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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Echt.

Erzählung von R. Artaria.

     (4. Fortsetzung.)

Hinter dem Vorhang, der den Festsaal teilte, in der hochgewölbten phantastischen Wundergrotte, wo sich eine von bläulichem Glanz und farbigem Glühlicht erhellte Perspektive in geheimnisvolle, glitzernde Tiefen aufthat, war man mit den letzten Vorbereitungen beinahe fertig. Im Mittelgrund stand der trotz Hachingers trüben Ahnungen aufs entzückendste dekorierte Wagen mit den aus tiefem Grün schlank aufragenden Palmen und den großen märchenhaften Blumenkelchen, deren üppige Blätter und Ranken tief an den Seiten niederhingen. Der künftige Lenker befand sich in fieberhafter Thätigkeit, um alle glücklich an ihren Platz zu schaffen; erst hatte er die bewegenden acht Packträger unter die Seitendraperien geschoben, dann drei Jungen, welche in den Flügeln des Zugtieres, eines grünschillernden Drachens, sowie in dem hochgetragenen Halse gehen sollten, noch mit den notwendigen Ermahnungen bedacht und hierauf die Schwestergenien zu ihrem blumenbekränzten Sitz an der Rückseite des Wagens geleitet. Ihren lebhaften Protest gegen diesen unvorteilhaften Platz hatte er durch noch lebhaftere Versicherungen beschwichtigt, wie ganz eigentümlich eben das sei, daß sie auf solche Weise als besonderes Bild vom Publikum bewundert würden.

„Reizend, aber ganz reizend!“ rief er, als sie glücklich saßen, im Ton des echtesten Enthusiasmus, lief schnell und holte noch ein Blumengewinde, das er der einen in die Hand gab. „So, das fehlte noch!“ Dann, zurücktretend und die Augen halb schließend: „Ein wundervoller Effekt! Bleiben Sie ja in dieser Stellung, sie macht sich ausgezeichnet!“

Dann eilte er, um das Hauptwerk in Angriff zu nehmen, seitwärts, wo in einer der Tropfsteincoulissen Toni, mit dem Gewand der „Phantasie“ angethan, schon geraume Zeit wartend saß. Sie war ihr nicht lang geworden, ihre Augen hatten unablässig seine schlanke, in dem knappanliegenden Silberbrokat-Wams so herrlich sich zeichnende Gestalt betrachtet. Wie schön er war! Welche Kraft und Anmut in jeder Bewegung, und wie er seinen Kopf trug, diesen herrschaftsgewohnten stolzen Kopf mit dem goldschimmernden Barett auf den dunklen Haarwellen und den darüber herunternickenden langen weißen Federn!

Nun trat er plötzlich auf sie zu. „Gnädiges Fräulein, darf ich jetzt bitten? Die letzte Hand muß ich droben anlegen, wenn Sie auf dem Piedestal feststehen. Auch dies hier,“ er zeigte ihr ein paar zarte durchsichtig rot schillernde Libellenflügel, „kann ich erst dort befestigen. Aber – wie sehen Sie denn aus? Sie werden mir doch nicht am Ende Angst bekommen?“

Er sah erschrocken in ihr bleich gewordenes Gesicht, aber sie schüttelte energisch den Kopf. Daß ihr sein plötzliches Nahen alles Blut zum Herzen gedrängt hatte, konnte sie ihm doch nicht sagen, und so flüsterte sie im Hingehen zum Wagen:

„Es ist nichts, ich fürchtete mich wohl ein wenig vor all den fremden Leuten, aber jetzt, wo Sie bei mir sind –“

Sie stockte, im gleichen Augenblick ergriff er ihren Arm und schob ihn in den seinigen.

„Das lange Kleid hindert Sie im Gehen,“ sagte er laut, und dann drückte er den Arm fest und warm gegen seine Brust. Nun waren sie an den Stufen angekommen, Toni trat auf das für sie viel zu lange Kleid und strauchelte.

„Kommen Sie,“ sagte Pereda, hob sie vom Boden und trug sie vorsichtig, indem er, die Enge des Weges benutzend, sie innig in seine Arme schloß, zwischen den Gesträuchen empor. Er warf, oben angekommen, einen raschen Blick umher: niemand achtete auf sie. Die Gebüschwand schützte vor dem Hintergrund, wo sich der Rest des Zuges ordnete, und die Zwerge, die vorhin noch den Drachen umstanden, waren dem neuen Schauspiel nachgelaufen.

Pereda ließ seine leichte Bürde auf das Piedestal niedergleiten und sah ihr dabei auf die kurze Entfernung mit einem so unverhüllten Zärtlichkeitsblick in die Angen, daß ein ungekanntes Gefühl, halb Schauder, halb Wonne, ihr durch alle Nerven rieselte. Und jetzt näherten sich die dunkelbewimperten heißen Augen immer mehr, sie wurde von zwei Armen erfaßt, und im gleichen Augenblick fühlten ihre Lippen einen Kuß, so süß, so wonnevoll überwältigend, wie Toni noch nicht gewußt hatte, daß Menschen küssen können.

