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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

noch, jetzt für Toni eine neue Arbeit zu bekommen, wo man ohnedies alle Hände voll zu thun hatte, ein paar Tage nur vor dem Fest!

Sie ließ also ihres Mannes halb fragendes, halb zustimmendes: Na, ja, das kann man ja noch machen! unbeachtet fallen und bemühte sich, mit raschen Fragen über seine eigene Rolle den unbequemen Mahner auf ein anderes Gebiet zu bringen. Ob er wirklich den Wagen der „Phantasie“ führen werde? Ob deren Darstellerin, Baronin Hetvary sehr schön sein werde? Er gab allerhand Auskunft, aber auf letzteres hin zog er lächelnd und geheimnisvoll die Achseln in die Höhe. Da fuhr Hachinger derb heraus:

„Na, das müssen Sie doch genau wissen!“

Pereda wandte sich und warf ihm einen Blick wolkenhohen Heruntersehens zu, welcher dem kecken kleinen Krauskopf die nähere Begründung seiner Rede im Munde versiegelte, dann fuhr er, als habe niemand gesprochen, zu Resi gewendet fort:

„Ich darf nichts verraten, Frau von Hetvary hat mich auch nur soweit ins Vertrauen gezogen, als zum gemeinsamen Effekt notwendig ist. Daß unser Wagen sich aber sehen lassen darf, das glaube ich heute schon sagen zu können.“

Es klang bei aller Freundlichkeit so ablehnend, daß niemand den Gegenstand weiter verfolgen mochte. Mitten in die entstehende kleine Pause hinein öffnete sich die Thüre und Toni erschien darin. War es der Kontrast mit der Dachauer Unform, war es die Erregung des Augenblicks – sie sah reizend aus trotz ihres einfachen Kleidchens und Herr Pereda würdigte rasch emporspringend durch ein lebhaftes: Ah! den Eindruck von so viel frischer Jugendlichkeit.

Und nun kam es genau, wie Toni im stillen gehofft, nun erhob er, auf seine frühere Rede zurückkommend, einen so entrüsteten und energischen Protest gegen Faßrock und Pappdeckel-Mieder, daß Frau Resi dagegen nicht mehr aufkam. Freilich von ihrem mitgebrachten Kostüm wagte die Kleine nicht mehr zu reden – wie durch ein inneres Schauen war ihr plötzlich dessen ganze Armseligkeit in den Augen eines so Hochgebietenden klar geworden, sie zitterte jetzt vor einer Anspielung von seiten der Schwester. Aber Frau Resi war klug genug, die Kleinbürgerlichkeit der Familie bei sich zu behalten. Sie sagte nur: „Woher soll man denn etwas anderes nehmen in der kurzen Zeit?“

Und wieder wie eine himmlische Botschaft klang die leichthin gesprochene Erwiderung:

„Wenn die Damen mir die Ehre erweisen wollen, morgen auf mein Atelier zu kommen – ich habe ganze Kästen voll Sachen, Spanisches und Orientalisches, oder auch – was meinen Sie, Volkhard? – solch einen schweren byzantiner Goldstoff, ganz einfach um das Figürchen gesteckt, da und dort ein paar Quasten, und ein kleines goldenes Käppchen in die braunen Locken gedrückt, wäre das nicht reizend?“

Seine mandelförmigen Augen, die gewöhnlich etwas von den dunkelgesäumten Lidern bedeckt blieben, richteten sich mit einem Ausdruck wie Liebkosen nach der jungen Gestalt hin und Toni fühlte ein leises Zittern durch ihre Nerven gehen. Sie neigte stumm und glücklich das Köpfchen mit, als ihre Schwester das Anerbieten annahm und den Besuch für morgen in Aussicht stellte.

Dann verabschiedete sich Pereda bald und auch die anderen gingen.

Als Toni später in ihr Stübchen hinauf stieg und, am Fenster lehnend, über die dunklen Massen der Bäume und fernen Häuserdächer weg den sternfunkelnden Nachthimmel betrachtete, da war es ihr, als müsse jetzt etwas kommen, was noch niemals dagewesen sein konnte, etwas Wundervolles, Unaussprechliches!

Der Ton des großen Gong, laut durchs ganze Haus schallend, riß sie endlich aus ihren Träumen und sie eilte, zum Abendessen hinunter zu kommen. Die versprochene Postkarte über glückliche Ankunft an den Papa hatte sie ganz vergessen!


3.

Des andern Morgens freilich holte sie ihre Versäumnis nach. Und als die „gehorsame Tochter Toni“ in großen, kindlich steifen Buchstaben auf der gelben Karte stand, da griff die Schreiberin, weil es noch früh am Tag und sie in ihrem Stübchen allein war, nach einem Briefbogen, um den schwierigen Brief an ihren Bewerber erst einmal aufzusetzen. Sie wußte, daß von da bis zur Vollendung noch ein weiter Weg war, und seufzte in dieser Gewißheit, aber es half nichts, geschrieben mußte sein, also lieber gleich beginnen!

