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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Da blieb der starre Blick an dem jungen Paar hängen, welches, sich umschlungen haltend, vor dem Sterbenden stand.

Ein unbestimmter Schatten flog über das jetzt wachsbleiche Antlitz, es war, als ob das Blut auf einen Augenblick dahin zurückströmen wollte. Die Stirn zog sich an der Nasenwurzel in tiefe Falten. Ein schlimmes Zeichen in den gesunden Tagen des Mentners. Seine Fäuste stemmten sich gegen den Bettrand.

Alles lauschte atemlos, man hörte den Holzwurm ticken im Getäfel. – – Jetzt wird er sprechen –

Und wirklich – in abgerissenen, aber deutlichen Worten rang sich’s von den Lippen des Sterbenden. „Geh’ weita, Jaga – i oder Du! – Geh’!“

Das Auge starrte drohend auf Willy. Dieser nahm sichtlich die Gestalt des Ermordeten an vor dem brechenden Blick – des Mörders! – Kein Zweifel – in keiner Brust!

Die gewaltsam angespannten Züge lösten sich rasch – ein lautes Aufstöhnen – und der Friede kam auch über den Mentner. Der trotzige Zug um den Mund verschwand – er lächelte, gar nicht mehr höhnisch, sondern wie ein Kind, wie einst das Marei, wenn es von ihrem „Paradiese“ träumte.

Doch mit dem war es aus für immer! Die verworrenen Worte des Sterbenden waren nicht mißzuverstehen.

Willy drückte der Geliebten stumm die Hand und verließ den düsteren Raum – als wär’s ein Abschied für immer.

Jetzt graute es dem Marei vor dem Toten, sie barg ihr Antlitz in die Hände und schluchzte laut. –

Loni machte dem Flori ein Zeichen, er folgte ihr auf den Flur.

„Hat er ’was g’redt zu Dir?“ fragte sie hastig.

„Wohl!“ lautete die kurze Antwort.

„Was denn?“

„G’rad an’ Nam’ hat er g’nennt,“ erwiderte Flori. „Kannst Dir ihn net denk’n?“

„I’? Wie soll i denn?“

„Anderl!“ flüsterte der Steinhauer.

Loni war darauf gefaßt. „Däs is ganz natürli, g’ruf’n hat er nach ihm, vielleicht hat er Di für ihn g’nommen.“

„So, meinst? ’s hat aber ganz anders g’laut! Der Anderl hat’s than’! Muß Dir ja a Stoa vom Herzen sei!“

„Und desweg’n hörst so ’was Furchtbars ’raus aus an Wort und machst an Mensch’n unglückli? Da thuast mir an schlecht’n Dienst. Wenn D’ mi a bisl liab g’habt hast, hast’ nix g’hört! Zu was die G’schicht’ wieder aufrühr’n! Laß’ ’s begrab’n sein mit ihm, i bitt Di! ’s is do’, wie i sag’, g’ruf’n hat er nach ihm.“

Sie sprach hastig, ihre Erregung nicht verbergend.

„Aber was red’st denn! I mag eh nix mit ’n G’richt z’thun ha’m. I will ihm nix, dem Anderl, g’rad wegen dem Marei wär’s mir g’wesen – – weil i selber weiß, wia hart ’s is – Du weißt scho’, Loni –“

Loni atmete erleichtert auf; was er von der Tochter sagte, überhörte sie ganz.

„O, i weiß ja, Du bist a guater Mensch und i werd’ Dir’s nia vergess’n – nia, Flori!“

Sie drückte ihm fest die Hand. Dann eilte sie in die Stube. Flori sah ihr erstaunt nach.

„Warum is ihr denn gar so viel d’ran g’leg’n, daß i nix g’hört hab’?“

Da erblickte er den Anderl durch die offene Stallthüre. Der ging seiner Arbeit nach, als wäre nichts geschehen.


„Hallo! Wenn’s das wär’!“ Er fuhr sich an die Stirn. „Ihr Schatz! – Wer weiß, wia’s no’ kommt! sagte sie damals im Obstgarten. Jetzt wär’s ja eintroff’n, aber i bin ein Krüppel und der Anderl – –! Ein Mörder – wenn i red’!“

Er humpelte durch den Stall an dem Knecht vorbei.

„Aus is’ mit ’n Mentner – hätt’s net ’dacht – war no hübsch frisch, wia i dazu kommen bin –“

„Frisch nennst das?“ meinte der Anderl, „no, i dank!“

„Im Verstand - mein’ i, hat ja Dein Nam’ no g’nennt.“

„Hat er?“ sagte der Anderl, eine Gabel Heu in den Barren werfend. „Da g’hört g’rad net viel dazua – wenn er weiter nix g’red’t hat.“

„Is g’rad gnu – in so an Zuastand –“ setzte der Flori nach einer Pause hinzu.

Anderl stieß die Heugabel auf den Boden und sah den Steinhauer frech an.

„Meinst? Ei, so geh’ do’ auf’s G’richt und d’erzähl ihna ’s die große Morithat, daß der Mentner nach’n Anderl g’ruf’n hat, der ihn aussazog’n hat unterm Bam. Wo’s D’ nur a überall umanand schnuffelst mit Dein Gehwerk!“

Er sah verächtlich auf Flori herab.