Es war ein Augenblick – ehe sie noch eine Bewegung der Abwehr hätte machen können, war er bereits vorüber und Pereda sagte laut, in der Hörweite der beiden Genien und des allmählich zur Aufstellung vor dem Drachen herbeikommenden Zwergenvolkes.

„Nun müssen zuerst die Flügel daran,“ nahm dieselben und befestigte sie mit Kreuzbändern geschickt und fest hinter den Schultern. Aber Toni griff rasch nach den Enden und band sie selbst über dem Gürtel zusammen.

„Und nun, um das zu verdecken, das letzte Schleierzeug,“ sprach er wieder in demselben unbefangenen Ton, während seine Augen fortwährend eine andere stumme Sprache redeten, nahm ein bereitliegendes zartes Gewebe, das in Regenbogenfarben schillerte, und zog dasselbe, behutsam anfassend, von der rechten Schulter zur linken Seite nieder über das weiße Gewand, es in engen Falten formend und mit leichten Händen an diesem feststeckend.

„Nun noch eine verdeckte Stütze für den linken Arm!“ Er sollte den Schmetterling tragen, während der rechte, herabhängend, den goldenen Zauberstab umschloß.

„So!“ … Pereda trat zurück, um die Wirkung zu prüfen, und was er sah, entzückte ihn.

Tadellos – über alles Erwarten! Die zarten Formen der Gestalt durch die Gewänder aufs schönste gehoben, die Stellung so glücklich, und der Ausdruck des Köpfchens – famos! Sehnsüchtige Schwärmerei in den groß offenen Augen, ein verträumtes Lächeln um die Lippen: die reine wirkliche Phantasie, wie man sie sich nur vorstellen konnte. Er war entzückt über seinen Effekt.

Eilig ordneten sich währenddem die Herolde und ihr Gefolge, Zwerge und Erdgeister, paarweise vor dem Drachen. Pereda neigte noch einmal den Kopf nahe zu Toni und wie ein Hauch tönte es in ihre Ohren.

„Mein süßes Mädchen!“

Ehe sie sich von dem schwindelnden Glücksgefühl nur halb erholt hatte, sah sie ihn bereits vorn auf dem Wagen sitzen, die Zügel in der Hand, und hörte seinen leisen Ruf: „Fertig – los!“

Da strahlte von allen Seiten elektrisches Licht auf, brausende Orchesteraccorde ertönten, der große Vorhang schob sich mit einem gewaltigen Ruck auseinander und der Zug überschritt die Schwelle der Grotte.

Ein lauter Bewunderungsruf aus der Kopf an Kopf stehenden Menge ertönte und pflanzte sich unaufhaltsam mit dem weiterschreitenden Zuge fort. Am lebhaftesten wurde überall der Phantasiewagen empfangen, sein Lenker lächelte dann und wann unmerklich vor sich hin, besonders wenn er in erstaunten Bekanntenaugen die Frage las: „Na, wer ist denn das, wo kommt diese neue Schönheit her?“

Er genoß seinen Erfolg und spähte zugleich mit raschen Blicken umher, ob er nicht irgendwo das Gesicht auftauchen fehe, das verhaßte Gesicht, dessen Wutblick ihm soviel Vergnügen machen sollte. Aber es zeigte sich nirgends, so viel fremde und bekannte Augen auch auf ihn und die rätselhafte „Phantasie“ gerichtet waren. Diese selbst schwebte auf ihrem luftigen Standpunkt wie in goldenen Wolken, ihre Blicke streiften über die Menge weg, ohne sie zu sehen, so völlig verloren war sie in die Erinnerung an das ungeheuere süße Erlebnis dort in der dämmerigen Zaubergrotte!

„Ist sie’s denn wirklich?“ wandte sich, zweifelnd über die große Veränderung durch das Kostüm und über den seltsam abwesenden Blick, der ihn ohne Zeichen des Erkennens gestreift hatte, der gute Ritter Lorenz an seine Begleiterin. Einen Augenblick vorher hatte sie, krampfhaft seinen Arm fassend, ausgerufen: „Da – sehen Sie! Fräulein Toni!“

„Natürlich ist sie’s,“ fuhr Sophie Panke eifrig fort. „Sie können sich auf mein Auge verlassen. Und reizend sieht sie aus, das muß man sagen.“

Lorenz stand und schaute mit festgebannten Augen. „Ja – wunderschön!“ sagte er, endlich zu sich kommend, als nur noch die nickenden Palmenwedel von rückwärts zu sehen waren. „Aber wer mag der Schwarze sein, der sie da auf seinem Wagen fährt? Sie hat, scheint’s, rasch Bekanntschaft gemacht mit den Herren Malern!“

„Der Schwarze?“ fragte neben ihm ein höchst naturwahrer Packträger. „Kennen’s den nicht? Das ist ja der Pereda, der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 182. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_182.jpg&oldid=- (Version vom 16.7.2023)