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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

müssen nicht denken, daß ich mir selber so apart vorkomme, aber ich meine eben, das Heiraten muß nicht auch so ein alltägliches Geschäft sein, wo man sich erst besinnt, mag man eigentlich oder mag man nicht. Das kommt mir zu armselig vor, gerade wie Talmigold gegen ein echtes. So ein gewöhnlicher gutmütiger Mann – können Sie die sanften Männer leiden, Fräulein?“

„Warum nicht? Fürs Haus sollen sie die besten sein.“

„Na, da danket ich schönstens dafür, das wär’ mir zu zahm. Nein, ich denk mir immer, ein Mann muß sein wie ein Vulkan, donnern und blitzen, daß man sich fürchtet, weil man weiß, er ist imstande, einen totzustechen aus Eifersucht. Und rasend interessant muß er sein und zugleich so unsinnig verliebt – kurz, ein wahrer Abgrund von Leidenschaft, ja lachen Sie nur, das ist halt einmal mein Ideal!“

„Und weil Sie das in Salzburg nicht finden, deshalb reisen Sie fort?“

„Schauens, das haben Sie jetzt g’rad’ getroffen,“ fuhr Toni lebhaft heraus. „Mir ist der Salzburger Karneval doch so fad, mit die paar langweiligen Bäll’! Mitten heraus geh’ ich jetzt fort, nach München zu dem Künstlerfest, das wird anders lustig werden!“

„Haben Sie dort Verwandte?“

„Nun freilich. Ist ja der Volkhard mein Schwager.“

„Sie meinen doch nicht den Maler Volkhard? den berühmten Volkhard?“

„Accurat den meine ich. Sehe ich vielleicht aus, als ob ich keine Schwester haben könnte, die einen berühmten Maler geheiratet hat?“

„Natürlich nicht“ – Fräulein Panke erschöpfte sich in Versicherungen des Gegenteils, und ihr Ton wurde sehr warm dabei, denn die braunäugige Toni erschien ihr plötzlich in ganz neuem, bedeutendem Licht. Schwägerin von Volkhard! Einziehend in das berühmte Haus an der Schwabinger Landstraße, dessen Inneres den Neugierigen so fest verschlossen blieb, daß sogar die unternehmende Sophie Panke noch keinen Vorwand zum Eindringen gefunden hatte – ja, mehr noch, selbstverständliche Genossin der „oberen Götter“ beim bevorstehenden Künstlerfest im Odeon! Diese unbedeutende kleine Salzburgerin mit den lachenden Augen und dem fragwürdigen Deutsch! Fräulein Panke fühlte sich wieder einmal gegen das Schicksal empört. Sie selbst hatte nur mit großer Mühe eine Karte erhalten und kannte niemand von den berühmten Hauptfiguren des Zuges. Sie würde nur aus der Entfernung sehen, was dieses Kind mit unbewußten Augen so verständnislos anstarren würde, wie etwa ein kleiner Seidenspitz, den man im Zuge mitführt! O, es war schändlich! –

Aber bald gewann die Reporterin in ihr wieder die Oberhand und mit vorsichtigen Fragen suchte sie eine Anzahl interessanter Personalnotizen über Volkhard dem Munde seiner Schwägerin zu entlocken. Auch hier harrte ihrer eine Enttäuschung. Die hübsche Toni wußte zwar, daß Volkhard „ein Heidengeld“ mit seinen Bildern verdiene, auch konnte sie dies oder jenes namhaft machen, zu welchem „die Resi“ oder sie selbst gesessen, aber jeder Versuch, nach Denkungsart oder Charakterzügen des Berühmten zu forschen, scheiterte an Tonis mangelhafter psychologischer Begabung. Daß er manchmal „recht kurios“ sein könne, gab sie zwar zu, welcher Art und Richtung aber seine Kuriositäten angehörten, war aus ihren vagen Antworten nicht herauszubringen, so daß Fräulein Panke schließlich von dem Versuch abstand, durch dieses undurchsichtige Medium einen Blick in die Tiefen einer Künstlerseele zu thun.

Desto bereitwilliger erzählte Toni von dem schönen Haus, und wie gut es ihre Schwester darin habe, abgesehen natürlich von den bewußten Kuriositäten. Die drei Kinder seien herzig, wahre kleine Engerln mit den schönsten Haaren. Toiletten habe die Resi, daß es nur so eine Pracht sei, schwere Seide, Sammet und Spitzen, alles „ganz echt“, und sie sei wirklich eine wunderschöne Frau. „Warten Sie, ich zeige Ihnen die Photographie.“

Toni griff über sich, holte den Reisesack herunter und entnahm ihm eine kleine Ledermappe voll Photographien und Briefe. Einer davon, in länglichem blauem Couvert, fiel während des Oeffnens zu Boden. Fräulein Panke hob ihn auf und las die in schwunghafter Kaufmannshand geschriebene Adresse: Fräulein Antonie Burghofer, hierselbst. Sie reichte ihn dem Mädchen, das mit flüchtigem Erröten danach griff und ihn rasch wieder zu den anderen in das Mäppchen schob. Dann betrachtete jene das dargebotene Bild der schönen Frau im spitz und tief ausgeschnittenen Gesellschaftskleid: ein über die Achsel zurückgewandtes Profil mit niederer Stirn unter dichtem Haarknoten, feiner geraden Nase und großgeöffnetem Auge. Die Aehnlichkeit mit der jüngeren Schwester war unverkennbar, freilich war Frau Resi ohne Frage viel schöner als Toni, aber der Ausdruck des Kopfes stand nicht auf der Höhe seiner Linien.

