Seite:Die Gartenlaube (1895) 120.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)


2.

Es war schon ein paar Jahre her, seit Toni, damals noch ein schmächtiges Backfischlein, zum letztenmal auf Besuch in München gewesen war, seither hatten sich die Schwestern nur bei den Sommeraufenthalten der Familie Volkhard im Salzkammergut gesehen. Deshalb freute sich nun die Kleine „unbändig“, im erwachsenen Zustand wieder einmal das schöne behagliche Haus zu betreten, welches für sie in der Enge ihrer Salzburger Verhältnisse den Inbegriff alles Wünschenswerten vorstellte. Auch das Zusammenleben mit der Schwester, dachte sie, müßte jetzt doch ganz anders werden als früher, viel wärmer und zutraulicher – kurz, Toni konnte das Anfahren des Wagens kaum erwarten und bog wieder und wieder den Kopf aus dem Fenster.

Richtig, da schimmerte es ja schon weiß aus den dürren grauen Bäumen hervor. Erst sah man den vorgebauten Balkon, dann die breiten holländischen Fenster mit den gemalten Einfassungen, die Glaswand des Ateliers im Dachstock und zuletzt die zum Turm abgerundete Hausecke mit der in der Eingangshalle zurückliegenden eisenbeschlagenen Hausthüre. Diese flog auf, als der Wagen hielt, und an den Hals der jungen Tante stürzten sich zwei schlanke Mädchen mit wehenden Blondhaaren – Irmgard und Ursula – während der erst zweijährige Hansel auf dicken Wackelbeinchen eifrig hinterherstrebte.

Toni nahm ihn noch in die allgemeine Umarmung mit hinein, war aber unter allem Küssen und Drängen nur bemüht, die Kinder aus der Winterkälte zurück in das durchwärmte dämmerige Treppenhaus zu schaffen. Dort trat ihr auch die Schwester entgegen, eine prächtige Figur im eleganten Hauskleid, die eine Atmosphäre von Veilchenduft um sich her verbreitete. Herzlich faßte sie Toni in ihre kräftigen Arme, küßte sie wiederholt und sagte:

„Na, das ist schön, Kleine, daß Du glücklich wieder da bist! Nun lege nur gleich in Deinem Zimmer droben ab und komme zum Kaffee. Du mußt ja unterwegs tüchtig durchgefroren sein!“

„O nein, der Wagen war geheizt,“ sagte Toni, immer noch bemüht, die eifrigen Bestrebungen der kleinen Patschhändchen auf ihr Gesicht und Haar zu mäßigen.

„Einerlei,“ erwiderte Frau Volkhard, „Hansel, laß doch die Tante! – Du kommst jetzt herauf; warte, ich zeige Dir das jetzige Fremdenzimmer; der kleine Bursche da hat ja das frühere bekommen. Deine Sachen sind schon oben, da richtest Du Dich ein bissel zusammen und kommst gleich wieder herunter.“

Sie wehrte die nachdringenden Kinder ab und stieg mit der Schwester die teppichbelegte Treppe empor. Dann traten sie, im Oberstock angekomnnen, in ein niederes, aber geräumiges und sehr behaglich aussehendes Zimmer. Ein dicker Teppich bedeckte den Boden, rote Stoffvorhänge teilten die halbrunde Fensterwand, das oberste Stockwerk des Türmchens, von dem übrigen Zimmer ab. Frau Resi zündete die von der Decke niederhängende schwere Messinglampe an, und in ihrem Licht erglänzte freundlich die des Gastes harrende Einrichtung: alte Schränke und Polstermöbel, ein hübscher neuer Schreibtisch, das große Himmelbett und das rosa Meißener Porzellangeschirr des Waschtisches.

„Ach, wie hübsch ist es hier, wie gemütlich!“ rief Toni, sich nach der Schwester umwendend. Aber in demselben Augenblick, wo sie diese deutlich im Licht sah, erstarb ihr das Wort im Munde, sie starrte sie einen Augenblick wie verstört an und rief dann im höchsten Erstaunen:

„Ja, nun Gotteswillen, Resi, wie schaust denn Du aus?“ … Ihre Hände, die soeben das Reisetäschchen von der Schulter nehmen wollten, blieben mit dem Riemen unbeweglich in der Luft stehen.

„Nun, ich meine, ich schau’ aus wie alle Tage,“ versetzte Resi gleichmütig.

