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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)


Weiße Schreibtafeln.

Seit etwa einem Jahrhundert spielt die dunkelgraue Schiefertafel eine hervorragende Rolle in der Schule. Auf ihr haben wir alle schreiben gelernt. Man sollte glauben, daß darum diese einfache Schiefertafel von unserm gebildeten Zeitalter hoch in Ehren gehalten würde. Aber mit nichten! Die Schriftgelehrten sind einmal schlechte Menschen; sie lohnen der Schiefertafel mit schnödem Undank, predigen ihre gänzliche Abschaffung.

Die Hauptanschwärzer der Schiefertafel sind die Augenärzte. Da heißt es in einem der Gutachten dieser Autoritäten: Für die Deutlichkeit des Sehens und damit für die Leichtigkeit der Wahrnehmung von Geschriebenem kommt es in hohem Maße auf den Helligkeitsunterschied zwischen den Schriftzeichen und dem Untergrunde an. Dieser ist groß, wenn mit schwarzer Tinte auf weißem Papier geschrieben wird, klein, wenn auf der nicht schwarzen, sondern dunkelgrauen Schiefertafel mit dem Griffel nicht weiß, sondern grau geschrieben wird. Dem Kinde, das ohnehin mit der großen Schwierigkeit zu ringen hat, die ihm ganz neuen Schriftzeichen zu erkennen und zu malen, wird also die Aufgabe noch bedeutend erschwert, wenn man ihm die letztgenannten Schreibmaterialien in die Hand giebt. Es wird trachten, möglichst große Bilder der zu beobachtenden Dinge auf seiner Netzhaut zu entwerfen, daher Augen und Kopf soviel als möglich der Tafel annähern. Hiermit aber ist Veranlassung zu schlechter Körperhaltung und zur Entstehung von Kurzsichtigkeit gegeben.

Auf Grund dieser Wahrnehmungen entwickelte sich seit etwa zwanzig Jahren eine eifrige Agitation gegen die Schiefertafel. Zunächst wollte man einen Ersatz für dieselbe schaffen und begann, weiße Schreibtafeln herzustellen, auf denen man mit schwarzen Stiften schreiben und das Geschriebene mit feuchtem Schwamm wieder wegwischen konnte. Die Zahl der neuen weißen Schreibtafeln war recht groß; man verfertigte sie aus Stein, weißlackiertem Blech, Glas und Pappe, aber keine vermochte vor dem gestrengen Gerichte der Augenärzte und Pädagogen zu bestehen. Die eine war zu teuer und zu leicht zerbrechlich; die andere war zwar billig und unzerbrechlich, ihre weiße Fläche nutzte sich aber so rasch ab, daß sie als unpraktisch für Schulzwecke verworfen werden mußte. Die Bemühungen, brauchbare weiße Schreibtafeln für die Schule herzustellen, werden noch gegenwärtig fortgesetzt und in der letzten Zeit wurden uns weiße Pergament- und Papptafeln vorgelegt, die in der That für den ersten Augenblick bestechen. Es bleibt jedoch noch abzuwarten, ob sie auch die nasse Probe in den Händchen der ABC-Schützen bestehen! Wenn es aber noch vor zehn Jahren schien, daß die weiße Schreibtafel eine Zukunft habe, so haben sich in den letzten Jahren die Ansichten doch zu ihren Ungunsten verschoben. Dieselben kommen sehr deutlich in einem Gutachten des Professors der Augenheilkunde Dr. August von Reuß zum Ausdruck.

Viel wichtiger – heißt es darin – als die Naturfarbe von Schieferstift und Schiefertafel ist die, welche durch den Schieferstaub des Griffels entsteht. Mit einem feuchten Lappen oder Schwamm wird der Tafel zuerst ein glänzendes Aussehen gegeben, von dem sich die frisch geschriebenen Striche nicht abheben, und nach dem Trocknen ist häufig die ganze Tafel mit einer weißgrauen Tünche überdeckt, die das Geschriebene nur mit Mühe erkennen läßt. Dasselbe gilt umgekehrt von der weißen Tafel, die durch ungenügendes Wischen grau wird. Reinlichkeit kann wohl manches von dem Uebelstande benehmen, aber bei vielen sechsjährigen Kindern selbst aus guten Häusern fehlt es daran. Ich will nicht von den schmutzigen Händen reden, welche durch das Verwischen der Buchstaben erzeugt werden, denn diese interessieren den Augenarzt wenig. Der Hauptgrund, warum ich gegen die Schiefertafel bin, ist aber folgender: Nach meiner Meinung kann ein Schüler, der mit einem Stifte leidlich schreiben gelernt hat, doch nicht mit der Feder schreiben und umgekehrt. Er muß also das Schreiben eigentlich zweimal lernen, muß seinen Kopf und seine Augen gerade doppelt soviel anstrengen, als wenn er das Schreiben von vornherein mit der Feder erlernt hätte. Gegenüber dieser Belastung der Kinder mit einer ganz unnützen Arbeit darf man doch nicht die Tintenkleckse und die schwarzen Finger ins Feld führen, die beim ersten Gebrauch der Tinte, oft auch noch später, entstehen.

Diese Anschauung verschafft sich gegenwärtig in pädagogischen Kreisen und auch in der Schulpraxis Geltung. Wurde schon früher die Benutzung der Schiefertafel auf das geringste Maß, auf die ersten Monate oder gar Wochen des Schreibunterrichtes beschränkt, so mehren sich jetzt Fälle, in welchen Schulbehörden von der Benutzung der Schiefertafel ganz und gar absehen und die Kinder sofort mit Tinte und Feder schreiben lassen.

