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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Der Mentner war nicht mehr zu kennen, er spielte mit ihr in hellem Sonnenschein vor dem Hause, trug sie auf den Armen und ließ sie den Vorübergehenden eine Patschhand geben.

Von Jahr zu Jahr wurde es besser mit ihm, die Liebe, die man seinem Kinde entgegenbrachte, packte ihn. Der Düngerhaufen war längst eingedämmt, daß er die Straße nicht mehr beschmutzte, und als Marei zur Jungfrau herangeblüht war, zur schönsten im ganzen Thale, da stand das Mentneranwesen keinem mehr an Sauberkeit nach. Die Läden leuchteten im frischen Grün, der Stadel war neu verschalt, auf den Altanen leuchteten Pelargonien, Reseda und Nelken.

Die Loni kämpfte einen erbitterten Kampf mit dem Mentner um das Marei.

Ihr lebhaftes Glücks- und Liebesbedürfnis wies sie auf das Kind. Das muß dir Ersatz bieten für alles Verlorene, Hingeopferte, wofür du bis jetzt eine hohle Nuß eingetauscht, Wohlstand, Besitz an der Seite eines ungeliebten Mannes! Sie umhüllte es förmlich mit ihren Blicken, war eifersüchtig auf jedes freundliche Wort, jede Gebärde. Sie war die Mutter, was wollte der rauhe herzlose Mann mit diesem kleinen Heiligtum! Doch der führte den Kampf auf andere Weise, als sie erwartet hatte, nicht mit Gewalt, rauh und derb. Sie kannte ihn gar nicht mehr. Mit neidischem Schmerze bemerkte sie die wachsende Zuneigung des Kindes, welches in der weichen Zärtlichkeit des grobknochigen derben Mannes instinktiv eine überschwengliche Liebe fühlte. Um so mehr empörte sie das Benehmen des Bauern gegen sie, bei seiner von ihr jetzt erkannten Fähigkeit, sich anders zu geben. Für ihn blieb sie die Dirn’. Vielleicht verdroß ihn jetzt noch mehr als früher, seines Kindes halber, die Vergangenheit Lonis. Gab es doch genug, welche das Mädchen einmal darum anschauen werden, wenn es auf den Tanzboden geht.

Da war vor allem Einer, welcher dem Mentner immer wieder wie eine Mahnung in den Weg trat – der „Stoanerflori“, wie er jetzt genannt wurde. Einst ein schmucker Bursche, jetzt ein Krüppel, welchen der Förster, nachdem er beim Holzfällen ein steifes Bein davongetragen, aus Mitleid als Steinklopfer verwendete.

Der Mentner wußte sehr wohl, daß der Flori der einzige war, mit dem es der Loni eigentlich ernst gewesen; alles andere waren nur Liebeleien, nur ein leichtfertiges Spiel der losen Dirne oder anderseits verlogene Renommisterei der Burschen.

Er wußte auch, daß die beiden unter Thränen und Schwüren, sich nie zu vergessen, Abschied voneinander genommen hatten, nach der Hochzeit, hinter dem Hause im Obstgarten. „Es hat ja sein müaß’n! Schau’, Flori, was that’st denn Dein ganz’ Leb’n lang mit so an arm’ Madel? Not und Lieb’ pass’n schlecht z’samm’!“

„Alleweil no’ besser als Du und der Mentner, der Di g’rad zum Trotz gegen die Andern heirat’! Glaubst’ denn wirkli, daß D’ mi ganz vergessen kannst?“

„Das glaub’ i net, Flori, und s’is au gar net nöti – was kümmert sich der, an wem i denk’! Wer weiß, wie’s no’ kommt!“

Dann flüsterten sie, daß er nichts mehr hörte.

Er war damals auf dem Sprunge, den Kerl niederschlagen, ihn und sie, aber er hat sich doch bezwungen. Da hätten ja die Leut’ die größte Freud’, wenn es so ausging mit seiner Heirat. Außerdem hatte sie ja eigentlich recht, redete er sich ein, was kümmerte es ihn, an wen sie dachte! Aber doch war etwas Uebermächtiges über ihn gekommen, dessen er sich nicht erwehren konnte – seit der Zeit haßte er den Flori.

Dazu kam, daß dieser Bursche auch fernerhin jede Gelegenheit wahrnahm, mit Loni zusammenzutreffen, wenigstens einen Blick zu wechseln. Was war dagegen zu machen, solange er seinen Boden nicht betrat, – und davor hütete der Flori sich wohl, – nichts, als Loni möglichst im Hofe zu halten, zu trauen war ihr nicht!

Als ein Jahr darauf Flori bei der Arbeit das Bein brach und dasselbe, schlecht gepflegt, steif blieb, da konnte er seine Freude darüber kaum verhehlen, die Worte Lonis „wer weiß, wie’s no’ kommt!“ klangen in ihm noch immer nach. Er hätte sie eigentlich darum hassen müssen, sie spekulierte wohl im stillen auf seinen Tod – aber, wie gewöhnlich in solchem Falle, sein ganzer Groll traf Flori und er ließ die Stimme des Mitleids gar nicht aufkommen – jetzt wußte er es, wie’s kommt, der Krüppel!

Als dieser zum erstenmal am Stock vorbeihinkte, in abgerissener Kleidung infolge des entfallenen Verdienstes, rief der Mentner seine Frau eigens heran. „Wie g’fallt er Dir denn jetzt, der Flori?“

Loni erwiederte nichts, nur blutrot wurde sie im Gesicht und einen Blick warf sie ihm zu, den er nicht aushielt.

