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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Nicht dahin, wo die Türme Hohensalzburgs ragen und woher die Kuppeln der Kirchen grüßen, sondern nach Norden führt uns von der Station Freilassing an der Salzburger Linie die Lokalbahn nach Laufen. Ein mächtiger Riegel von Nagelfluh schiebt sich dort ins Salzachbett vor und zwingt den Fluß, ihn in mächtiger Schleife zu umspülen. Auf und an diesem Block hat sich das freundliche Städtchen gelagert, das eigentlich nur aus einer einzigen, an einer Stelle sich zum Marktplatze erweiternden Straßenzeile besteht. Auf der äußersten Spitze des Blockes, gegen Osten durch einen kolossalen Unterbau wider die nagenden Fluten der Salzach geschützt, thront die fernhin in der ganzen Gegend als Wahrzeichen sichtbare Stiftskirche, ein weiter, gotischer dreischiffiger Hallendom, aufgeführt zwischen 1440 und 1450; aus dem früher an gleicher Stelle stehenden romanischen Gotteshause ist ihr ein schlanker, ohne Verjüngung aufsteigender, reich ornamentierter Turm einverleibt worden, und außer prächtigen Statuen und wertvollen Gemälden birgt sie in ihren Hallen und in dem sie umschließenden Kreuzgang einen außerordentlich wertvollen Schatz von etwa anderthalb hundert Grabsteinen, deren ältester die Jahrzahl 1300 aufweist. Sie tragen die Wappen und Namen der alten, jetzt nahezu sämtlich erloschenen Geschlechter des Land- und Stadtadels, unter denen die Herren von der Albu, die Abkömmlinge einer landeingesessenen romanischen Familie, mit ihren Ahnherren bis in das 7. Jahrhundert zurückreichen; zum größeren Teil Muster heraldischer Steinmetzkunst und vielfach von hohem künstlerischen Wert. Die Fürsterzbischöfe von Salzburg besaßen hier einen glänzenden Palast, in dessen Sälen nun unheimliche, grau gekleidete Gesellen ihre Werkstühle aufgeschlagen haben, denn er ist zum Gefängnis für schwere Verbrecher bestimmt worden. So spiegelt sich in ihm der Wandel des Geschicks, wie in der Geschichte der jetzt so stillen Stadt, hinter deren Mauern einst die ritterlichen Geschlechter der Gegend von ihren Burgen herabzogen, um durch Schiffahrt und Handel zu hohem Reichtum zu gelangen. Um Laufen ward manch harter Strauß gefochten, denn bei ihm öffnet sich die Straße sowohl gegen den juvavischen Thalkessel als in das Herz von Oberösterreich. Darum kam es schon 949 bei Louva zum blutigen Kampfe zwischen den Ungarn und dem Bayernherzog Heinrich I., und so oft bayerische oder französische Scharen gegen Osten operierten, färbten sich die Wellen der Salzach vom Blute der Streiter, denn mit der Wegnahme von Laufen war der Schlüssel zur Bischofstadt gewonnen, so 1525, 1611, 1800, 1805 und 1809.

Außerordentlich reich sind diese geschichtlichen Erinnerungen, aber keine derselben gewährt ein solches Interesse wie eine religiöse und eine rein weltliche Feier, die sich beide am Fronleichnamsfeste auf den Wellen des von der Schneeschmelze dann hochgehenden Flusses abspielen.

Laufen gegenüber liegt der Markt Oberndorf, ehedem eine Vorstadt, jetzt der Amtssitz österreichischer Bezirksbehörden. Hier wohnen die Schiffer, deren Innungsorganisation bis in das 13. Jahrhundert zurückreicht. Aus den alten Zeiten her, da sie gleich allen anderen Gilden als kriegerische Schar die Mauern ihrer Vaterstadt verteidigten oder die Fehden ihrer Erzbischöfe ausfechten halfen, haben sie sich den Anstrich einer militärischen Körperschaft gewahrt und erscheinen heute noch in geschmackvoller soldatischer Tracht: sie tragen einen roten Waffenrock, graulich-weiße Beinkleider, weißes über die Brust gekreuztes Lederzeug mit Patronentasche und Säbel, dazu den Korsenhut und das Gewehr, und bei den alten Leuten hat sich noch die Gewandung des vorigen Jahrhunderts erhalten: der Dreispitz und die Hellebarde, der lange rote Bratenrock, das kurze schwarzsammetne Beinkleid, weiße Strümpfe und Schnallenschuhe. Gar stattlich sehen sie aus, die wetterbraunen harten Gestalten, und mit Stolz paradieren sie im Kriegerkleid: haben sie doch alle „gedient“ und fast insgesamt Pulver gerochen. Der weißhaarige Veteran dort hat noch unter Vater Radetzky geblutet und jener stramme Recke den Doppelaar über die Berge Bosniens getragen. Ihnen kommt eine Hauptrolle bei den Festlichkeiten zu.

