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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Loni. Zwar blieb sie daheim, aber es fiel ihr jetzt manches auf, eine gewisse Unruhe an ihrer Tochter – und wo blieb denn der Willy, er war doch kein Wirtshausgänger?

Endlich kam er zum Abendbrot. Er sah schlecht aus und aß nichts. Sie fing vom Hirsch an – was denn mit ihm gewesen sei? Der Flori habe doch schießen gehört. Der Förster erzählte eine verworrene Geschichte, und Blicke wurden gewechselt zwischen den beiden Eheleuten, die ihr auffielen. Flori kam heute auch nicht. Dann drängte Marei mit auffallendem Eifer zum Schlafengehen. Was war nur vorgefallen?

In ihrer Stube allein, überdachte Loni den ganzen Tag. „Weg’n einem g’fehlt’n Hirsch’n bringt ma’ kei solche Unruh’ ins Haus!“

Sie öffnete das Fenster und blickte in die regnerische Nacht hinaus. Es stürmte jetzt, wie damals, als sie ihren Mann zurückerwartete mit Anderl, und dieselbe rätselhafte Angst befiel sie.

Als eine dunkle Masse erhob sich die Kirche. Dicht neben der Kirchhofsmauer, deren Umrisse nur verschwommen sichtbar waren, glühten zwei rote Punkte. Ihr Auge blieb daran haften, sie schienen frei in der Luft zu schweben. Was war das nur? Sie waren ihr sonst nie aufgefallen. Allmählich unterschied sie die Umrisse der Kapelle, die innerhalb der Kirchhofsmauer stand. Die roten Punkte waren die erleuchteten Fenster. Aber in der Kapelle brannte ja nur Licht, wenn ein Toter darin lag. Sie diente als Leichenhaus.

Also lag heute der Tote darin, dem vorhin der „Rosenkranz“ gegolten hatte. Warum hatte nur Marei ihr so abgeraten, dran teilzunehmen? Doch was lag ihr am End’ an einem Toten? Sie hatte ja keine Freunde in Hagenberg. Doch – einen! Den Flori! Wo war der heute geblieben? „Mein Gott – der Flori!“

Die Thränen traten ihr in die Augen, sie empfand einen herben Schmerz. Aber wozu das verheimlichen, sie muß es ja doch erfahren! – – Der Willy war so blaß, so unstet herein gekommen, gerad so wie –. Sie hielt die Hände vor das Antlitz, um das Bild nicht zu schauen, das sich ihr aufdrängte – der Anderl, wie er die Leiter bestieg!

Der Anderl! – Es fröstelte sie – noch einmal sah sie hinüber zu der Kapelle, dann schloß sie leise das Fenster, warf ein Tuch über den Kopf, öffnete vorsichtig die Thüre und schlich barfuß die Stiege hinab.

Der Förster ging noch immer in seinem Zimmer auf und nieder.

Die Hausthüre war offen – es war stockfinster, niemand konnte sie sehen, wie sie die Straße hinauf zum Kirchhof eilte.

Der Sturm trieb sein Spiel auf den Gräbern mit den Messingkreuzen, den klingenden kupfernen Weihbrunnkesseln.

Jetzt stand sie vor der Kapelle. Grauen erfaßte sie, namenlose Angst. Die Thüre war nur angelehnt, sie spähte durch die Spalte. In einer roten Ampel über dem kleinen Altar brannte das Licht. Vor diesem, auf einem bretternen Gerüste, in einem roh gezimmerten Sarge lag eine Leiche. Sie konnte den Kopf nicht sehen, es war ein Mann, unter einem grauen Lodenmantel ragten die Füße hervor.

Sie mußte erst nach Atem ringen, dann schob sie langsam die Thüre und trat ein.

Der Mantel bedeckte auch die untere Hälfte des Gesichtes – Flori war es nicht, das Haar war pechschwarz – rote Reflexe vom Ampellicht spielten darin. Mit einem raschen Griff riß sie den Mantel weg – – – „Anderl!“

Es war ein geller, übermenschlicher Schrei, der sich ihrer Kehle entrang. Ihr Körper geriet ins Wanken.

Da sprang ein Mann herzu, der im Schatten gestanden hatte.

Doch er erhaschte sie nicht mehr, sie fiel vornüber mit dem Kopf auf die Steinfliesen. Es war der Flori, der, einem unabweislichen Drange folgend, zu der Leiche seines einstigen Todfeinds gekommen war und in tiefes Sinnen versunken stand. – –

Der Anderl ruhte schon zwei Tage unter der Erde, als Loni aus ihrer Geistesumnachtung erwachte. Alle ihre Lieben standen um ihr Bett in banger Erwartung, wie sie die unerbittliche Wahrheit aufnehmen werde. So rein von aller Schuld sich auch Willy fühlte – die Umstände hatten ihn im Augenblick der That gar nicht an Rache denken lassen – es war ihm doch zu Mute, als stände er vor seinem Richter. Wenn sie ihn fortan haßte wegen der That? Sollte denn der Mentnerhof ewig fort seine düstern Schatten werfen auf sein Leben?

