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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

herbeizuführen. Er hätte ihr Dank dafür wissen müssen, aber er vermochte dies nicht. Ihr Anblick war ihm eine Pein, und doch entbehrte er ihn mit Schmerzen – der Ton ihrer weichen Stimme quälte ihn, aber er wollte keinen Laut davon verlieren – er lag tief im Bann dieser späten starken Leidenschaft und trachtete umsonst, davon frei zu kommen. Vergebens beschwor er die Erinnerung an Asta, die einst so Inniggeliebte, herauf, las in ihren Briefen und vertiefte sich in den Anblick ihres Bildes. Er hatte sie geliebt und betrauert, aber sie war seit Jahren tot, die Wunde war langsam geheilt und das neue Gefühl so heiß, so lebendig in ihm, daß es ihm scheinen wollte, er habe selbst Asta nie so glühend geliebt und begehrt wie jetzt Gabriele. Die Worte Frau Leopoldinens an jenem ersten Abend, Gabriele habe allem Anschein nach ihres Mannes leidenschaftliche Liebe kaum erwidert, und sie, die ältere Freundin, habe ihr zureden müssen, seine Werbung anzunehmen … diese Worte, wie der Nachsatz, es sei unentschieden, ob Gabriele überhaupt eines starken Gefühls fähig sei, ließen ihm keine Ruhe. Er grübelte darüber mitten im Lärm und Lachen der Tafelrunde wie in der Einsamkeit seines Zimmers, die er oft erst um zwei Uhr des Nachts zu kosten bekam.

Die schönen stillen Tage und Abende früherer Zeit! Er entsann sich, daß sein Geist seit langen Jahren nicht so frisch und ausgiebig gewesen war wie in jenen Wochen, die er mit Gabriele allein zugebracht hatte. Er wußte es jetzt genau, das war die aufkeimende Liebe gewesen, die sein ganzes Wesen durchströmt und sein Können beeinflußt hatte. Nun, da er Verlangen und Sehnsucht in sein Bewußtsein aufgenommen, hatte ihn die Fähigkeit des Schaffens verlassen, er hätte sie jetzt nicht besessen, selbst wenn ihm die Muße zum Arbeiten gegönnt gewesen wäre. Seine journalistischen Beiträge konnte er zur Not fertig stellen, aber das Buch, an dessen Herstellung er mit solcher Freudigkeit gegangen war, kam nicht weiter, denn dem Mann, der an unerwiderter Liebe krankte, fehlte die begeisterte Hingabe, die ein solches Werk erfordert.

„Buen Retiro!“ Wie höhnisch die goldenen Buchstaben jetzt den Besitzer der Villa im hellen Sonnenlicht ansahen! Jawohl, eine „gute Zuflucht“ für einen, der weder in seinem eigenen Hause noch in seinem eigenen Herzen Ruhe fand! Vom frühen Morgen an Leben und Treiben in beiden Stockwerken, hastig geöffnete und geschlossene Thüren, ein eiliges Laufen die Treppe auf und ab, laute Zurufe hier und da, Stimmen aus den offenen Fenstern, antwortende Stimmen aus der Tiefe des Gartens, neckische Hände, die am Thürdrücker rüttelten, an die Scheiben klopften, der grelle Ton einer Glocke, die zum ersten Frühstück rief, dazwischen der dünne Klang eines jämmerlichen Kindertrompetchens, mit dem Herr Trelow schon von weitem seine Ankunft in der Morgenstunde zu verkünden pflegte. Und nun Geschrei und Gelächter, Plünderung der über Nacht mit neuen Blüten geschmückten Rosenstöcke, Bombardement mit abgerissenen Blumen, abermaliges Frühstücksläuten – so fing der Tag an, und je weiter er vorrückte, um so lärmender ging es zu in „Buen Retiro“.

Mamsellchen hatte es in den letzten Wochen vergebens versucht, mit ihrem Doktor Cornelius ein Wort im Vertrauen zu reden. Sie hatte jetzt viel zu thun, und fand sie einmal einen freien Augenblick, dann hatte der Doktor durchaus keine Zeit für sie. Höchstens ein ungeduldiges: „Ja, ja, schon gut, mach’ nur, wie du willst!“ oder „Brauchst Du Geld? Hier hast Du – Du kannst die Rechnung führen und sie mir später vorlegen, ich weiß ja, Du wendest alles gut an!“ Und ein andermal: „Heute kommt Wein an, ich habe ihn bestellt – fünfzig Flaschen Bordeaux, vierzig Rheinwein – bitte, zähl’ nach, ob es richtig ist!“ – und wenn sie etwas sagen wollte: „Später, liebe Alte! Ich hab’ keine Zeit!“

Mamsellchen seufzte und flüchtete sich zu Ewert, der ihre endlosen Klagen über das „Leben, das all die Menschen, die wildfremden, hier vollführen“ und die Anspielungen auf „Leute, die nichts zu essen haben und bloß sehen kommen, wo bei andern der Schornstein raucht“ anhören mußte. Er teilte ihre Entrüstung übrigens nicht ganz. Wenn er auch zugab, daß es nicht gerade vornehme Herrschaften waren, die jetzt die Villa bevölkerten, so waren sie doch allesamt lustig und gut zu leiden, und Ewert gestand, er amüsiere sich über sie.

