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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Sie lief in die Wohnstube, in den Obstgarten, in den Stadel – niemand da! Sie stieg auf die Tenne hinauf. „Anderl!“

Da öffnete sich die Thür im Holzverschlag und der Knecht trat heraus, ein Kummet in der Hand, das er eben in seiner Kammer flicken wollte.

„Was schaffst, Bäuerin?“

Sie schämte sich. Was soll er glauben von ihr? Sie wollte ja ihren Mann suchen – und doch hätte sie aufjauchzen mögen, als sie den Knecht erblickte.

„I hab’ g’rad nachschau’n woll’n, a Schuß is g’fall’n dem Wolfsgraben zu – wird halt der Förster g’wes’n sein.“

„Is der Bauer schon z’ruck von der Ahornalm?“ fragte der Anderl.

„No net.“

Änderl zog die Stirne in bedenkliche Falten. „Der Förster is heut’ um d’ Weg – wird do nix geb’n ham? Hast Ängst, Loni?“

„Jetzt nimmer.“

Der Anderl ließ das Kummet fallen, es war ihm, als ob er auf sie zustürzen sollte.

„Wird halt der Förster g’wes’n sein,“ fuhr sie in mühsam erzwungener Ruhe fort, „wia ma nur so ängstli sein kann!“

„Naa, so ganz unbedenklich is die Sach’ do net! Jetzt wär’ er mir bald lieber da. ’s is schon hübsch lang’ Nacht und den Mond wart’ ma net gern ab auf solche Weg. Komm do’ ’rein, Loni, von da müass’n wir ’n ja komm’n seh’n.“

Loni trat in die Kammer. Anderl zeigte zum Dachfenster hinaus. Sie fühlte seinen Arm an ihrer Schulter, dann suchte seine Hand die ihre. Es war schwül – schwerer Heudunst erfüllte den engen Raum – es war ihr, als brenne sie lichterloh.

Jetzt zog der Mond herauf zwischen zwei großen schwarzen Tannen, die Zäune warfen ihre Schattengatter auf die bläulich leuchtenden Wiesen, welche das waldige Gelände vom Hofe trennten.

Schweigend blickten sie hinaus, ihre Hände lagen ineinander.

„Wenn er jetzt nimmer heimkäm’?“ flüsterte er plötzlich.

Loni schauerte zusammen und bedeckte ihr Gesicht mit der Hand. Dann riß sie sich los und stieg eilig hinab. Der Mentner durfte sie nicht treffen, wenn er von solchen Gängen kam.

Ihre Tochter schlief in einer Kammer mit ihr, sie schlich vorsichtig an dem Bett vorbei, um sie nicht zu wecken. Ein seliges Lächeln spielte um die Lippen des schlummernden Mädchens. Es träumte vom „Förster Willy“, der ihr auf Tritt und Schritt nachschlich, seitdem er als Forstgehilfe zu seinem Vater nach Hagenberg versetzt worden war. Erst heute früh hatte sie das Pärchen überrascht. Ihr war solch ein Glück das ganze Leben hindurch versagt geblieben, nie durfte sie es in Ehren genießen, offen, frei vor allen Menschen, für sie war es immer Sünde und Schande – der Fluch lag darauf. – „Wenn er jetzt nimmer heimkam’!“ – der Vater ihres Kindes! – Nur net träumen!

Am nächsten Nachmittag ging der Bauer mit Anderl auf die Alm. Er sprach wie immer kein Wort von seinem nächtlichen Gange und Loni hütete sich, zu fragen, auch Anderl machte keine Andeutung.