  „Geehrter Herr Käsmeyer!“
das stand verhältnismäßig geschwind da. Ja, so mußte es bleiben, denn „Lieber Lorenz“ ging nicht, sie nannten sich ja schon seit zwei Jahren „Sie“. Und es sollte ja auch eine Absage werden. Wie er sie wohl aufnehmen würde? Toni stützte den Ellbogen auf und fuhr, während ihre Augen unverwandt ins Weite blickten, mit dem Federhalter ein übers andere Mal durch die krausen Schläfenhärchen. Sie sah ihn deutlich vor sich, den Lorenz mit den gutmütigen Augen und dem glänzend gebürsteten Scheitel, wie er in seinem karrierten Anzug daherkam, einen roten Sacktuchzipfel so recht staatsmäßig aus der Brusttasche gezogen, ganz Hausbesitzerssohn und künftiger Geschäftsinhaber. Aber ach! dieser rote Zipfel leitete ihre Gedanken mit elektrischer Schnelle auf einen anderen von weißem Batist mit blaugestreiften Rändern, der gestern aus einer anderen Brusttasche ein wenig hervorgeschaut hatte. Ein fremdartiges Parfüm war ihm entströmt, als die schlanke Hand des Malers das Tuch einmal hervorzog. Und diese Hand selbst mit den kostbaren Ringen, der etwas dandymäßige Anzug mit den kleinen Feinheiten von scheinbarer Nachlässigkeit, alles das überschauerte Toni wieder in der Erinnerung mit dem überwältigenden Entzücken, welches männliche Eleganz, mit Kraft und Nonchalance vereinigt, in unerfahrenen weiblichen Gemütern hervorzubringen pflegt. Nicht gerade ein Gott – aber wenn man sich Phöbos Apollo in modernem Anzug denken wollte: viel anders als Adrian Pereda könnte er auch nicht aussehen!

Es war bei solchen Gedankengängen erklärlich, daß der angefangene Brief an Lorenz Käsmeyer nicht viel über den höflichen Anfang hinauswuchs. Toni raffte sich zwar nach einer guten Viertelstunde aus den Gedanken an zwei beherrschende Augen und aus den Zweifeln, wie diese wohl aussehen müßten, wenn sie Liebe blickten, soweit auf, um zur zweiten Zeile zu schreiten. Aber dort geriet sie sofort in Zwiespalt, ob sie den Satz besser mit. „Ihr geehrter Antrag –“ oder: „Ihren geehrten Antrag“ beginnen würde. Kaum stand das erstere da, so erkannte sie auch, wie sehr der „Geehrte Herr“ der Anrede auf diese neue Wendung drückte. Aber, wie sie sich auch hin und her besann, eine andere wollte ihr nicht einfallen, geschweige ein Schluß des begonnenen Satzes. Sie kannte diesen Zustand von den Weihnachtsbriefen an die Pate her, so schlimm wie heute war es ihr aber noch nie ergangen. Rein zum Verzweifeln! Warum kann man denn reden, so viel man will, und sowie man die Feder anfaßt, fällt einem in Gottesnamen auch gar nichts ein?

Während die Kleine mit neuerdings aufgestütztem Kopf diesem unlösbaren Rätsel nachsann, tönte es von drunten. Toni! Toni! Eilfertig warf sie das Schreibgerät beiseite, um zur Schwester hinabzueilen, und empfing dort die Weisung, sich rasch zurecht zu machen. Der Besuch in Peredas Atelier sollte zeitig ausgeführt werden, auch hatte Frau Resi noch eine Menge anderer Besorgungen, sie nahm Toni in Beschlag wie früher auch, und diese war in Anbetracht des ersten Ganges zu allem weiteren froh bereit.

Eine halbe Stunde später bogen die Schwestern, von der Pferdebahn absteigend, in die Briennerstraße ein, an deren unterem Ende das bewußte Atelier als Gartenhaus einer eleganten kleinen Villa stand. In ihren Räumen pflegte es oft abends laut und lustig genug herzugehen, desto stiller waren die Morgenstunden im Atelier, wo der übermütige Gesellschafter von gestern abend als ein mit ungeteilter und angespannter Geisteskraft Arbeitender hinter seinen Rahmen und Staffeleien saß! Es durfte ihn dabei niemand stören oder doch „beinahe niemand“, wie sein Diener Philipp mit einem gewissen Augenzwinkern zu sagen pflegte. Heute schien der Fall dieses „Beinahe“ sich ereignet zu haben, denn in dem sonst so stillen Raume, der übrigens durch eine gute Doppelthüre vor den Lauscherohren Philipps geschützt war, klangen Stimmen, bald heftig und erregt, bald augenblicklich wieder gedämpft.

„Sie streiten sich wieder einmal und zwar gehörig,“ murmelte der vortreffliche Jüngling, aus der gebeugten Haltung am Schlüsselloch sich aufrichtend, „das war eine kurze Herrlichkeit! Wird nicht lange mehr dauern,“ fügte er kopfschüttelnd hinzu, „darauf kenne ich ihn – Weiberspektakel verträgt er nicht. Wenn sie gescheit wäre, ließe sie’s bleiben.“ Und Philipp wandte sich von neuem der geöffneten Schrankthüre zu, wo die vielfachen Anzüge des Herrn seiner prüfenden Hand warteten. Denn fehlende Knöpfe vertrug dieser ebenfalls nicht, darüber hatte Philipp schreckliche Erfahrungen und sorgte deshalb für ihre Erneuerung mit einer seinem sonstigen Charakter ganz fremden Pünktlichkeit.

(Fortsetzung folgt.)


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 136. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_136.jpg&oldid=- (Version vom 17.7.2023)