Loni sah lange im Kreise umher – auf Marei mit dem Kleinen, welcher seine Aermchen ausstreckte nach der Großmutter – ein Lächeln verklärte ihr Antlitz – auf Flori – –

Da knüpfte sichtlich ihr Gedächtnis an und das Lächeln verschwand – Thränen traten in ihre Augen. Dann blieb ihr Blick auf Willy geheftet, sonderbar prüfend. Er schämte sich seiner Bangigkeit – er war ja in seinem Recht – da reichte sie ihm die Hand.

„Red’! Wie war’s?“

Und Willy erzählte, wie er schon lange auf Anderl Verdacht gehabt aus verschiedenen Anzeichen, und wie er sich immer wieder vorgenommen habe, die Rache nicht Herr sein zu lassen über sich, wenn’s so weit käme. Wie sie dann zusammengestoßen seien und ihm die Kugel vom Anderl gleich um die Ohren gepfiffen, wie er dann besser getroffen habe, den Gegner mitten ins Herz. „Habe ich unrecht gethan, so mag unser Herrgott richten. Ich fühle mich rein von aller Schuld!“

„Und Du bist rein von aller Schuld,“ sagte Loni festen Tones. „Das Schicksal hat sich erfüllt. Der Mentnerhof ist verschwund’n, der Anderl ist tot! Warum’s g’rad vor mir still halt?“

Sie stockte.

„Warum? das fragst aa no?“ sprach da der Flori. „Weil – no weil – ja, i kann’s wohl net so sag’n – weil’st halt das G’wisse g’rett’ hast in Dir – Du weißt es schon, was i mein’.“

„D’Liab!“ flüsterte Marei.

Doch Flori machte eine abwehrende Bewegung. „Ach was, d’Liab! Die kann nur Unglück anricht’n –“ Seine Stimme zitterte, er fuhr sich mit dem Aermel über die Augen. „Und do’ – d’Liab, i kann’s net anders nenna.“ Er fiel vor dem Bett auf die Knie und barg sein Haupt schluchzend in die Kissen.

Loni legte ihre Hand auf das Haupt des Weinenden.

*  *  *

Am Farrenbach steht jetzt ein kleines Haus, angebaut an den Kalkofen, der früher zum Mentnerhof gehörte. Hier haust der Stoanerflori und sein Weib, die rote Loni.

Ihrer Natur hatte es nicht auf die Länge genügt, beglückt zu werden, sie wollte selbst noch Glück bereiten und er verdiente es, der Flori, der treue Freund!



Blätter und Blüten.



Das Wißmann-Denkmal in Bagamoyo. (Zu dem Bilde S. 149.) Während sich Major von Wißmann in Italien an der Seite seiner jungen Gattin von der schweren Krankheit erholt, die wir als Nachwirkung seiner in Afrika bestandenen Strapazen und Aufregungen betrachten müssen, erhalten wir aus Bagamoyo die Nachricht von der Enthüllung eines Denknmls, das seinen Namen trägt. Gewidmet ist dasselbe allen Braven, die unter Wißmanns Führung und als Angehörige seiner Truppe im Dienste des Reichs ums Leben gekommen sind.

Vom Regierungsbaumeister Klingholz in Gestalt eines Obelisken entworfen, ist das Denkmal vom Ingenieur Friedrich in Sandstein ausgeführt und auf der Straße nach dem alten Fort von Bagamoyo errichtet worden. Die auf den vier Seiten des Obelisken in der Mitte angebrachten Votivtafeln sind in Berlin aus Bronze hergestellt worden; sie verzeichnen in erhabener Schrift die Daten der unter Wißmann stattgehabten Gefechte und die Namen der dabei Gefallenen oder in der Folge Gestorbenen.

Seine Weihe erhielt das Denkmal am 21. Dezember vor. Jahres. Der Feier wohnten Gouverneur von Schele, die Mehrzabl der Offiziere und Beamten von Deutsch-Ostafrika und andere Herren aus Dar-es-Salaam und Sansibar bei. Sie begann nachmittags 5 Uhr und wurde durch eine Rede des Gouverneurs eröffnet, welche im besonderen auf die Verdienste von Peters und Wißmann um die kolonialen Errungenschaften des Deutschen Reichs näher einging und mit einem Hoch auf den Kaiser schloß. Die zu beiden Seiten des Denkwals aufgefahrenen Geschütze gaben 21 Schüsse ab und die mit dem Rücken gegen das Meer aufgestellte Ehrenkompagnie präsentierte. Sehr ansprechend wirkten die folgenden Gesangsvorträge der Zöglinge der katholischen Mission von Bagamoyo. Man sang dreistimmig mit Harmoniumbegleitung „Heil dir im Siegerkranz“, „Hinaus in die Ferne“ und „Ich hab’ mich ergeben“. Die deutliche Aussprache sowohl als auch der gute Zusammenklang, schreibt unser Gewährsmann, überstieg alle Erwartungen, die an Schwarze gestellt werden können. Des

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 163. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_163.jpg&oldid=- (Version vom 17.7.2023)