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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

„gar so zum Verachten ist er nicht. Freilich, der Name ist schreckbar – aber seine Eltern haben ein gehöriges Geld, wenn sie sich’s auch nicht merken lassen, und er selbst ist ja doch ein ganz hübscher und lieber Mensch –“

„Nun, wenn Du ihn magst, so nimm ihn!“ erwiderte Frau Resi gleichmütig. „Mein Geschmack wär’ er nicht!“

„Fällt mir ja gar nicht ein!“ ereiferte sich Toni. „Zum Heiraten mag ich ihn nicht. Aber wir sind doch schon so lange gut Freund miteinander, und er ist so ein Mensch, der sich über alles kränken kann, da muß man sich überlegen, was man schreibt. Ich hab’ den Papa gebeten, daß er ihm sagt, die Reise hätt’ ich nicht mehr aufgeben können – ich glaub’, er hat nur deswegen noch schnell angehalten, weil ihm angst geworden ist, es schnappt mich ihm hier einer weg!“ schloß sie mit einem kinderhaft vergnügten Lachen.

„Nun, da schickst Du ihm halt seinen Abschlag von hier aus,“ entschied Resi, indem sie den letzten der vielen Knoten löste und den Schachteldeckel hob. „Hast denn ein Bauernkostüm mitgebracht?“

Toni fand im stillen, daß die Schwester ihren ersten Heiratsantrag nicht mit gebührender Wichtigkeit behandelte. „Ja,“ sagte sie etwas enttäuscht über die kurze Abfertigung, „und ein sehr schönes sogar.“ Sie enthob der Schachtel ein rotes Wollröckchen mit Gold- und Silberlitzen und hielt es der Schwester hin.

„Du grundgütiger Heiland!“ sagte diese, „ich hab’ mir’s ja gedacht!“ Sie nahm das zierlich gefaltete weiße Mullschürzchen mit den roten Atlasbändern und hielt es Toni vor. „Unglückskind, das kannst Du ja alles nicht anziehen!“

„Warum denn nicht?“ fragte diese erschreckt. „Ist ja doch alles schön und neu!“

„Aber nicht echt! Das ist ja Theaterstaat, so was kann man ja absolut nicht tragen. Was meinst Du denn von einem Künstlerfest? Da muß alles echt sein bis aufs Tüpferl, sonst ist’s unanständig. Na, komm’ nur herunter, es hat mir halb und halb geschwant von so etwas und ich habe auch vorgesorgt mit einem Bauernkostüm. Die Base von unserer Kathi in Dachau draußen hat ihr Sonntagsgewand hergeliehen, das ist echt, das probierst Du hernach einmal gleich an.“

Toni fühlte nahendes Unheil aus diesen diktatorischen Worten drohen. „Aber Resi,“ wandte sie angstvoll ein, „so ein gemeines Dachauer Weiberl paßt doch nicht auf einen feinen Maskenball. Ist’s denn nicht etwas aus der Ritterzeit, was Ihr vorstellt?“

„Warum nicht gar,“ erwiderte Resi. „‚Im Reich der Phantasie‘ heißt der Titel, da hat alles drin Platz, Götter und Helden und Bauern und Hanswürste. Bist Du fertig? Nicht? Da gehe ich voraus und mache den Kaffee. Komm’ bald nach, nicht wahr?“

Sie ging hinaus, und seufzend legte Toni das verurteilte Kleidungsstück wieder in den Kasten zurück. Sie würde es also nicht tragen, das allerliebste Sammetmieder mit dem ausgeschnittenen weißen Hemdchen und den koketten Kurzärmeln – wie gut müßte ihr alles das gestanden haben! Aus dem ersten Salzburger Masken-Leihgeschäft hatte sie’s geholt, voll Freude, etwas so Schönes zu bekommen … O, und welche Greuel fand sie sicher da unten vor! Sie wußte zu gut, wie manchmal in ihr eine geheime Stimme: Schauderhaft! geflüstert hatte, wenn Volkhard: Famos echt! rief. Das wär ihr gleichgültig gewesen, so lange es sich um gemalte Leute handelte, aber jetzt, wo ihr eigenes Gesichtchen in Gefahr der Echtheit geriet, jetzt war ihr die Sache doch ganz außer dem Spaß, und mit düsteren Ahnungen stieg sie ein Weilchen später durch das getäfelte, teppichbelegte Treppenhaus zum Speisezimmer hinab. Dort fand sie an dem breiten, vom Licht einer großen Hängelampe überstrahlten Eßtisch außer ihrer Schwester und den Kindern, die sich sofort lebhaft um die junge Tante drängten, ein paar Hausfreunde, wie sie öfter hier um die Kaffeestunde vorzusprechen pflegten, besonders eben jetzt, wo zu dem großen Feste doch täglich Vorberatungen und Vereinbarungen nötig waren.