Während der Prozession, an welcher Tausende handelnd und zuschauend teilnehmen, wird an einem auf der Mitte der Brücke errichteten Altare das zweite „Evangelium“ gelesen. Nach demselben tritt der das Allerheiligste tragende Priester an die Brüstung der Brücke heran und, von leichtem Ruderschlag getrieben, gleitet auf den brausenden Wellen ein Kahn herab. In demselben sitzen vier Knaben, in Rot und Weiß gekleidet und in den Händen ein weißes Tuch haltend, auf welchem geweihte, aber nicht konsekrierte Hostien ruhen. In dem Augenblicke, in welchem der Kahn sich der Brücke nähert, erhebt der Priester die Monstranz, erteilt damit auf die Wogen hinab den Segen, die Knaben aber „schutzen“ (d. h. schnellen) die Hostien aus dem gespannten Tuche in die rauschende Flut; dazu krachen die Böller und die Salven der Schiffergilde, und von den Wänden des engen Thales zurückgeworfen, hallt der rollende Donner wider. Es ist ein wunderbar malerisches Bild: über die grauen Häuser steigen die grünen Uferhänge hinan, wie mit Schnee bedeckt von den Blütenkronen der Obstbäume, durch die im üppigsten Lenzesschmuck prangenden Fluren windet sich die steilen Steige empor die farbenbunte Prozession mit wehenden Fahnen, und die Sonne flimmert auf den schillernden seidenen Gewändern und Flügelhauben der Frauen und leuchtet auf den roten Röcken der Schiffer, dazwischen qualmt der Weihrauch aus den Becken der Ministranten und wehen die Schleierwolken der Salven über dem rauschenden Fluß, in weiter Ferne die Scene schließend, ragt ernst die majestätische Pyramide des sagenumsponnenen Untersberges.

Die Hostien, in welchen durch die Konsekration gemäß der Lehre der katholischen Kirche sich des Heilands Leib verkörpert, nennt der Volksmund das „Himmelsbrot“ und davon trägt die ganze Feier den Namen „Himmelsbrotschutzen“. Sie ist rein religiösen Charakters und stellt eine fromme Wasserweihe dar, um die wackeren Schiffer vor allen Gefahren auf den tückischen Wellen zu bewahren; ihr Ursprung mag bis in die Tage des Heidentums zurückreichen.

Sicher ist letzteres nachzuweisen bei dem jetzt verweltlichten Feste, das am Nachmittag des gleichen Tages stattfindet. Ein Räuberhauptmann mit seiner Bande, alle in schreckenerregende phantastische Kostüme gekleidet, fährt in einer Flottille zur Plünderung von Laufen und Oberndorf auf der Salzach heran; doch wie die Fahrzeuge zum Ufer wenden, werden sie von den Schiffern angegriffen, die wohl auf der Hut lagen und in starkbemannten Booten heransteuern. Es entspinnt sich ein heftiger Kampf; das Geschrei der Streiter, das unaufhörliche Rollen und Knattern der Gewehre, der dumpfe Baß der Schiffgeschütze füllen das ganze Thal. Endlich entern die tapfern Schiffer die Kähne der Piraten, die Räuber werden überwältigt und mit Hurra und Hallo in sichern Gewahrsam auf die „Keller“ einer lobesamen Brauerei geschleppt. In diesem etwas wilden, aber männlich frohen Spiele erschaut das Auge des Kundigen die altgermanische Frühlingsfeier: den Sieg des Lenzes über den Winter, und sein Herz freut sich über die Erhaltung uralten Brauches der Vorfahren in dieser modernen Gestaltung, über die zähe Lebenskraft unseres Volkstums.

Wir aber ziehen friedlich die Straße fürbaß flußabwärts an der in Trümmern liegenden Burg der einst mächtigen Grafe von Lebenau, an Friedorfing vorbei, wo die Pfarrkirche auf der Stätte einer römischen Niederlassung steht, im Pfarrhofe römische Säulen eingemauert sind und in dessen Nähe ehedem ein mehrere tausend Leichname bergendes Grabfeld aus Merovinger Zeit entdeckt wurde, berühmt durch seine Funde und den darüber entstandenen Streit der Gelehrtenwelt.

Schon von weitem her grüßt von hohem Hügel herab das malerische Gemäuer der alten Burg von Tittmoning. Titamanninga villula gehörte zu den ältesten Besitzungen des Salzburger Stuhles als eine Schenkung Herzog Theodeberts zu Anfang des 8. Jahrhunderts. Es verdankt seine Blüte dem Salzhandel, wurde aber wegen der Eigenschaft als Grenzfeste gegen Bayern in alle die Kriegsstürme verwickelt, die hier gen Osten zogen. Das bedeutendste Gebäude der schmucken Stadt ist die Stiftskirche, ein herrlicher gotischer Bau mit vielen schönen Grabmälern und einem hohen Turme, dessen oberer Teil im Barockstil aufgeführt ist. Bietet das auf einem abgeflachten Hügel sich streckende Tittmoning auch nicht das markante Städtebild von außen her wie Laufen, so gefällt uns um so mehr der brunnengeschmückte Marktplatz, um den sich in südlicher Architektur die mit Laubengängen, Erkern und kunstvollen Schildern gezierten Häuserreihen gruppieren und mit ihren lichten Farben sich recht wirksam von dem tiefen, satten Grün der üppigen Laubmassen des Burgberges abheben. Von der Stiftskirche weg, der alten, von Bäumen und Gesträuch überwucherten Stadtmauer entlang, führt ein Weg in den natürlichen Park des Burgberges, wo sich schattige Pfade unter den Wipfeln mächtiger Buchen und Ahornbäume hinauf zu der Lichtung vor der Brücke ziehen, welche die tiefe Schlucht des Grabens zum Eingangsthore der Burg überspannt. Letztere war einst der Sitz eines Dienstmannengeschlechtes,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 194. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_194.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)