„Schäm’ Dich, Mensch!“ Dann ging sie Flori nach, welcher schon einige Schritte vorbei war, reichte ihm, ohne sich nach ihrem Manne umzusehen, die Hand und sprach ihm ihr Beileid aus über sein Unglück. Sie standen bei einander wie damals im Obstgarten und Mentner mußte ruhig zusehen, er konnte doch nicht eifern wegen eines Krüppels. Loni hatte auch, als sie zurückkehrte, einen Zug im Gesicht, der ihm die auf der Zunge liegende Zurechtweisung unterdrücken ließ.

Was sollte denn dieser schon ergraute, humpelnde abgerissene Loder, mit dem vom ständigen Schutzbrillentragen ganz erloschenen Blick, ein Wegmacher, von der schönen Mentnerbäuerin wollen! Sie konnten sich jetzt sprechen, so oft sie wollten, er fragte nicht mehr danach, aber erst, als das Kind kam, vergaß er den Groll, das Mareile füllte ihn ganz aus. Ihm allein galt jetzt seine Eifersucht, die sich auf alle Menschen erstreckte, vor allem auf die Mutter.

Dieser kam es in ihrer eifersüchtigen, argwöhnischen Liebe vor, als neige sich das Kind sogar dem Vater mehr zu als ihr, und sie fühlte sich verlassener, unglücklicher denn je.

Da merkte sie erst, ein wie guter Mensch der Anderl war, wie unrecht sie ihm gethan, indem sie sich bisher vor ihm förmlich gefürchtet hatte, weil sie ihn für falsch und hinterlistig hielt. Er nahm sich ihrer an wie noch niemand auf der Welt. Ohne allen Eigennutz las er ihr jeden Wunsch von den Augen ab und das alles in einer respektvollen Weise, immer der Diener.

Das that ihr unendlich wohl. Oft allerdings überraschte sie ihn über Blicken, deren Art ihr verriet, was in dem Schweigsamen vorging. Ein stummes Werben lag darin, das beunruhigte sie. Seit sie Frau war, hatte sie sich nicht das Geringste zu schulden kommen lassen und sie traute sich selbst nicht in der eisigen Atmosphäre dieses Hauses. Diese Blicke waren aber ganz dazu angethan, sie aufzutauen, und dann – das eigentümliche war, daß sie dabei an ein Unrecht dachte, das sie mehr dem armen Flori zufügte als ihrem Mann.

Die kurze Liebeszeit, die sie mit dem einst so schmucken Burschen verlebt, war der einzige Lichtpunkt ihres freudenarmen Lebens. Diese paar Wochen oder Monate war sie, die arme Dirn’, unerschöpflich reich, sie, die Verachtete, die Sünderin, angebetet wie eine Heilige. Vorher die Schmach und Not einer Heimatlosen, nachher die entsetzliche Oede des Mentnerhofes. Was von Leidenschaft in ihr lebte, wies sie auf den Stoanerflori, daran konnten bisher auch der kurze Fuß und die ergrauten Haare nichts ändern. Und sie war stolz auf diese Treu’!

Da drängte sich der Anderl dazwischen. Er glich fast dem Flori von damals, dasselbe schwarze feurige Auge, dasselbe schwarzgelockte Haar, das in die kurze kräftige Stirn hereinfiel; nur männlicher, selbstbewußter war er; der Anderl hätte sie dem Mentner nicht so gutmütig überlassen.

Er muß aus dem Hanse, das stand bei ihr fest, sie durfte nun einmal nicht die geringste Freude haben, bei ihr schlug alles gleich zum Bösen aus.

Sie suchte alle erdenklichen Vorwände, fing Händel an mit ihm, machte ihn schlecht vor dem Bauer. Der lachte sie aus und der Anderl blieb erst recht und veränderte trotzdem nicht sein herzliches Wesen, ohne ihr je Veranlassung zu einer Zurechtweisung zu geben.

Dieses stumme, rücksichtsvolle Werben wirkte mächtig auf sie; ihre Abneigung gegen den Bauer verwandelte sich allmählich in Widerwillen. Sie ließ ihm freiere Hand in Bezug auf Marei. Die Entfremdung des Kindes, welche bei ihr zur fixen Idee geworden, schmerzte sie immer weniger.

Nachts kam oft Anderl spät zurück, sie sah ihn dann von der Waldseite vorsichtig hinter den Zäunen daherschleichen, oft trug er etwas – sie wußte, woher er kann. Das verursachte ihr lebhafte Besorgnis, schlaflose Nächte. Sie wußte doch, daß der Mentner ganz dieselben Wege ging, schon lange – da empfand sie nie Aehnliches.

Einmal stellte sie den Knecht direkt darüber zur Rede, er solle doch die Wilderei lassen, er habe es doch nicht nötig.

„Thät’s Dir wirkli leid, wenn’s mi amal drauß’n find’n thäten, Loni?“ fragte er.

Sie brach in helle Thränen aus und lief mit der Schürze vor dem Gesicht davon. Seitdem mußte er wissen, wie er daran war.

Eines Abends spät fiel ein Schuß, dem Wolfsgraben zu, nach Lonis Berechnung. Sie war allein im Stall, auch Marei nicht im Hause. Eine tödliche Angst befiel sie.

Nachmittags war sie dem Förster begegnet, er ging nach der Richtung des Wolfsgrabens und sah sie noch so sonderbar an.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 82. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_082.jpg&oldid=- (Version vom 27.10.2021)