Eine Anzahl von Kostümskizzen lag am unteren Ende des großen Tisches ausgebreitet, am oberen goß Frau Resi den Kaffee aus der blanken Messingmaschine in die Tassen. Sein feiner Duft füllte das behagliche Gemach, dessen kunstvolle Vertäfelung mit den altersdunklen, geschnitzten Möbeln und schweren Vorhängen zusammen einen ganz ausnehmend „echten“ Charakter trug. Auch der Anzug der Hausfrau hob sich durch reizende kleine Besonderheiten in Anordnung und Schmuck weit über das Modejournal heraus. Ihr Anblick sowie der der schönen Mädchen in dunkeln Sammetkleidern mit den lang herabfallenden, über der Stirne gerade geschnittenen dichten Haaren und den prachtvoll großen Augen mußten jedes Kennerauge mit Entzücken erfüllen. Man erhielt in diesem Raum den Eindruck einer erhöhten Existenz – traulich und vornehm zugleich, schien er ein Aufenthalt für Bevorzugte, in reiner Schönheit Lebende zu sein. Mit dieser Ueberzeugung dachte jeder daran zurück, der einmal einen Abend lang hier an dem gastlichen Tisch gesessen hatte. Die alle Tage daran saßen, waren freilich von einer so hochfliegenden Auffassung weit entfernt.

„Lassen Sie sich Zeit, Hachinger,“ sagte die Hausfrau, indem sie die silberne Rahmkanne und den Kuchenkorb in Zirkulation setzte, „die Bilder laufen Ihnen nicht davon. Toni, gieb ihm einmal den Zucker hinunter!“

Diese that, wie ihr geheißen, mit ziemlich gleichgültiger Miene. Ihr war der kleine blonde Krauskopf mit dem roten Gesicht nicht im mindesten anziehend, ebensowenig freilich der andere, der dürre langweilige Kunstsammler Scholz, ein großer Bewunderer Volkhards, den sie im stillen den Ritter von der traurigen Gestalt nannte.

Die waren also auch wieder da – natürlich! Hätte jetzt, wo sie kein Backfisch mehr war, der Hans nicht ebensogut nettere Leute zu Freunden haben können?

Wenigstens mit der Unterhaltung gedachte sie nicht, sich anzustrengen, nahm also den gerade von der Kinderfrau hereingebrachten dicken Prachtjungen auf den Schoß und begann, ihm mit allerhand Schmeichelworten seine Milch einzulöffeln.

Währenddessen sagte Scholz zur Hausfrau:

„Der Zwiesler hat ja sein großes Bild verkauft, wissen Sie’s schon? Für dreißigtausend Mark.“

„Den Schmarren!“ fügte Hachinger im Brustton der Ueberzeugung hinzu.

„Was stellt es denn vor?“ fragte Toni.

„Drei geweißte Wände und eine Hobelbank,“ erwiderte er.

„Aber das ist ja doch nicht möglich,“ rief sie im größten Erstaunen, „daß man für eine gemalte Wand und eine Hobelbank dreißigtausend Mark bezahlt!“

„Da haben Sie ganz recht, liebes Fräulein,“ versetzte Scholz. „Für diese wenigen Gegenstände – eine Leimpfanne war übrigens auch noch dabei, Hachinger! – würde man wohl eine solche Summe nicht zahlen. Aber die Idee! Die neue Mode! Das ist gerade wie mit den Pariser Modellhüten. Jedes Frühjahr haben wir so ein Paar neue Modelle im Glaspalast; grüne Menschen, lila Wiesen, transparente Heilige. Heuer war das neueste eine Leinwand mit gar nichts darauf, das hat unser Zwiesler glücklich vorausgeahnt und streicht sein Erfinderhonorar ein. Nächstes Jahr hängen dann ein paar Dutzend der gleichen „Stimmungsbilder“ herum, aber die bringen es zu keinem so schönen Preis mehr.“

„Ja ja,“ lachte der mittlerweile eingetretene Volkhard, „spotten Sie nur, Scholz! Aber wenn ein Schlaumeier, wie der Zwiesler, es mit zwei solchen Bildern zu einem neuen Haus bringt, das ist doch ein nicht ‚wegzuleugnender Erfolg‘, wie sein Freund, der Kritiker im Tageblatt, sagt.“

„Ob ihm das mit einem dritten noch einmal so glückt, wollen wir erst abwarten,“ sagte Scholz bedächtig und fügte nach einer Pause hinzu: „Der schöne Philipp hat noch einen kürzeren Weg zu dem neuen Haus gefunden, der hat sich gestern mit der reichen Loderbräutochter verlobt.“

„Herrschaft!“ fuhr Hachinger mit schaudernder Bewunderung heraus.

„Sie können’s ihm ja nachmachen,“ sagte Frau Resi aufmunternd.

Aber er schüttelte den Kopf. „So dick fällt’s für unsereinen nicht ab. Und wenn man halt keine Aussicht für eine ordentliche Partie hat, dann bleibt man am gescheitesten ledig. Nur keine Elendsheirat!“

„Schau schau den Hachinger,“ lachte die schöne Frau belustigt. „Das hab’ ich ja noch gar nicht gewußt, was Sie für ein Finanzgenie sind! Na, gestehen Sie einmal ehrlich: Wie viel muß sie haben, damit Sie es der Mühe wert finden?“

Er kraute sich nachdenklich den tief in die Stirne reichenden krausen Schopf. „Das hat nach oben keine Grenzen,“ sagte er endlich. „Je mehr, je lieber. Aber was die Grenze nach unten betrifft, da muß ich sagen: Wenn eine nur 40000 Mark hat, das ist für mich noch a Mannsbild!“

Alle lachten, nur Toni saß unbehaglich da. Sie war nicht gerade hervorragend ideal veranlagt, aber solche Reden stießen sie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 134. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_134.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)