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verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

„Zurück, ’s geht nimmer, der Dachstuhl!“ riefen sie ihr zu. Oben dröhnte es schon gegen die Stalldecke von stürzenden Balken.

Sie aber stürmte vorbei, die Leiter hinauf, der Kammer zu. Um sie her prasselte stürzendes Gebälk. Die Pfosten der Thüre glühten wie brennende Fackeln, diese selbst stand offen. Dicker Rauch wälzte sich hervor, von der kühlen Nachtluft zurückgeschlagen, welche durch das geborstene Fenster hereinwehte.

„Marei!“

Keine Antwort! Und sie drang ein. Sie tappte nach dem Lager – leer! Der Schrecken lähmte sie. Schon erfaßte sie Schwindel. Da berührte ihr Fuß etwas Weiches. Sie bückte sich in der raucherfüllten Finsternis nieder – sie berührte mit der Hand ein Gesicht –. Ohnmächtig – tot? Mit der Kraft des Wahnsinns raffte sie den starren Körper der Tochter empor und schleppte sich mit ihm zur Leiter – da krachte und splitterte es über ihr, der Dachstuhl, flammenumloht, neigte sich ächzend.

Sie stürzte mehr herab als sie stieg, den regungslosen Körper in den Armen. Kaum daß ihre Füße die Steinfliesen des Stalles berührten, prasselte der Dachstuhl zusammen. Die massive Stalldecke erzitterte unter dem Getöse. Eine Wolke Asche, von Funken und Flammen durchglüht, wälzte sich ihr aus der Luke nach. Loni fühlte ihre Besinnung schwinden, mit der Kraft der Todesangst strebte sie instinktiv dem Ausgange zu. Doch ehe sie ihn erreicht, brach sie zusammen. Wie aus weiter Ferne drang eine Stimme noch in ihr Ohr – ihr Name. – Dann umfing sie tiefe Ohnmacht.

Hinter Flori, welcher zum Erstaunen der gaffenden Menge die verloren geglaubten Frauen aus dem Stall hervorschleppte, sank das Hofgebäude fast lautlos in sich zusammen. Noch eine lange Feuergarbe erhob sich in das Dunkel der Nacht, dann verhüllte schwarz aufwallender Rauch das Bild der Zerstörung, nur hie und da noch zuckten aus den Trümmern bläuliche Flammen.

Der Mentnerhof war nicht mehr der Schandfleck von Hagenberg. Er war ausgebrannt. – – –

Im Nachbarhaus lagen die beiden bewußtlosen Frauen. Marei schien schon wieder von süßem Schlummer befangen, nur das rauchgeschwärzte Gesicht, die entzündeten Augen erinnerten an das, was geschehen.

Anders Loni! Ein brennendes Holzstück hatte sie getroffen. Ruß und Blut entstellten das schmerzverzogene Antlitz. Das rote Haar war versengt, sein Glanz erloschen. Der verletzte Arm war notdürftig verbunden.

Flori vertrat einstweilen die Stelle des Arztes, bis der Doktor aus dem nächsten größeren Ort würde eingetroffen sein. Er wusch mit seinen knorrigen Steinhauerfingern das Antlitz Lonis und legte den verbrannten Arm, heilkundig wie er war, in ein Wasserbad. Neugierige, die sich hinzudrängten, wurden von ihm energisch abgewiesen. Er hatte sich Respekt verschafft auf der Brandstätt, der Stoanerflori!

Marei bedurfte seiner nicht, nur hie und da warf er einen zufriedenen Blick hinüber oder feuchtete das fieberglühende Gesicht.

„Die wird schon wied’r von selb’r gesund, wenn ihr Doktor kimmt – der Willy! Aber mei’ arme Loni! – Ja, wer weiß, vielleicht is guat so, vielleicht is jetzt ausbrennt word’n die alte böse Wunden, daß endli amal richti heil’n kann –!“

So dachte Flori für sich, ohne einen Blick zu wenden von dem geliebten, jetzt so entstellten Antlitz.

Da erwachte Marei mit einem schweren Seufzer, richtete sich auf und sah geistesabwesend im Zimmer umher. Sie erblickte die Mutter – noch immer schien es nicht zu tagen in ihrem betäubten Kopf. Jetzt zog sie den Atem tief ein – der Brandgeruch, der von den Kleidern ausging, weckte die Erinnerung an die letzten Eindrücke vor ihrer Ohnmacht. Und wieder sah sie nach der Mutter.

Da erhob sie sich jäh von ihrem Lager. „Mutter!“ rief sie und wandte den Blick auf Flori: „Tot?“

„Ah bewahr’! Meinst, ma’ holt Di mitt’n aus’m Brand heraus ohn’ alle Anständ’?“

„Mi hat’s ’rausgeholt aus’m Brand?“ Sie griff sich nach dem Kopf. „Ja, wo san mer dann? Freili, brennt hat’s bei uns! Und die Mutter?“

„Neing’sprungen ins Feuer is Dei’ Mutter, alle Mannsleut’ zum Trotz, und gerettet hat’s Di,“ erklärte Flori.

