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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Monate waren vergangen. Der Mentner saß noch immer in Untersuchungshaft. Ueber den Verlauf der Untersuchung drang nichts Bestimmtes nach Hagenberg; einige Leute wurden vorgeladen, Verhandlungen anberaumt und wieder abgesetzt – der Nachweis der Schuld war offenbar sehr schwer.

Diese Ungewißheit lastete auf ganz Hagenberg wie ein drückender Alp.

Hatte am Ende den Förster doch ein Anderer erschossen, an den niemand dachte, der in ihrer Mitte lebte? Von den Alten konnte nicht die Rede sein, seit Jahrzehnten hatten diese Ruhe gehalten; aber in den jungen Köpfen spukte noch immer die Wilderei, dem einen oder andern von den Burschen war die That am Ende schon zuzutrauen. Ein häßliches Mißtrauen begann das gute Einvernehmen der Nachbarn zu untergraben, von Haus zu Haus schlich der schlimme Verdacht, er nistete sich in den Familien selbst ein.

Nicht wenig trug hierzu der Försterwilly bei, der als verwesender Forstwart das Amt des Vaters verwaltete. Der bisher allgemein beliebte junge Mann machte sich jetzt verhaßt durch sein rücksichtsloses Vorgehen. Es war kein Haus, das nicht von oben bis unten durchsucht worden wäre; jede Woche war er auf einer anderen Fährte, die er mit blinder Hast verfolgte, um ebenso schnell wieder von ihr abzuspringen.

Nur ein Haus hatte vor ihm jetzt völlig Ruhe – das Mentnerhaus. Und doch ging die Blutthat von dort aus, von nirgends anders, das war der feste Glaube der Nachbarn. Und wenn’s der Bauer nicht war, so war’s sein Knecht, der Anderl! Warum verfolgte der Försterwilly nicht diese Spur? „Ganz einfach, weil er net mag! Weil ihm eben alles d’ran liegt, unter einem andern Dach den Schuldigen zu finden als unter dem seiner Geliebten, der Mentnermarei. Machen thät er sich am liebsten an neuen Mörder, als dort den rechten z’ finden!“ hieß es.

Der Haß gegen den Mentnerhof wuchs ins Unendliche. – „Warum jagt die Bäuerin net wenigstens den Anderl zum Teufel? Weil’s net darf, dös is do’ klar!“ – „Hab’n thun sie’s miteinand’!“ lästerte ein anderer.

Doch diese Ansicht gewann keinen Boden. Es gab genug aufmerksame Augen in der Nachbarschaft, doch in diesem Punkte war nichts zu sagen, im Gegenteil, man wollte der Bäuerin die Qual ansehen, diesen Menschen im Hause haben zu müssen.

Marei aber ging umher wie’s Unglück, bleich, matt, gar nicht mehr zu kennen. Sie hatte jetzt etwas Forschendes, Stechendes in ihrem Blick, als ob sie mit ihrem Schatz, dem Willy, um die Wette den Mörder suchen wollte.

Loni führte ein eigenartiges Leben diese Zeit über. Anderl wich ihr sichtlich aus; er fürchtete, von ihr gefragt zu werden. Anfangs drängte sie es auch dazu; sie hielt sich aber gewaltsam zurück, sie konnte noch einmal verhört werden, dann war es besser so. Das glanbte sie ja bestimmt, Anderl war nur Zeuge der That; daß er der Mörder sei, dagegen sträubte sie sich; auch schien es ihr unwahrscheinlich – was sollte den Mentner bestimmen, sich für den Knecht zu opfern! Das lag nicht in seiner Art. Zuletzt war sie froh, daß Anderl von der Sache nicht selbst anfing. Er war der Knecht, unterwürfig, gehorsam, aber weiter nichts. Sie überraschte ihn über keinem der sehnsüchtigen Blicke mehr, die sie früher so wohlig durchdrangen; was er that, hatte nur noch den Charakter des Dienstes. Keine Erinnerung schien in ihm zu leben an jenes Zusammentreffen auf der Tenne. Wenn sie nur daran dachte, brannten ihr die Wangen wie Feuer. Und trotz allem fühlte sie sich glücklicher als je.

Auffallend war es, daß auch Flori seit der Verhaftung ihres Mannes ihr sorgfältig auswich. Sie hatte vielmehr gefürchtet, daß er die Abwesenheit des ihm verhaßten Mentners zu einer Annäherung benutzen werde, und war jetzt froh über seine Zurückhaltung; die alte Neigung war ja längst tot, die sündhaften Worte Anderls, die ihr in jener Nacht durch Mark und Bein gegangen – „wenn er fetzt nimmer heimkäm’“ – hatten sie förmlich ausgebrannt.

Mit banger Ungeduld sah sie der Entscheidung entgegen, welche das Geschick ihres Mannes besiegeln mußte. Sie wünschte seine Freisprechung aufrichtig, aber fürchtete sich doch vor seiner Wiederkehr. Sein hartes liebloses Wesen wird ihr jetzt noch unerträglicher sein.