„Ich nicht!“ pflegte Mamsellchen dann empört zu erwidern. „Ich hab’ die ganze Bande bis hierher satt“ – bezeichnende Handbewegung – „und die einzige von allen, die wirklich ’was Feines ist und hierher paßt, das ist noch unsere junge Frau. Ich weiß, was Sie jetzt sagen wollen, Ewert, aber was Sie denken, ist nicht! Sie meinen, weil ich anfänglich über sie geredet hab’ – aber das war auch man so so, und sehen Sie, Ewert, ich hielt sie für hochmütig, na, und die Hochmütigen, die kann ich schon für den Tod nicht leiden! Aber damit hab’ ich ihr unrecht gethan, und es geht mir nichts ab, wenn ich das eingesteh’, jeder Mensch kann ’mal unrecht haben, und ich bin auch bloß ein Mensch! Nein, nein, unsere junge Frau ist fein, die weiß, was sich gehört, und wenn sie auch nicht so ist wie die Margot, ihre Mutter, so kann ich sie doch gut leiden, und ein Herz hat sie, denn wie ich neulich die gräßlichen Zahnschmerzen hatte, ist sie dreimal zu mir gekommen, zuletzt sogar in der Nacht, und das Mittel, das sie mir gab, that mir gut. Wo sie kann, hilft sie mir, und jung, wie sie ist – sie versteht sich auf die Küche und weiß Ihnen schöne Rezepte – den Chokoladecreme, den wir vorgestern aßen, hatte sie gemacht! Und, glauben Sie, Ewert, sie macht sich was aus einem einzigen von denen? Gar nichts macht sie sich, aber auch gar nichts, kann ich Ihnen sagen! Ich les’ es ihr ja von den Augen ab – sie hat so sprechende Augen! Und wenn sie in ihrem weißen Kleid so mitten unter den anderen ankommt, dann sieht sie aus wie eine junge Gräfin, und das andere ist alles Pack!“

„Hören Sie, Mamsellchen, Pack ist stark! Was Sie für Ausdrücke haben! Ich kann Ihnen sagen, daß sogar zu meinem Baron welche ins Haus gekommen sind vom Theater – und der lud sich keinen ein, der Pack war!“

„Theater?“

„Herrgott, Mamsellchen, wie kommen Sie mir denn vor? Sie werden das doch gewußt haben – nein?“

„Gewußt, nein, das nicht! Aber gedacht hab’ ich’s manchmal!“

„Na, sehen Sie! Ich glaub’ es nicht, daß unser Herr es weiß, denn vor dem nehmen sie sich alle in acht, und die junge Frau hat ihnen das befohlen – merken wird er ja doch das Seinige! Aber vor mir hütet sich keiner, ich weiß es, Mamsellchen, ich weiß es schon lange! Und wenn ’mal zufällig der Herr und die junge Frau nicht da sind, hei, dann geht es Ihnen los, ein Spaß immer auf den andern, krank kann sich einer lachen –“

„Schämen soll sich einer, über so ’was zu lachen!“

„Ja, Sie sagen das so! Aber wenn der Trelow anfängt –“

„Der Hanswurst!“

„Ja, aber komisch ist er! Neulich, wie sie auch unter sich waren, hat er eine Tänzerin nachgemacht – die Damen kreischten immer!“

„Kann ich mir denken! Das Kreischen, das verstehen die aus dem Grunde! Da, das ist Frau Trelows Stimme! Wissen Sie nicht zufällig, Ewert, wo unser Herr steckt?“

„Im Treibhaus, Mamsellchen! Er sucht die Blumentöpfe heraus, die jetzt ins Freie gestellt werden sollen. Ich wollte ihm helfen, aber er litt es nicht, er sagte, Sie brauchten mich hier beim Flaschenspülen!“

„Ja, so himmlisch gut ist er immer und denkt an mich! Aber, Ewert, jetzt spülen Sie hübsch zu Ende, und ich geh’ ins Treibhaus und seh’ zu, ob mein Doktor allein drin ist! Und wenn er allein drin ist, dann steck’ ich ihm ein Licht auf!“

„Sie werden doch nicht sagen, Mamsellchen, daß ich gesagt hab’, was die mir gesagt haben?“

„Seien Sie ruhig! Auf mich kann sich einer schon verlassen.“

Damit trocknete sich Mamsellchen rasch die Hände ab und stieg aus dem Dämmerlicht des sogenannten Vorkellers empor in die Helle des Tages. Es war ein glühend heißer Augusttag. Um zum Gewächshaus zu gelangen, mußte man einen ziemlich beträchtlichen Teil des Gartens durchschreiten. Mamsellchen band sich die helle Schürze ab und warf sie zum Schutze gegen die sengenden Sonnenstrahlen über den Kopf. Aus einem schattigen Seitengang, der in einer Weinlaube endete, hörte sie das Toben und Lachen der lustigen Gesellschaft, Mineralwasserpfropfen knallten, und durch das Laubwerk schimmerten ein paar Hängematten, die ungestüm hin und her bewegt wurden.

Im Treibhaus herrschte eine dunstige feuchtwarme Luft, mit lauem Erdgeruch und betäubendem Blumenduft erfüllt. Cornelius Röder stand auf einer hohen Trittleiter und langte vorsichtig ein Begonientöpfchen nach dem andern herunter, um es auf ein tiefer hängendes Wandbrett zu stellen.

Mamsellchens Erscheinen schien ihm nicht sehr angenehm zu sein. Sie aber übersah mit einem Blick die Lage und frohlockte innerlich. Sie hatte ihn für sich allein – er konnte ihr nicht entgehen. Sorgfältig zog sie die Glasthür, die einen Ausblick ins

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 86. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_086.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)