuch, sie gehöre doch zur Familie, meinte sie. Und wenn es dem Herrn besser ginge und er jetzt wieder bei Besinnung sei, so würde es ihn sicher freuen, seine Cousine zu sehen. Sie disputierten noch eine kleine Weile, Rieke in heiserem Flüsterton, Aurelie absichtlich laut sprechend – zuletzt kam die graue Schwester heraus: der Herr Regierungsrat hätte Fräulein von Hagens Stimme erkannt und bäte sie, einen Augenblick hereinzukommen.

Triumphierend rauschte Fräulein Aurelie an der verdutzten Rieke vorbei und betrat das Krankenzimmer.

Ernst Wodrich hatte nie eine große Zuneigung für diese Cousine gehabt; aus Mitleid hatte er ihr, der Alleinstehenden, nach dem Tode seiner Mutter, die Stelle als Hausdame angeboten. Sie hatte ihn vorzüglich versorgt – daß es nicht ohne sehr ernstliche Nebenabsichten geschah, ahnte er freilich nicht. Als er dann später Franziska Ellwege bei ihrem Winteraufenthalt in der Großstadt kennenlernte und die kaum Zwanzigjährige nach kurzem Brautstande als Herrin in sein Heim führte, that es ihm leid um die durch seine Heirat heimatlos gewordene Cousine; er selber bat Franziska, gut und geduldig mit dem alternden, einsamen Mädchen zu sein. Daß seine angebetete junge Frau keine tödlichere Feindin haben könne als eben diese Verwandte, wäre dem großherzig denkenden Manne nicht eingefallen. Er blieb immer gleich gütig gegen Aurelie, verwaltete ihr kleines Vermögen und legte im geheimen ihren geringen Zinsen noch ein hübsches Sümmchen zu; im übrigen überließ er’s seiner Frau, die Cousine hier und da auch in anderer Weise zu unterstützen, was Franzel bis jetzt auch immer redlich gethan hatte. Heut’ wünschte Ernst die Dame nur deshalb zu sprechen, um ihr die Sorge für Franziska recht warm ans Herz zu legen.

„Sie sieht blaß aus, meine kleine Franzel, findest Du nicht, Aurelie? Sie hat sich zuviel zugemutet, während ich krank war. Aber auch jetzt, wo wir doch die Schwester hier haben, kann die Kleine sich noch nicht recht erholen. Es ist, als ob sie sich mit etwas quälte, und ich kann doch nicht ergründen, womit. Weißt Du’s nicht?“

Aurelie schüttelte mit einer undurchdringlichen Miene den Kopf. Ernst war krank, und Kranke mußte man mit derlei Aufregungen verschonen. Später! – Erspart könnte es ihm ja doch nicht werden.

„Wo steckt sie denn jetzt?“ fragte sie, um nur überhaupt etwas zu sagen.

„Drüben im Wohnzimmer. Sie schläft. Diese Nacht hustete sie furchtbar, sie muß sich gestern bei ihrem Ausgang erkältet haben.“

„Was rennt sie auch bei allem Wind und Wetter spazieren! Solche Nippfigürchen wie sie gehören in den Glasschrank,“ schalt Aurelie, aus der Rolle fallend, „wenn’s draußen weht und schneit. Das ist gut für unsereinen,“ schloß sie bitter.

„Du hast recht,“ erwiderte Ernst arglos, den letzten Satz außer acht lassend. „Aber schließlich will die Kleine doch auch ’mal an die Luft, das ist sie ja von Haus aus gewöhnt.“ Im stillen dachte er, die Cousine, die in Franzels Gegenwart sonst immer so lieblich that, spräche doch recht unfreundlich über sie. Er hatte geglaubt, die beiden Frauen lebten in guter Freundschaft miteinander, Franziska hatte sich nie darüber geäußert – aber er würde sie jetzt doch einmal ernstlich ins Verhör nehmen. Vielleicht hatten die beiden etwas miteinander gehabt?

In diesem Augenblick trat die Pflegerin ins Zimmer. „Herr Regierungsrat, die Medizin!“ mahnte sie freundlich.

Aurelie stand auf. „Adieu, Ernst – und gute Besserung! Ich werde mich jetzt ’mal nach Franziska umsehen.“

Die graue Schwester wandte sich schnell nach ihr um und sah sie bedeutsam an. Aurelie verstand nicht recht, was sie meinte, ging indes schweigend hinaus, und bald folgte ihr die Schwester nach. „Frau Regierungsrat ist ausgegangen,“ flüsterte sie.

„Ich denke, sie schläft?“ fragte Aurelie erstaunt zurück.

Die Schwester schüttelte den Kopf und berichtete, die Rätin hätte sich trotz aller Einwände nicht abhalten lassen, einen kleinen Spaziergang zu machen.

„So – also heimlich fortgegangen?“ murmelte Aurelie mit schadenfrohem Lächeln.

Auch die Schwester lächelte, ein mildes weltunkundiges Lächeln. Sie hatte das Ehepaar in der kurzen Zeit liebgewonnen und fühlte sich wohl bei ihnen. „Frau Rätin wollte nicht, daß ich’s dem Herrn sagte, er könne sich aufregen, meinte sie. Sie ist immer so besorgt um ihn.“

„Sehr besorgt!“ stimmte Aurelie bei und kniff die schmalen Lippen zusammen. Sie wollte gehen, besann sich aber eines anderen. Wann würde sie Ernst jemals wieder allein sprechen? Er war krank, ja – aber sie wollte ihn nicht erschrecken, sie wollte ihn nur warnen. Das war ihre Pflicht! Entschlossen wandte sie sich abermals dem Krankenzimmer zu. „Darf ich noch einen Augenblick wiederkommen, Ernst?“ fragte sie sanft durch die Thür.

„Komm’ nur!“

Die junge Krankenschwester stand unschlüssig neben der Thüre; sie wußte nicht recht, wie weit ihre Befugnisse hier gingen, aber ein gewisser Zug in Aureliens Gesicht hatte sie stutzig gemacht, deshalb sagte sie warnend: „Bitte, regen Sie den Herrn nicht auf, Fräulein!“

Ungeduldig schüttelte Aurelie den Kopf. „Lassen Sie mich nur!“ damit schob sie die Schwester einfach beiseite und ging hinein. „Deine Frau ist spazieren gegangen, Ernst,“ sagte sie ohne weitere Einleitung und setzte sich wieder ans Bett.

„Franzel? Mit ihrem Husten?“ fragte Ernst und richtete sich erschrocken auf. „Was machst Du denn für ein Gesicht, Aurelie? Ist ihr etwas zugestoßen?“

„Gott bewahre! Rege Dich doch nicht gleich so auf! Sie hatte Kopfschmerzen und ging hinaus, verbot aber der Schwester, Dir’s zu sagen.“

„Die Schwester hätte Franzel zurückhalten müssen!“

„Franziska hätte sich wohl schwerlich zurückhalten lassen,“ bemerkte Aurelie bedeutungsvoll.

„Wie meinst Du das? Du quälst mich!“ klagte der Kranke, dem alles Denken noch so schwer fiel, und strich sich nervös mit der abgemagerten Hand durchs Haar.

Der Anblick des leidenden Mannes that der Frau, die ihn so heiß geliebt, die ihn noch immer liebte, weh; für einen Augenblick

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_034.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)