„Nicht wahr – dekorativ?“ fragte Toni triumphierend. „So sagt mein Schwager immer, wenn er von Resi spricht.“

„Ja, sehr ‚dekorativ‘,“ erwiderte die andere. „Man könnte kein besseres Wort finden. Haben Sie auch ein Bild Ihres Schwagers?“

Toni durchblätterte das Päckchen Photographien. „Nein, der ist nicht da. Aber sehen Sie einmal den Papa, ist er nicht gut getroffen?“

„Ja freilich!“ Fräulein Panke betrachtete ergötzt das ängstliche Männchen mit dem gewaltsam würdevollen Photographiegesicht. „Und das ist wohl Ihre Frau Mutter?“ Sie deutete auf eine breit hingesetzte, unendlich gutmütig aussehende Frau mit sehr großen dunkeln Augen.

„Ja, ja. Die arme Mama! Sie ist viel krank, deswegen leben wir auch so still, sie kann gar nichts vertragen von Lustbarkeiten und dergleichen.“

„Ihr Herr Vater ist wohl Beamter?“

„Er ist jetzt pensioniert, er war früher beim Zoll angestellt. Warten Sie, jetzt muß ich Ihnen Volkhards Kinder noch zeigen.“

Während ihre Gefährtin die schönen Blondköpfe bewunderte, entströmten dem Munde der jungen Tante Erzählungen, die manchen Kilometer überdauerten. Fräulein Panke hörte erst mit Ergebung zu, dann mit Interesse, und als der Zug in Rosenheim einfuhr, begaben sich beide als ganz gute Freunde zu dem bescheidenen Genuß eines Bahnhofsmittagessens. Die weiteren Stunden bis München verflogen schnell, die Schriftstellerin mußte zwar definitiv auf Beendigung ihres Feuilletons verzichten, aber eine leise Hoffnung, Anknüpfung mit Volkhard betreffend, sproßte in ihrer Seele empor. Wenn das möglich war, dann wollte sie den Zeitverlust noch segnen!

Und siehe! Das Glück schien günstig. Als der Zug im Bahnhof stand, streckte Toni den Kopf heraus, um sofort in eifriges Grüß Gott! und Händewinken auszubrechen.

Gleich darauf öffnete ein großer, blondbärtiger Mann, eine wahre Hünengestalt, die Coupéthüre und rief: „Na, Mädel, bist Du glücklich da? Gieb mir Deine Siebensachen, dann schnell heraus, in die Droschke! Kathi, nehmen Sie einmal das Zeugs da zusammen!“

„Ja, Hans!“ rief derweil im höchsten Erstaunen das Mädchen, indem sie seine dargebotene Hand kräftig drückte, „wo muß man denn das hinschreiben, daß Du selbst herkommst mich abholen? Das ist ja fabelhaft liebenswürdig von Dir!“

„Ist nicht so gefährlich,“ lachte er dagegen, „komme doch gerade des Wegs vorüber, da wollte ich schauen, ob Du glücklich da bist. Ich muß auch gleich weiter, will Dich nur noch in die Droschke setzen. Sind wir’s? Also voran!“

„Einen Augenblick!“ Toni wandte sich nach der mittlerweile auch ausgestiegenen Reisegenossin zurück, deren Blicke mit größtem Interesse an Volkhards energischen Zügen hingen. „Das ist Fräulein Panke, mit der ich von Salzburg hergefahren bin. Eine berühmte Schriftstellerin. Sie war sehr gut gegen mich. Ich danke auch nochmals bestens, Fräulein.“

„Sehr verbunden,“ sagte der Maler mit einem kühlen Blick auf das ältliche Gesicht, indem er oberflächlich den Schlapphut lüpfte: „Habe die Ehre, mich zu empfehlen, Gnädige!“

Nun war der ersehnte Augenblick da, aber ach! er sollte ungenützt verstreichen! Ehe Fräulein Panke sich soweit gesammelt hatte, um außer dem Händedruck an Toni etwas ihrer und der Situation Würdiges hervorzubringen, empfing sie den Abschiedsgruß Volkhards, der seine Schwägerin an den Arm nahm und sich zum Gehen wandte.

Im nächsten Augenblick war sein breiter Paletotrücken und Tonis zierliche Taille in dem Gedränge der ausgestiegenen Reisenden spurlos verschwunden.


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 119. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_119.jpg&oldid=- (Version vom 16.7.2023)