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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

für den Japaner herzlich wenig Verlockendes. Aber ein Gebiet giebt es, dessen Besitz für Japan von großem Wert ist, das ist die zwischen beiden Reichen gelegene und eine Fortsetzung der den Japanern bereits gehörenden Kette der Liu-Kiu-Inseln bildende Insel Formosa, die sich zur Zeit, wenigstens zum größten Teil, im Besitz der Chinesen befindet und der sich neuerdings auch die kriegerische Aktion der Japaner zugewendet hat.

Der Wunsch der Japaner, Formosa ihrem Inselreiche einzuverleiben ist nicht neu; einen Versuch in dieser Richtung haben sie bereits im Jahre 1874 gemacht. Die östliche Hälfte der Insel ist im Besitz von Wilden malayischer Abstammung, und seitens eines dieser Stämme, des Stammes der Butan im Nordosten der Insel, waren mehrfach Mordthaten an schiffbrüchigen Japanern und Liu-Kiu-Insulanern verübt worden. Daraufhin ging im Mai 1874 von Japan eine Expedition in der Stärke von 3000 Mann unter dem Befehl des Generals Saigo nach Formosa, angeblich nur, um die Uebelthäter zu bestrafen, in Wirklichkeit wohl, um womöglich die Insel ganz oder teilweise zu annektieren. Unter siegreichen Gefechten gegen die Eingeborenen drang die Expedition vor, da erklärten die Chinesen sich als Herren der Insel und drohten mit Krieg, wenn Japan seine Truppen nicht zurückzöge. Japan mußte sich fügen, Formosa räumen, und erhielt eine verhältnismäßig geringe Geldentschädigung, 500000 Taëls, also etwa 3 Millionen Mark.

Glücklicher waren die Japaner auf den Liu-Kiu-Inseln. Diese bildeten ein kleines Königreich, dessen Herrscher sowohl an Japan, als auch an China einen jährlichen Tribut entrichtete. Um nun die auf Formosa erhaltene Scharte einigermaßen wieder auszuwetzen, verbot Japan 1874 weitere Tributzahlungen an China, und im Jahre 1876 wurde trotz der Einsprache der Einwohner der König mediatisiert und sein Reich in eine japanische Provinz umgewandelt. –

Ehe wir nun näher auf die Natur und die Bewohner Formosas eingehen, wird es nötig sein, einige geographische und statistische Angaben über die ostasiatische Inselwelt, zu der es gehört, vorauszuschicken. Die sämtlicheu hier in Frage kommenden Inseln liegen innerhalb eines Quadrates, dessen Seiten durch den 30. und 22.° nördlicher Breite und durch den 120. und 130.° östlicher Länge von Greenwich gebildet werden. Die südlichen Liu-Kiu-Inseln liegen unter demselben Breitengrade wie der nördliche Teil von Formosa und nähern sich bis auf etwa 100 Kilometer der Ostküste dieser Insel. Dieser geographischen Lage entsprechend, ist denn auch das Klima und die Vegetation auf den verschiedenen Inseln eine sehr gleichförmige, während weiter nach Süden das tropische, weiter nach Norden das subtropische Element überwiegt.

Formosa bedeckt einen Flächenraum von etwa 36000 Quadratkilometern, ist also etwas größer als Baden und Württemberg zusammengenommen.

Die Insel wird der ganzen Länge nach durchzogen von einer Gebirgskette, welche sich stellenweise bis zu einer Höhe von etwa 4000 Metern erhebt. Man schätzt die Zahl der Bewohner auf etwa 3 Millionen. Den Fremden sind geöffnet die Häfen Taiwansu, Takao, Tamsui und Kilung. Die erst kürzlich erbaute Hauptstadt ist Taipeifu, gelegen an der Nordspitze der Insel.

Die Liu-Kiu-Kette wird gebildet aus 36 bewohnten Inseln von teilweise vulkanischem Ursprung, deren Oberfläche man auf etwa 4000 Quadratkilometer berechnet hat, was ungefähr dem Flächeninhalt des Herzogtums Braunschweig und des Gebiets der freien Hansestadt Hamburg gleichkommen würde. Die vulkanischen Inseln, von denen eine Anzahl noch thätige Feuerberge besitzt, bilden die innere, dem Festland zugekehrte Reihe. Der Kern der äußern Reihe wird gebildet durch Gneis und Thonschiefer, welcher mehr im Innern der Inseln zu Tage tritt, während die dem Meere näher gelegenen Teile aus Korallenkalk bestehen. Die größte dieser Inseln, Okinawa, ist selbst ein in der Hebung begriffenes Korallenriff. Auf ihr ist auch die alte Königsstadt Shuri mit der Hafenstadt Nasa gelegen. Ganz Liu-Kiu, oder, wie es jetzt als japanische Provinz heißt, „Okinawa-ken“, besitzt eine Bevölkerung von etwa 400000 Seelen.