Trotz alledem braucht man die weiße Schreibtafel nicht ganz und gar zu vernachlässigen. Sie kann sowohl in der Schule wie im öffentlichen Leben gute Dienste leisten. Unsere Schulwandtafeln sind schwarz und der Lehrer schreibt und zeichnet auf ihnen mit Kreide. Seine Darstellungen würden deutlicher ausfallen, wenn er eine weiße Tafel und schwarzen Stift benutzen könnte. In einer Anzahl von Anstalten, namentlich höheren und Hochschulen, sind solche weiße Tafeln längst in Gebrauch. Im Privatleben sind weiße Notiztafeln, auf welchen man mit dem gewöhnlichen Bleistift schreiben und das Geschriebene mit einem nassen Schwamm wegwischen kann, bequem und angenehmer als die leicht verwischbare Schiefertafel. Besonders beachtenswert sind aber die weißen Schreibtafeln für das öffentliche Leben. Kurze und gerade eilige und dringende Mitteilungen von Behörden, wie z. B. Vorständen der Eisenbahnstationen, werden dem Publikum auf Wandtafeln bekannt gegeben. Jedermann weiß aus eigener Erfahrung, wie undeutlich oft die Kreideschrift auf der schwarzen Tafel ausfällt und wie sehr der Glanz der Tafel das Erkennen und Ablesen der Mitteilung erschwert. Eine schwarze Schrift auf mattem weißen Grunde ist bei weitem deutlicher und auf größere Entfernungen sichtbar. Es wäre zu wünschen, daß in dieser Hinsicht der weißen Tafel eine allgemeine Bevorzugung zu teil werden würde.

Jedenfalls sind die Tage der Schiefertafel, die so lange das Wahrzeichen des ersten Schulganges bildete, gezählt. Man schiebt sie beiseite, und es geschieht ihr recht! meinen die Schriftgelehrten. Grau auf Grau ist ihre Erscheinung und Leistung; der Künstler, der oft Grau in Grau malt, mag sich in diesen Farben gefallen; für die Schrift gilt die Losung: Schwarz auf Weiß! Die Wahl der grauen Schiefertafel als Schreibmaterial war also eine Verirrung, das müssen wir der Dahinscheidenden, wie leid es uns auch thut, Schwarz auf Weiß bezeugen. C.     


Loni.

Erzählung von Anton von Perfall.

     (3. Fortsetzung.)


Dem Flori trat auf einmal der unheimliche Vorgang in aller Lebendigkeit vor die Seele. Es war im letzten Spätherbst – in der Nacht nach jener, von welcher das Gericht angenommen hatte, daß in ihr der Mentner den Förster erschossen. Da war er wider seine Gewohnheit in seiner Hütte geblieben, um in aller Frühe bei der Arbeit zu sein. Um elf Uhr ungefähr hörte er das Rascheln von Steinen oben im Holz. Wild, das über den Farrenbach wechselt, in die Hagenberger Gründe – dachte er bei sich – und weil er von den Bauern oft darum gebeten worden war, hat er sich aufgemacht, um das Wild abzutreiben. Da hat er es wispern hören ganz nahe im Wald – er hat sich hinter einen Baum geduckt, und wer ist vorbeigeschlichen, den Blößen ausweichend im Unterholz? – Der Mentner und der Anderl! Daß sie vom Wildern gekommen sind, hat er gleich gewußt. Aber die Gesichter! Leichenblaß! Sie sprachen aufgeregt und leise, aber doch nicht leise genug, daß er nicht gehört hätte, wie von einem Schuß auf den Förster die Rede war und der Anderl sich seines Schusses noch rühmte. Dann verstand er nichts mehr. Er wollte auch nichts mehr hören. Es grauste ihm.

In jener Nacht war der Förster erschossen worden – erschossen vom Anderl in Gegenwart des Mentner. Aber Flori hat sich gehütet, davon zu erzählen, und selbst der Loni kein Wort von seinem Geheimnis verraten. Er hat das Schweigen gelernt von seinen Steinen!

Doch jetzt, seitdem ihn der Gedanke quälte, die Loni könnte wohl gar den Anderl heiraten, da überkam es ihn in diesen Stunden einsamen Grübelns wie eine Mahnung, daß das Schweigen ein End’ haben müsse. Die Loni wenigstens mußte es erfahren – schon wegen dem armen Marei. Um den heimtückischen Lumpen, den Anderl, zu schonen, durfte er das gute herzige Geschöpf nicht elend werden lassen! Und dann der Willy, wie kam denn der dazu – der ihm, gerade wie sein ermordeter Vater, immer so freundlich gesinnt gewesen war.

Das war eine saubere Arbeit, die er heute machte! Die Oktobersonne überschüttete den Farrenbach mit flimmerndem Lichte, welches das weiße Gestein durstig aufsog und dann übersättigt zurückstrahlte. Die Blätter der Ahornbäume schwankten goldig leuchtend zu Boden, in den Kuppeln der Buchen glühte und brannte es. Eine wohlige Wärme herrschte. Flori nickte ein auf seiner Holzbank.

Da kollerte ein Stein; dieses Geräusch konnte ihn aus dem tiefsten Schlaf erwecken. Er blickte jäh auf und seine Augen trafen sogleich mit der Sicherheit, die das beständige Leben in der freien Natur giebt, den Ort, wo es entstanden.

Ein Weib stieg, sichtlich die Blöße des Unterholzes meidend, die gegenüberliegende steile Böschung des Farrenbaches herab. Jetzt stand sie mitten im Geröll und blickte nach ihm herüber, mit der Hand die Augen vor der Sonne schützend.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 126. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_126.jpg&oldid=- (Version vom 16.7.2023)