Das traf! Flori richtete sich an seinem Stock stramm in die Höhe, wie um sein Gebrechen zu verbergen. „Ja schau, wenn ’s mag, kommt man a mit ei’m Bein g’rad z’recht.“

Er ging, er wollte nicht mehr in die Stube zurück; jetzt durfte und wollte er mit Loni nicht reden. –

Die Nacht war da. Zu Häupten des Toten flackerten die Lichter, Agl, die „Seelennonne“, hatte die Leiche friedlich gebettet. Von der häßlichen Wunde sah man nichts mehr. – „Wia’s nur mögli is, ohne Beicht’, mit so an Verbrech’n auf der Seel’ dahin müss’n und so freundli ausschau’n wia nie im Leb’n!“ dachte sie bei sich.

Die Leute brachten ihm papierne Kränze, schlugen ein Kreuz und blickten scheu auf den Toten.

„Er hat’s selb’r no g’stand’n dem Försterbuben!“ wurde allgemein erzählt.

Die Seelennonne hatte vollauf zu thun. Eines gab dem andern die Thüre in die Hand, und jedem mußte sie beim Eintritt bedeutungsvoll zunicken, beim Austritt im Namen des Hauses für seine Totenspende danken.

Ein unaufhörliches Geflüster rieselte durch den Raum, welchen die meisten zum erstenmal in ihrem Leben betraten. Die leisen Gespräche galten dem Mentner, von dem man nun endlich erlöst war. Sein Tod hatte versöhnend gewirkt. Durch sein Geständnis im letzten Augenblicke hatte er doch manches wieder gutgemacht. Die Unglücksgeschichte konnte endlich begraben werden in Hagenberg, und am Ende hieß es: „Gott allei kann’s wiss’n, wia’s ganga hat, der Förster war do aa a hitziger Kam’rad.“

Loni hielt es nicht aus im Sterbezimmer. Jede Beileidsbezeigung war ihr ein Stich ins Herz. Sie empfand keine Trauer. Er hatte sie ja aus Haß gegen die anderen Menschen geheiratet, und wie hatte er sie behandelt! Die Kette, die sie bisher getragen, riß, weiter nichts. Sie wagte es zwar nicht, sich das so klar einzugestehen, und machte sich überhaupt noch keine Gedanken über die neue Lage, aber in die Stumpfheit, die sie beherrschte, mischte sich doch ein Gefühl der Erlösung.

Daß der Flori sich so rasch davongemacht hatte, beunruhigte sie. Sie war doch eigentlich furchtbar ungeschickt gewesen. Was war denn dabei, daß der Bauer den Anderl da draußen auf der Unglücksstätte noch einmal genannt hatte? Wie konnte sie darüber so erschrecken, wie konnte sie den Flori bitten, bei seiner einstigen Liebe beschwören, darüber zu schweigen! Was war denn zu verschweigen?

Das darf ja jeder wissen. Sie selber wird’s erzählen, wie’s zuging! Aber wie er’s g’sagt hat – der Ton! Derselbe war’s, der ihr seit dem Bericht des Flori in den Ohren klang. – Doch außer dem einen Zeugen hatte die Worte des Sterbenden ja niemand gehört. Und hatte der Mentner es zuletzt nicht selbst eingestanden. „Geh’ weita, Jaga, i oder Du! Geh’!“ – War jetzt noch ein Zweifel möglich? Und wenn? Wenn – der Anderl wirklich – ? Ja, auch dann! Auch dann war’s besser, wenn die That begraben bliebe für immer mit dem Mentner! Würde etwas gebessert damit, wenn der Mensch ins Zuchthaus wanderte? Freilich – des Mentners Namen stände dann wieder rein da, er läge nicht als Mörder auf dem Kirchhof! – Doch das war alles nichts Greifbares. Und sie sah im Geiste den Anderl gefesselt, von Gendarmen abgeführt, mit einem vorwurfsvollen Blick auf sie.

Was lag ihr an der Meinung der Leute! O, sie hatte sie verachten gelernt. Aber ihr Kind – das Marei? Der wird es das ganze Leben verbittern! Die Mutterliebe ward in ihr rege. Die Trauer um den Vater, die Erinnerung an seinen gräßlichen Tod, die wird das Kind mit der Zeit wohl verwinden, aber das andere Leid, die vernichtete Hoffnung auf die Heirat mit dem Försterwilly! Das Mädchen schwand ja förmlich dahin! Wenn’s der Anderl doch gewesen wäre – – – Wie kommt sie dann dazu, einem Knecht zulieb ihr Kind zu opfern?

Da stockte sie und wagte sich nicht mehr vorwärts mit ihren Gedanken. Sie muß mit ihm reden – ihn offen fragen! Und gewarnt muß er wenigstens werden vor dem Flori!

Sie suchte ihn wie damals im ganzen Hause. Wenn sie ihn wieder in seiner Kammer aufsuchen müßte!

Die Scene von damals stand klar vor ihr, es war, als

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