Da warf sich Marei über den Körper der Ohnmächtigen und rief voll Inbrunst ihren Namen. Mit einem tiefen Stöhnen schlug Loni die Augen auf.

Auf dem Brandplatz draußen verglomm die letzte Glut in schwelendem Qualm, die geschwärzten Mauersteine umspielte bereits die sanfte Röte des aufdämmernden Tages.




7.

Hagenberg prangte wieder in den frischesten Farben. Auf den grünen Fensterläden flammten rote Herzen, die Bilder der Schutzpatrone sahen gesund und rotbackig in die schöne Gotteswelt hinaus. Die schmucken Altane standen in üppigem Blumenflor – der Mentnerhof verunzierte nicht mehr das liebliche Bild.

Die Wiesengründe und Aecker, die zu demselben gehört hatten, waren von den Angrenzern mit Freuden um guten Preis aufgekauft worden. Der Hof selbst blieb unaufgebaut. Marei saß ja seit einem Jahre als die Frau des Willy Kirchberger, der auf seine Eingabe den erledigten Förstersposten in Hagenberg erhalten hatte, im Forsthause. Nur ein üppiger leuchtend grüner Graswuchs, wie er an einst bebauten Stellen zu gedeihen pflegt, kennzeichnete den Platz, wo der Mentnerhof stand. Selbst die Grundmauern waren sorgfältig entfernt, jede Spur der Brandstätte getilgt. Obwohl die Lage des Platzes inmitten des Dorfes an der Hauptstraße ein sehr günstiger war, fand sich bis jetzt niemand, der ihn zu einem Neubau erwerben wollte.

Zwei Jahre waren vergangen seit dem Brande. Es war Gras gewachsen über die Mentnergeschichte, so dicht wie auf dem Platze, wo der Hof einst gestanden. Der Anderl war verschwunden – nach Amerika, wie es hieß, aber das Gericht schien keine großen Anstrengungen aufzuwenden, ihn drüben ausfindig zu machen.

Das wieder zu voller Schönheit erblühte Marei als glückliche Frau des Sohnes vom erschossenen Förster wirkte als wohlthuender versöhnender Ausgleich.

Nur eine Gestalt ließ die Erinnerung an das Geschehene nicht ganz verschwinden – Loni, die jetzt im Forsthause bei den Kirchbergers wohnte.

Ihr rechter Arm blieb steif seit jener Unglücksnacht.

Sie war nicht zu Hause gewesen, als der Brand ausbrach. Wie eine Wahnsinnige kam sie dahergerannt, quer über das Feld. Wo war sie gewesen? Niemand hatte eine Antwort darauf. Warum war gerade diese Nacht der Flori im Hause? Man warf vielsagende Blicke auf sie, man wich ihr aus, der vom Schicksal Gezeichneten. Sie aber erwiderte nicht mehr wie früher solches Gebahren mit trotzigem Stolz, sondern mit einer ergebenen wehmütigen Trauer, welche die Leute hätte rühren müssen, wenn das so leicht gegangen wäre in Hagenberg.

Wer sie aber gar innerhalb der Gartenmauer des Forsthauses sah, der vermochte die Mentnerin kaum wieder zu erkennen. Wie sie mit der Tochter sich in die Pflege der zwei Enkel teilte, welche mit ihrem Jauchzen und Lachen das alte Haus und den Garten füllten – die Liebe und die Zärtlichkeit, die da aus den verrufenen „Hexenaugen“ strahlten! Sie hatte auch allen Grund, glücklich und zufrieden zu sein. Daß das Marei ihr alles von den Augen absah, durfte sie ja erwarten; sie hatte sich ihr als opferfähige Mutter bewährt und in der Brandnacht ihr zum zweiten Male das Leben geschenkt. Aber der junge Förster machte es gerade so. Auch er behandelte sie freundlich und liebevoll. Er schien in ihr nicht mehr die Frau des Mentner, sondern nur noch die Mutter seiner Marei zu sehen.

Dazu kam ein dritter, der Stoanerflori. Der war ihr innigster Vertrauter, der Hausfreund. Jetzt paßten sie aber auch besser zusammen als früher, „er mit san steifen Fnaß und sie mit ihr’m steifen Arm,“ sagten die Boshaften. „Warum heiraten’s eigentli net z’samm, haben’s eh anmal im Sinn g’habt!“

Doch der Stoanerflori hatte diese Hoffnung für immer begraben. Er hielt es für einen Frevel, noch mehr zu verlangen, und wenn einmal doch so ein übermütiger Gedanke in ihm aufstieg, wenn er selbst bisweilen seinen Blick ruhen ließ auf dem gelähmten Arm der Loni und dann unwillkürlich, gleichsam zum ermutigenden Vergleich, seinen Fuß betrachtete, dann schalt er sich tüchtig aus und strafte sich selbst durch einige Tage Fernbleiben vom Försterhaus.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil's Nachfolger, 1895, Seite 160. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_160.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)