Mutter und Tochter waren allein im Hofe. Da öffnete das Marei zum erstenmal ihr Herz. Der Willy hatte um ihre Hand angehalten, sie liebten sich über alles und wollten nimmer voneinander lassen. Wenn er zum Forstwart befördert wird, soll Hochzeit sein. Der Vater wird ihr gewiß seine Einwilligung nicht versagen, dazu hat er sie zu lieb, aber einen Haken habe die Geschichte. Der Förster werde sich mit Hals und Kopf gegen die Heirat sträuben, wenn der Vater nicht verspricht, das Wildern für immer sein zu lassen, und da soll halt die Mutter ihm zu Herzen reden. Einen besseren Mann gebe es auf der ganzen Welt nicht wie den Willy.

Seliges Glück strahlte aus ihren Augen, und Loni vergaß darüber, daß das Marei in andern Fällen sich immer zuerst an den Vater wandte, ja, sie empfand es plötzlich als ungeahnte Wonne, ihrem Kinde ein Glück zu vermitteln, das sie selbst nie genossen, und beschloß in ihrem Innern, alles zu thun, was in ihren Kräften stand, die jungen Leute zusammen zu bringen.

Marei dankte ihr mit Thränen. – Nur eine Bedingung habe sie vergessen, die der Förster sicher stellen werde, die aber leicht zu erfüllen sei, – der Anderl müsse aus dem Hause.

Die Mutter erhob sich jäh und machte sich in der Stube zu schaffen. Als sie sich wieder der Tochter zuwandte, war jede Milde aus ihrem Antlitz gewichen. So hatte Marei die Mutter noch nie gesehen, keine Spur mehr der liebevollen Zärtlichkeit, welche die sonst so harte Frau für sie stets bewahrte. Jetzt sah sie so kalt und finster aus ihren grauen Augen, wie sie den Vater immer anblickte, zu ihrem bittern Schmerz.

„Was verlangt denn der Herr Förster noch? Bin i vielleicht auch net gut genug als Schwiegermutter? Das wär’ das Wahre – die Dienstleut’ sich vorschreiben lassen müssen von an’ solchen! Da komm’ dem Vater nur selber damit! Der Anderl ist der beste Knecht weit und breit – und das andere kümmert mi nix.“ Sie verließ das Zimmer und sprach kein Wort mehr den ganzen Tag mit dem verzweifelten Kinde.

(Fortsetzung folgt.)



Blätter und Blüten.


Wärmstuben in München. (Zu den Bildern S. 69 und S. 81.) Was an unserer vielverschrieenen Zeit schlecht ist, das erfahren wir täglich gedruckt und ungedruckt in reichlichem Maße. Ein Gutes jedoch hat sie sicherlich: Anregungen der werkthätigen Menschenliebe setzen sich rascher als jemals vorher in Entschlüsse und Thaten um, und das öffentliche Leben bereichert sich durch Einrichtungen, die man früher nicht dem Namen nach kannte. Eine Wärmstube mit billiger Erquickung für jeden, der müde und durchfroren des Weges kommt – kann man sich ein besseres Mittel denken, um vielen gleichzeitig im Winterfrost schnelle Hilfe zu bieten, die ihren Mut und Kräfte zu neuer Arbeit belebt?

