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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

ja für Dich, daß es so gekommen; ich bin nicht rachsüchtig, aber an seine Unschuld glauben kann ich nicht, und niemand wird daran glauben in der ganzen Gegend, bis nicht der wahre Mörder entdeckt ist. Und so lange der blutige Verdacht zwischen uns liegt, können wir miteinander nicht glücklich sein.“

„Du hast recht, Willy, aber der blutige Verdacht soll nimmer lang’ zwischen uns liegen.“

Willy sah betroffen auf das Mädchen, so fest, so bestimmt war sonst nicht ihre Art und – der triumphierende Blick!

„Ja, und wie denkst Du Dir das?“

Marei faßte seine Hand und sah ihm fest in das Auge, jetzt glich sie ihrer Mutter.

„I kenn’ den Mörder.“

Willy prallte zurück. – „Du? – und schweigst?“

„Seit heut’ – seit einer halben Stund’ erst,“ flüsterte sie ihm zu. „Der Anderl!“

„Der Vater hat gestanden? Ja dann – dann Marei!“ Willy breitete verheißungsvoll seine Arme nach ihr aus.

Doch diese ließ traurig den Kopf hängen.

„Vom Vater weiß i’s freili net.“

„Von wem denn? Die Beweise, Marei, die Beweise – und alles geht gut.“

Da erzählte sie den sonderbaren Auftritt mit Anderl. Aber ihr selbst schwand während der Rede immer mehr die feste Ueberzeugung, die vorhin so urplötzlich über sie gekommen, ihre Stimme sank mutlos herab. Auch in seinem Gesichte las sie die Enttäuschung.

„Ach, Marei, das langt nicht und nützt uns nichts, im Gegenteil, g’rad g’warnt hast ihn von neuem, wenn wirklich was d’ran ist. Mir selbst geht der Anderl nicht aus dem Kopf – aber so erwisch’n wir ihn nicht. Da hab’ ich ganz andre Anhaltspunkte und kann ihn doch nicht packen. Jetzt geh’ heim und laß Dir nichts merken. Wenn ein Wild einmal angegangen ist, muß man’s erst wieder vertraut werden lassen, eh’ man’s anpirscht.“

Beim Mittagessen im Mentnerhof, das zum erstenmal zu viert eingenommen wurde, war das Marei heiterster Laune. Sie lachte über das drollige Gesicht, das der Anderl gemacht, wie sie ihm mit dem Finger fast die Augen ausgestoßen in ihrem Schreck über sein plötzliches Auftauchen.

Sie that darin etwas zu viel, Loni sah sie unruhig forschend an.

„Wo warst denn eigentli’ so lang heut’ vormittag?“ fragte sie.

„Wo meinst?“ fragte sie völlig unbefangen, die Suppe mitlöffelnd. „In der Kapell’n, um unsern Herrgott z’ dank’n, daß er uns den Vater wiederg’schenkt hat.“

„Was Du aber heut’ alles mit unserm Herrgott z’ thun hast!“ meinte der Mentner.


3.

Mit dem guten Einfluß, welchen Marei auf den Vater früher geübt, war es jetzt auch vorbei, sein menschenscheues Wesen machte sich mehr und mehr auch ihr gegenüber geltend. Er sah jetzt in Weib und Kind nur noch Feinde, die ihn beobachteten, belauerten, dagegen schloß er sich dem Anderl mit auffallender Innigkeit an; der war nicht mehr der Knecht, sondern sein Freund. Natürlich gab es nur eine Erklärnug dafür, die gemeinsame Schuld, die Mitwisserschaft verbündete sie.

Dieses Gefühl hatte auch Marei und der Widerwille, das Grauen, welche dasselbe erzeugte, erstickte in ihr fast die Liebe zum Vater.

Sie hatte nur noch den einen Gedanken, den Anderl zu entlarven, von dessen Thäterschaft sie fest überzeugt war. Ihr kindliches heiteres Wesen war verschwunden, ihr einst so offener Blick veränderte sich in einen lauernden scharf beobachtenden. Sie belauschte, beschlich die beiden, wo sie konnte, um irgend ein unvorsichtiges Wort zu erhaschen. Wiederholt ertappte der Vater sie dabei. Dann gab es lärmende Auftritte, Thätlichkeiten – ihre Liebe zu dem Försterssohne war ihm ohnehin ein Dorn im Auge. Ein verdächtiger Haß beseelte ihn gegen den jungen Mann.

Auf Loni war die Wirkung eine ganz andere. Diese Freundschaft war für sie etwas Unnatürliches. Mochte vorgefallen sein, was immer, nach jenem Abend auf der Kammer, nach dem in seiner Verhaltenheit nur noch leidenschaftlicheren Bekenntnis des Anderl konnte dieser nicht mehr in Wahrheit der Freund ihres Mannes sein. Etwas Beleidigendes, über das sie nicht hinwegkam, lag für sie in dem intimen Umgang der beiden. Oder wollte Anderl damit die Stunde auslöschen, ihr zeigen, daß er sie bereue?