Das Klima in diesen Breiten ist im allgemeinen mild und gesund. Die Ostküste Formosas und die Gestade der Liu-Kiu-Inseln werden bespült von den warmen Wellen des auch unter dem Namen des japanischen Golfstromes bekannten Kuro-Shiwo, der, von den Marianen und Philippinen kommend, auch das Klima der Ostküste der großen japaniscken Inseln zu einem so milden und gesegneten macht. Während des Sommers wehen warme und feuchte Südwinde, welche verhältnismäßig reiche Niederschläge mit sich führen, im Herbst setzen dann kühle Nord- und Nordwestwinde ein, indes sinkt auch in den kältesten Monaten des Jahres auf den Liu-Kiu-Inseln die mittlere Temperatur nicht unter 15° Celsius.

Die Vegetation ist im Süden Formosas rein tropisch. Am Meeresufer bilden die Mangroven üppige dunkelgrüne Dickichte, welche mit ihrem undurchdringlichen Gewirr von Luftwurzeln bis weit in das Meer hinausreichen. Pandanus und Palmen bedecken das Ufer und die tiefer gelegenen Teile des Gebirges, während stolze Wälder immergrüner Eichen und Lorbeeren die mittlere Zone der Berge schmücken, und über diesen ragen in blendender Weiße die schneebedeckten Gipfel des Mount Morrisson und seiner Nachbarberge gen Himmel. Je weiter wir auf der Ostseite der Insel nach Norden fortschreiten, um so mehr ändert sich der Habitus der Vegetation. Formen von subtropischem Gepräge treten auf und ganz allmählich nimmt die Pflanzenwelt den Charakter einer Mischflora an, den Uebergang der tropisch-indischen zur subtropisch-japanischen Vegetation darstellend. Die Flora der Nordspitze Formosas gleicht dann schon fast völlig der der benachbarten südlichen Liu-Kiu-Inseln

Eine durchaus andere Beschaffenheit zeigt die ganze westliche Hälfte von Formosa. Hier ist wenigstens in der Nähe der Küste das Land fast vollständig eben. Die üppigen Urwälder sind verschwunden, gerodet von der Hand der Chinesen, der derzeitigen Herren dieses Teils der Insel, welche das ganze Gebiet in ein großes, reiches, stark bevölkertes Kulturland umgewandelt haben. Wohl bewässerte, terrassenförmig angelegte Reisfelder wechseln mit weit sich hinziehenden Aeckern, auf denen Zuckerrohr, Mais und Weizen gebaut werden. Die auf den Bergen wild wachsende Theestaude ist von den Chinesen veredelt, und bot auch die Kultur anfangs große Schwierigkeiten, so ist doch das Resultat derselben im Laufe der Jahre ein recht gutes geworden. Das Land weiter im Innern ist schön in seiner stetigen Abwechslung von Berg und Thal und von außerordentlichem Reichtum; Orangen, Bananen, Ananas gedeihen überall in Menge, und namentlich in der Nähe der Hafenstadt Tamsui bildet der Kampferbaum ausgedehnte Wälder. Das ist der Charakter des Landes auf der ganzen westlichen Hälfte und der nordöstlichen Spitze der Insel, auf welcher die Hafenstadt Kilung liegt.

Etwas anders als mit der Pflanzenwelt verhält es sich mit der Fauna unseres Gebiets.

Im allgemeinen wiegen auf Formosa solche Tierformen vor, als deren Hauptverbreitungsgebiet wir China und das Himalayagebirge zu betrachten haben, und diese Zusammensetzung weist in Verbindung mit der geringen Tiefe des Meeres in der Formosastraße darauf hin, daß – geologisch gesprochen – die Zeit noch nicht allzuweit hinter uns liegt, da Formosa noch mit dem großen asiatischen Festlande zu einem Kontinent verbunden war; von den etwa 30 uns bekannt gewordenen auf Formosa heimischen Säugetieren werden nur wenige ausschließlich auf der Insel getroffen.

Unter den Affen treffen wir auf Formosa die Art Innus speciosus, einen nahen Verwandten des Magot, der als einziger Verteter der Vierhänder in Europa den Felsen von Gibraltar bewohnt. Dieselbe Art, wie die auf Formosa einheimische, findet sich übrigens auch in Japan, und zwar noch in Gegenden, in denen im Winter der Schnee 15 bis 20 Fuß hoch liegt. Von Fledermäusen fallen die gewaltigen Pteropus, die fliegenden Hunde, auf, deren Nahrung ausschließlich aus Früchten besteht, und von Raubtieren finden wir namentlich eine Bärenart und ein eigentümliches Wiesel, Helictis. Die so weit verbreiteten Schweine sind durch ein Wildschwein (Sus leucomystax) vertreten. Unter den Hirschen ist namentlich zu erwähnen ein Muntjac (Cervulus), von der Größe unseres Rehes, und in den Gebirgen klettert der zierliche Goral (Nemorhoedus), eine unsern Gemsen nahe verwandte Antilopenart. Zu diesen Formen kommen noch Eichhörnchen, Mäuse, Hasen, Igel, Maulwürfe und ähnliche, mit europäischen Arten verwandte Species. Nur eine sehr fremdartige Beimischung zu dieser Fauna ist zu erwähnen, ein Schuppentier, Manis, dessen nächste Verwandte ebenfalls China und den Himalaya bewohnen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 206. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_206.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)