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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)


seinen Anstrengungen zu erholen, ein Glas Bowle nach dem andern hinunter und war von der feurigsten Liebenswürdigkeit. – Er kommandierte und schrie mit einer Stimme, die zu den schönsten Hoffnungen für den Exerzierplatz als künftiges Feld seiner Thätigkeit berechtigte. Er wurde von allen jungen Mädchen umringt und gefeiert – die Primaner erblichen neben ihm wie der Morgenstern vor der aufsteigenden Sonne. Die Riesin, der es zu schmeicheln schien, daß dieser Salonkönig sie so öffentlich anhimmelte, wurde auch immer freundlicher, sie tanzte unaufhörlich mit ihm – kurz, der oberflächliche Zuschauer hätte hier eitel Freude und Vergnügen gesehen und gar nicht geahnt, welche innerlichen Konflikte ein armes Herz durchwühlten das gerade diesem Abend so sehnsüchtig entgegengeschlagen hatte. – Mitten in einer Tanzpause, die der Fähnrich benutzte, um den Anwesenden eine Solodarstellung im „Menuett“ zu geben, und, von bewundernden Blicken verfolgt, im Saal herumhüpfte, ging die Thür auf, und herein trat der Assessor – aber nicht als Assessor, sondern, von einem Diner bei seinem Bezirkskommandeur kommend, in Uniform – „als Lieutenant verkleidet“, wie Karl immer zu erzählen pflegte, wenn er den großen Augenblick später dramatisch vorführte.

Also, wie gesagt, der Assessor erschien als Lieutenant, eine Würde, von deren Vorhandensein der Fähnrich nie vorher eine Ahnung gehabt hatte.

Die plötzliche Wandlung, die mit diesem – dem Fähnrich – vorging – der Sprung zur Seite – die Hände an den Hosennähten, der vorschriftsmäßige, kalte, ausdruckslose Blick in das Gesicht des Rivalen, der so überraschend zum Vorgesetzten erblüht war – alles das muß man erlebt haben, um die Ernüchterung zu begreifen die der Vorgang auf Hänschen ausübte.


Ehelicher Frieden.
Nach einer Zeichnung von Richard Strebel.


Der Assessor, großmütig wie es dem Sieger gebührt, winkte herablassend mit der Hand ab, worauf wieder Leben in die versteinerte Gestalt des jungen Adonis kam, und näherte sich dann dem Geburtstagskind mit der weithin vernehmbaren, erlösenden Frage. „Nun, mein gnädiges Fräulein – Sie haben mir doch den Cotillon aufgehoben?“

Wenn der Stein, der Hänschen in diesem Augenblicke vom Herzen fiel, nicht bloß ein Phantasiestein gewesen wäre, so hätte er ein wahres Donnergepolter verursachen müssen. Strahlend, wenn auch nicht ganz aufrichtig, erwiderte sie: „Natürlich!“ und überraschte den Assessor damit um so angenehmer, als er die Frage eigentlich nur der Form wegen gethan und das erbetene Recht längst in den Händen des Fähnrichs geglaubt hatte.

Wäre Hänschen im geringsten schadenfroh gewesen, so hätte sie sich jetzt gerächt fühlen und in diesem Bewußtsein schwelgen können – der Fähnrich war klein – ach, wie klein geworden. Er schwänzelte bescheiden und artig mit „Gestatten, Herr Lieutenant!“ und „Gewiß, Herr Lieutenant!“ um den so oft geärgerten Assessor herum, der sich – denn er war immerhin ein Mensch! – die kleine Revanche für viel überstandene Unbill nicht versagen konnte, im Laufe des Abends statt „Herr von Soten“ mehrfach mit milder Herablassung. „Mein lieber Fähnrich“ zu sagen, was für den Jüngling angesichts der huldigenden Damenwelt recht peinlich war.

Für Hänschen aber klang der Ball, der so trübselig begonnen hatte, in einen vollen Triumphaccord aus. Der Assessor, der ihrem blassen Gesichtchen wohl angesehen hatte, daß irgend etwas nicht in Richtigkeit sei, verfolgte seine Vorteile – er brachte während des ganzen Cotillons nur einer einzigen Dame einen Strauß, und das war seine eigene Dame. Dann verzichtete

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 213. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_213.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)