Fast mußte sie das letztere glauben. Und gerade das nährte in ihrem Herzen die sehnsuchtsvollen Träume von einem Glück, das sie aus ihrem jetzigen Zustand befreite.

Da wandte sich ihr Schicksal unerwartet.

Es war ein sonniger Herbsttag, der Bauer war mit dem Anderl bei der Holzarbeit, Loni und Marei hatten zu Hause zu schaffen mit der Obsternte.

Auf einmal kam der Anderl über das Feld hergesprungen. Loni mußte an die Nacht denken, da sie ihn auf der Leiter erblickt hatte, gerade so sah er aus, so verstört. Atemlos, keuchend stand er vor ihr.

„Der Bauer – rasch! Holt’s an Doktor! A Baam –“

Er konnte nicht weiter.

Loni faßte sich schnell. „Marei, lauf’ zum Doktor – er soll glei’ – schnell, lauf’!“

Doch das Mädchen hörte nicht auf sie, sie packte den Knecht bei der Schulter und drang in ihn:

„Was is mit dem Vater? Red’! Wo is er? I muß zu ihm! Tot am End’? Red’! oder – A Baam hat ihn ’troffen im Fall – daher?“ Sie deutete auf die Stirne.

„Arg,“ entgegnete der Knecht.

„Was fragst denn lang? Den Doktor hol’!“ herrschte die Bäuerin.

„I muß aber mit ihm reden, bevor er stirbt! Der Anderl soll ihn hol’n. – Wo liegt er denn, der Vater? I kenn’ mi ja aus weit und breit.“

„Auf’n Feil’nbacherschlag, bei der großen Buch’n, aber red’n wird er nimmer viel. Dem hilft keiner mehr auf. Do i hol’ schon den Dokt’r und den Pfarrer a, wenn’s wollts’.“

Für Marei klang es wie Hohn. Ohne den Knecht einer Antwort zu würdigen, lies sie davon querfeldein, ohne weiter auf ihn zu achten, der angegebenen Richtung nach.

„Nur a Wort, Vater, nur a Wort!“ jammerte sie laut.

Loni eilte ihr nach, auch ihr waren die Worte des Anderl durch Mark und Bein gegangen. Sie fürchtete das Geständnis, welches Marei noch zu erhaschen hoffte.

Wozu denn neu’s Unglück stiften, wenn’s do amal so weit mit ihm is! An zweit’n Menschen unglückli mach’n? Und wenn er’s wär’, macht das den Förster lebendig? Mit solchen Einwürfen rechtfertigte sie bei sich ihre geheime Sorge – zu früh zu kommen zu dem Sterbenden!

Es war nicht weit auf den Schlag, ein Büchsenschuß vom Dorf entfernt. Die Erregung benahm auch der Tochter den Atem, sie mußte einen Augenblick innehalten.

„Willst’ ihn denn no im letzten Augenblick plag’n mit Dein’ unnützen Gefrag’?“ sagte die Mutter.

„Plag’n nennst’s, wenn i dem armen sterbenden Vater a furchtbare Last vom Herzen nehm’?“

Sie eilte wieder vorwärts. Auch sie beschönigte mit dieser Antwort ihren Eifer. Das eigene Interesse trieb sie, ihr Glück, ihre Zukunft hing vielleicht davon ab, daß sie beim Vater rechtzeitig eintraf. Jetzt lichtete sich das Holz, dort lag der Schlag, dort stand die Buche, wirres Astwerk beschränkte den Blick.

„Horch, sprach da nicht wer?“ Beide Frauen standen still.

„Vergieb uns unsere Schuld, wie wir vergeben unsern Schuldigern,“ klang es deutlich herüber.

Der Mentner war es nicht, der so betete, die Stimme klang kräftig.

Jetzt eilte Loni voraus. Hinter der gestürzten Tanne mußte es sein! Sie riß sich die Hand wund an dem Gestrüpp. – Unter der Buche kniete ein Mann, das Gesicht tief zur Erde gebeugt.

„Der Flori!“ Beide Frauen riefen den Namen zugleich.

Der Mann wandte sich um – es war wirklich der Stoanerflori, der vor dem sterbenden Mentner kniete.

„Lebt er no?“ rief Marei, auf ihn zustürzend.

„No schon,“ lautete die Antwort.

„Red’t er no?“

„G’rad hat er g’red’t.“

(Fortsetzung folgt.)


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 99. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_099.jpg&oldid=- (Version vom 17.7.2023)