Marei schloß sich in ihrer Verlassenheit innig an die Mutter an. Ihr Glaube an die Unschuld des Vaters war unzerstörbar. Sie klammerte sich daran mit der ganzen Kraft ihrer jungen Liebe und es gelang ihr auch, den Geliebten wankend zu machen in seiner Ueberzeugung. –

Da, eines Tages, kam der Mentner zurück – frei und ledig. Auf seinen Knotenstock gestützt, schritt er trotzig daher, ohne Gruß, wie früher, und verschwand im Hause, ohne ein Wort mit irgend jemand zu sprechen.

Die Untersuchung war als erfolglos niedergeschlagen worden; man hatte ja nicht einmal den Tag des Mordes feststellen können. Der Schuß, welcher gehört wurde, der fehlende Nachweis, wo der Mentner zur Zeit desselben sich aufgehalten, waren keine genügenden Gründe, Tiroler kamen dann und wann über die Grenze, ein solcher konnte die That begangen haben – trotz der Ueberzeugung des Gerichtes, daß man auf der rechten Spur sei, mußte man ihn freigeben.

Loni erschrak wie vor einem Gespenste, als ihr Mann eintrat. Sein Haar war ergraut, die kräftige Gestalt zusammengesunken, wie um Jahre gealtert. Er war kurz angebunden und benahm sich, als habe er wenige Stunden zuvor das Haus verlassen; erst als Marei hereinstürmte und ihm schluchzend um den Hals fiel, wurde er weich.

Plötzlich besann er sich. „Ah so, Dein’ Freud’ gilt ja eigentlich an’ ganz andern als mir,“ sagte er rauh auflachend. „Aber i mein’ alleweil, da täuschst Di, Mädl; so lang’ sie den wahren Thäter net hab’n, bin’s alleweil i in den Augen vom Forstwart und in den Augen aller Leut’. Kannst’ Dir denn den Willy gar net aus ’n Sinn schlag’n? Muaß ’s denn g’rad der sein?“

Heftiger Widerwille sprach aus seinen Worten. Marei fuhr entsetzt auf, die qualvollste Angst lag in ihren Zügen.

„Was sagst, Vater? Das soll auch nix helfen, daß’ Dich freig’lass’n ha’m? Der Fluch soll ewig auf unserm Haus bleib’n und i soll ewig d’runter leid’n? Naa, das kann unser Herrgott net woll’n. Wie er Di erlöst hat von der falsch’n Anklag’, wird er auch den Mörder wissen und mit dem Finger auf ’hn deut’n: ‚Der is’‘!“ Marei streckte mit einer energischen Bewegung den Arm aus bei den letzten Worten, die ihr, ein heiliger Glaube, aus dem Herzen drangen. Ein „Oho“ tönte von der Thüre her. Anderl war eingetreten. Sie hatte mit ihrem deutenden Finger fast seine Stirn berührt. Der Mentner zuckte zusammen.

Anderl stockten die Worte im Munde.

Loni beobachtete scharf den ganzen Vorgang. Sie wußte nicht recht, ob das Absicht oder Zufall gewesen war. Sie wünschte fast das erstere, die Abneigung Mareis gegen den Knecht war ihr ja längst bekannt. Vor dem Zufall schauerte sie innerlich zusammen, sie unterdrückte den Gedanken gewaltsam. Damit stieg aber neuer Zorn in ihr auf gegen ihr eigenes Kind.

„Sei so gut und führ’ die Komedi net auch vor andere auf; der Anderl wird sich bedanken dafür, und Dein Vater auch, daß die G’schicht’ von neuem losgeht in unserm Haus. Hat Dir Dein Forstwart das einblas’n, oder weißt’ vielleicht was über den Anderl? Dann sag’s nur grad heraus!“

Sie flammte förmlich auf im Zorn, ein haßerfüllter Blick traf das sprachlose Mädchen, welches mit weit aufgerissenen Augen bald den Anderl, bald die Mutter ansah.

„Ja aber, i wollt’s ja gar net – i hab’ ja den Anderl gar net –“

„Hört’s auf!“ donnerte der Mentner, die unheimliche Stille unterbrechend. „Hört’s auf mit die dummen Weiberg’schicht’n und kümmert Euch um andere Sachen! Sie hat ja gar net g’redt vom Anderl, gar net g’seh’n hat sie ihn. Net wahr, Marei, gar net g’sehn hast’ ihn?“

„Nein, Vater, gar net a mal g’seh’n, aber –“

Sie verbarg ihr Antlitz mit beiden Händen und lief aus der Stube und fort aus dem Hause, ohne sich umzusehen, der Försterei zu.

Atemlos kam sie an. Willy war in der Kanzlei.

„Der Vater is da, er is freig’sproch’n, er is unschuldi, Willy!“

Sie sprach die Worte voll sicheren Vertrauens auf ihre Wirkung; als aber Willy nicht, wie sie erwartet, freudig überrascht aufsprang, da faßte sie die Angst.

„Willy! Willy, is denn das no’ uet g’nug?“

Dem jungen Mann fiel es schwer, sich zu beherrschen. „Du irrst Dich, Marei,“ sagte er dann gefaßt. „Dein Vater ist nur freigesprochen wegen Mangels an Beweis. Sieh’, ich freu’ mich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 98. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_098.jpg&oldid=- (Version vom 28.6.2020)