„Aber Du hast ja Deine schwarzen Haare nicht mehr, bist ja ganz rot geworden, ist denn das gef–“

„Nur mit einer Essenz gewaschen, die sie hell beizt, das macht man ganz leicht in einem Vierteljahr. Der Hans meinte, die dunkeln Augen müßten zu rotem Haar eigentlich noch viel besser stehen als zu braunem – schwarz war ich ja doch nie, Toni! – Und ich muß sagen, ich finde, er hat recht.“ Die schöne Frau drückte wohlgefällig vor dem Spiegel die weichen goldigen Löckchen fester inn die Stirn. „Kommt es Dir nicht auch so hübscher vor, Kleine?“

Diese war der Handbewegnung starr mit den Augen gefolgt.

„Aber Resi,“ flüsterte sie leise, „so hat ja Deine Haut früher auch nicht ausgesehen. Du bist ja auch geschm–“

„Wirst Du jetzt bald fertig sein mit Deiner Verwunderung!“ fuhr die andere geärgert auf. „Das ist ja doch ganz natürlich, daß der Teint auch hergerichtet werden muß für rot. Darüber faß’ Dich jetzt nur gleich ein für allemal und mach’ vor dem Hans keine Bemerkungen. So was verträgt er nicht, das weißt Du!“

Toni war es gewohnt, von der Aelteren zurecht gewiesen zu werden, sie machte sich also schweigend daran, das uralte rostige Hängeschloß ihres Reisesackes zu öffnen, und Resi griff zu, um zu helfen. Während die einfachen Toilettegeräte auf den schönen Waschtisch verteilt wurden, entspannn sich das Gespräch von neuem, und über den Erzählungen von Papa und Mama hatte die gutherzige Toni rasch den unangenehmen Eindruck vergessen. Um so mehr, als ihr die so veränderte Schwester nach kurzer Zeit wirklich viel „aparter“ so vorkann. Sie selbst war halt ein kleinstädtisches Ding und verstand nichts von dem künstlerischen Geschmack!

(Fortsetzung folgt.)


Der Tiger von Plessis-les-Tours.

Von Ernst Hutten.
(Mit dem Bilde S. 121.)


Leise öffnet er die Thür, der alte König Ludwig XI., und tritt mit schleichendem Schritt in das Genach ein, in das man auf seinen Befehl den seit zwölf Jahren in seinem Käfig schmachtenden Verräter La Balue gebracht hat. Die hagere Gestalt des kranken Königs hebt sich kaum von der dunklen Pforte ab. Der Tyrann hat die Pelzmütze, die mit dem abgeschabten Rock die übliche Kleidung dieses geizigsten aller französischen Herrscher bildete, halb ins Gesicht gedrückt und sieht mit lauerndem und zugleich gierigem Blick seiner kalten, tückischen Augen auf den Gefangenen im Käfig. Aber in seinem Auge liegt zugleich eine Art von Scheu und fast eine Spur grauenvollen Mitleids, soweit der greise Einsiedler von Plessis-les-Tours dessen fähig ist; denn der abgezehrte Mann im Käfig hat einst einen starken Einfluß auf ihn geübt, und er stand sogar seinem Herzen nahe. Schwer gebeugt und niedergedrückt von der Last der Kette, mit der er an das Gitter des Käfigs geschmiedet ist, zugleich körperlich herabgekommen und elend durch seine langjährige Kerkerhaft, blickt der ehemalige Minister und Günstling auf seinen Herrn, mit dem er einst gemeinsame Pläne geschmiedet zur Stillung von dessen Herrschbegier und Rachsucht. Aber trotz der erlittenen Gefängnisqualen hat sein Antlitz und seine Haltung einen Zug von Selbständigkeit und Trotz bewahrt, als dächte er daran, daß er im heiligen Rom an dem Papst Paul II. einen Rückhalt hat, der ihm immer noch Aussicht auf eine Erlösung von seinem Schicksal gestattet. …

Cynisch und in brutaler Haltung steht der berüchtigte Generalprofoß des Königs, Tristan, der furchtbare Henker und Präsident aller exekutiven Justizakte seines grausamen Herrn, an der Seite des Käfigs, hinter dem Rücken die Schlüssel wie im Spiele hin- und herschwenkend. Mitleid aber, teils gemischt mit Neugierde, teils auch vollkommen ehrlich und teilnahmsvoll, zeigen die anderen Anwesenden, namentlich aber der am weitesten Zurückstehende, der gleichzeitig mit überlegenem Blicke den König mustert und in welchem gewiß der Maler unseres dramatisch belebten Bildes den edlen Comines, den milderen Ratgeber des blutdürstigen Königs, dargestellt hat.

*      *      *


Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 120. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_120.jpg&oldid=- (Version vom 16.7.2023)