Nach dem Vorgange von anderen deutschen Städten hat nun auch München eine solche Anstalt. Wo die Theresienwiese an die Stadt grenzt, dort, im Vorgebäude des ständigen Cirkus, dessen Garderoberäume benutzend, haben thätige Menschenfreunde die erste Wärmstube eröffnet, der in kurzer Zeit eine zweite und hoffentlich bis zum nächsten Winter in jedem Stadtteile eine folgen wird. Von früh bis nachmittags 5 Uhr steht sie dem Besuche offen. Den Eintretenden empfängt angenehme Wärme und ein behaglicher Kaffeegeruch, beides von dem großen Herd ausgehend, wo eine freundliche Köchin den braunen Trank aus einem Riesentopf ausschenkt, die Tasse für 3 Pfennig! Suppe ist zum selben Preis zu haben und beides umsonst, wenn ein Schein des Bezirksvorstehers die große Armut bestätigt. Ein Angestellter nimmt die Scheine oder das Geld in Empfang und händigt dagegen entsprechende Anweisungszettel von seinen Abreißblocks aus. Dieser Raum bietet, wie unser erstes Bild zeigt, zugleich den Aufenthalt für die Frauen und Kinder. Die den Schanktisch umdrängenden Kleinen wie die an den Tischen sitzenden Gäste machen einen anständigen bescheidenen Eindruck, wenn auch manchen die Entbehrung aus dem blassen Gesicht schaut. O, möchten doch viele von denen, die ihren Beitrag gleichgültig zahlen und glauben, damit alles gethan zu haben, hier einmal persönlich herkommen und die Erfahrung machen, welche warme menschliche Empfindung man mit elenden fünf Pfennigen – ein Brot muß auch zum Kaffee kommen! – sich erkaufen kann, wenn man einen dieser still Dasitzenden zu Gaste lädt! Und vollends die Kinder! Wie schmeckt ihnen der warme Trank auf dem Nachhauseweg von der Schule, wie lustig plaudern dann sie, die noch keine Sorgen kennen, an ihrem Tische zusammen! … Nebenan im Männerraum halten sich viel schweigsame Gestalten auf; aber auf den Gesichtern führen Entbehrung und Mißmut eine um so beredtere Sprache. Wenn, wie dies auf unserem zweiten Bild im Hintergrund eben geschieht, Anweisungszettel für Kaffee und Suppe, die ein Menschenfreund spendet, zur Verteilung gelangen, hält sich gar mancher zurück, dem die Gabe doch wohlthäte. Ja, auch in dem gemütlichen München hat das moderne Großstadtelend seinen Einzug gehalten. Und was für München gilt, das gilt für alle größeren Städte unseres Vaterlandes. Deshalb heißt es: Gebt, und gebt nach Kräften, nicht als Almosen, sondern als von den Zeitverhältnissen geforderten Beitrag zur Abhilfe von sozialen Schäden, denen mit gutem Willen gesteuert werden kann!


Burggraf Friedrich III. von Nürnberg überbringt dem Grafen Rudolf von Habsburg die Nachricht seiner Erwählung zum deutschen König. (Zu dem Bilde S. 72 und 73.) Noch ist an dem kühlen, frostigen Septembermorgen die Sonne nicht emporgestiegen und nur erst unklar treten die vielen Türme und Mauern der alten Stadt Basel aus dem Nebel hervor. Auch Graf Rudolf von Habsburg, obwohl er früh wach zu sein gewohnt ist, hat sich soeben erst von seinem einfachen Zeltlager erhoben und schickt sich an, im Freien auf dem Kohlacker, wo sie Rast gesucht, mit den wenigen Leuten seines persönlichen Gefolges das Frühmahl einzunehmen. Der jüngste der Knappen ist gerade im Begriff, einen Napf mit dampfendem Brei auf einem als Untersatz zugerichteten, nach oben abgeflachten Kohlkopf aufzutischen, da, inmitten der noch herrschenden nüchternen Ruhe – erst ein leises Zittern des Erdbodens, dann deutlich näherrückend Pferdegetrappel, Unruhe, Lärm – – vor dem Grafen von Habsburg hält eine stattliche Kavalkade, festlich gerüstet.

Das dreizipfelige Reichsbanner mit dem schwarzen Adler in goldenem Felde senkt sich zur Huldigung hernieder, und schnell sich niederschwingend von seinem edlen Roß, eilt freudigen Angesichts, in der emporgehobenen Rechten die wichtige Urkunde haltend, die andere Hand zu Gruß und Glückwunsch entgegenstreckend, sein treuer Vetter und langjähriger Kampfgefährte Burggraf Friedrich von Nürnberg auf den Grafen zu. Und mit weithin schallender lauter Stimme verkündet der Bote: „Rudolf Graf von Habsburg, Ihr seid vorgestern in Frankfurt zum deutschen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 83. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_083.jpg&oldid=- (Version vom 17.7.2023)