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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)


„Steinunglückli? Das hab’n sich schon viel einbild’t und is do net so wor’n. Man glaubt net, was der Mensch aushalt’n kann,“ entgegnete Loni herb. „Im Grund g’nommen paßt das nia z’samm – a Jager und a Bauerntochter.“

„Als ob sich d’ Liab drum kümmern thät, was z’samm paßt und z’samm darf! Als ob die nach an Stand fraget, nach an G’setz oder irgend was! Daß Du das no net weißt, Mutter!“

„Wia g’scheit Du redst, Marei! D’ Lieb kümmert si freili um nix, die is wia a wild’s Tier, aber eben d’rum muaß man Obacht geb’n d’rauf, daß ’s net auskommt und an Unglück anricht’.“

Marei blickte erschreckt auf die Mutter. Das Mondlicht fiel gerade auf deren bleiches Antlitz, spielte in ihrem lichten roten Haar, sie blickte starr auf die Diele und nickte gedankenverloren mit dem Kopfe.

Die Lieb’ kenn’ i net, Mutter, die muß freili kein Glück sein! Die i spür’ zum Willy, o mein, die is ganz anders: die is wia a schöner Garten im Frühjähr, wo die Vögerln zwitschern und singen und alles blüht und guat riecht, wo net amal a böser Gedanken sich einschleicht, viel weniger a wildes Tier. Das Paradies is’s, Mutter - rein das Paradies auf Erden.“

Loni horchte auf, sie nickte nicht mehr mit dem Kopfe und helle Thränen rannen über das regungslose schöne Antlitz.

Da drang ein Ton herein von draußen, wie wenn Eisen und Stein sich berühren, ein Geflüster ward vernehmbar.

Marei wollte an das Fenster eilen, die Mutter hielt sie zurück, legte den Finger auf den Mund und schlich vorsichtig hin.

Eine Leiter war an die Stallmauer gelehnt, der Anderl kletterte eben barfuß hinauf; sie sah deutlich sein mondbeschienenes Gesicht, es war aschfahl, der Atem ging ihm schwer. Als er an der Tennenluke angelangt war, winkte er dem Bauer, welcher die Leiter hielt. Dieser näherte sich erst dem Fenster. Loni duckte sich gewandt, Marei hielt den Atem zurück, sie fürchtete sich jetzt fast vor dem Vater. Beide verschwanden in das Innere, die Leiter ward vorsichtig nachgezogen. Heute mußte ihnen offenbar besonders viel daran liegen, unbemerkt zu bleiben.

Die Angst schnürte Loni die Kehle zusammen, das Gesicht des Anderl war so entsetzlich gewesen.

„Schlaf’, Marei, und träum’ von Dein’ Paradies! Morgen will i ernstli red’n mit ’n Vater, so a Nacht möcht’ i selb’r nimmer derleb’n.“

Marei behauptete, daß ihr der Schlaf gründlich vergangen sei; nach fünf Minuten aber hatte sie den Rat der Mutter wirklich befolgt, den tiefen gesunden Atemzügen, dem wirklich paradiesischen Lächeln nach, das um ihre halb geöffneten Lippen spielte.




Der Förster Kirchberger fehlte seit zwei Tagen, am dritten wurde eine Streife gemacht, sein Sohn, der Willy, leitete sie, und zwar so gut, daß man in der ersten Stunde die Leiche des Unglücklichen fand, in einer tiefen Schlucht in der Nähe des Wolfsgrabens. Er war mitten durch das Herz geschossen – ermordet!

Willy Kirchberger gedachte des Schusses, den er vor drei Tagen gehört, seiner Unterredung mit Marei – er wußte, wer der Mörder war: der Mentner!

Sie war verloren, für immer verloren für ihn, er mußte zum Ankläger werden ihres Vaters! Alle Augen richteten sich mit Ingrimm auf das Mentneranwesen! Der neue Verputz, die Blumen auf den Altanen, das gute Marei – alles half nichts, es war und blieb das Unglück, die Schande von Hagenberg.

Nach den Aussagen Willys und verschiedener anderer, welche vor drei Tagen jenen Schuß in der Gegend des Wolfsgrabens auch gehört, war anzunehmen, daß dieser es war, der dem Förster gegolten, welcher nachmittags auf dem Wege dahin gesehen worden war.

Weder der Bauer noch Anderl sprachen zu Loni ein Wort über die Angelegenheit, und sie hütete sich, zu fragen; doch beider verstörtes unsicheres Wesen, das Ausweichen Anderls, die unmotivierten Wutausbrüche ihres Mannes verrieten ihr alles. Der Mord, schloß sie, wurde an dem Abend begangen, an welchem sie Anderl aufgesucht hatte – von ihrem Mann!

Der Anderl, auf welchen sich der allgemeine Verdacht lenkte – einem angesessenen Bauern war eine solche That trotz allem nicht zuzutrauen – war ja zu der fraglichen Zeit im Hofe, an ihrer Seite! Und wenn sie vernommen wird – wird sie die volle Wahrheit sagen. Sie wartete jetzt förmlich auf den Untersuchungsrichter. Das Entsetzen über die That ihres Mannes, die Furcht vor der Schande, die ihrem Hause bevorstand, alles trat in den Hintergrund vor der Begierde, ihn schuldlos zu erklären.

Der Bauer war allein bei der That, wenn er sie wirklich begangen hatte, was ja immer noch zweifelhaft war. Sie kann


Der Karneval in Köln: „Der Zug kommt!“
Nach dem Gemälde von Chr. Heyden.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 96. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_096.jpg&oldid=- (Version vom 17.7.2023)