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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Leben saugt sie aus der Unendlichkeit den Trost, dessen sie bedarf; sie lernt, sich dieser Unermeßlichkeit gegenüber als ein Nichts, als ein Atom fühlen, desen Leben ein Stäubchen ist in der Schöpfung, ein Nichts und doch ein Etwas, ein Etwas, das staunen und anbeten kann, das dankbar und erschüttert die Wunder zu erfassen sucht, die uns die Wisenschaft mehr und mehr enthüllt, eine Wissenschaft, die sie verfolgt mit allen ihr gebliebenen Kräften.

Vor dem Fenster ihrer Wohnstube, in dem kleinen offenen Altan, ist ein vorzügliches Fernrohr angebracht, auf ihrem Büchertische liegen Berichte über die neuesten Entdeckungen, und Karoline Herschels Porträt hängt inmitten rießger Himmelskarten an der Wand.

Aber ach, was kümmern ein achtzehnjähriges Mädchenherz die kalten Sterne da droben? Ditscha hat geduldig angehört, was ihre Tante Klementine vom Mars erzählt, sie hat auch gehorsam den schönen Weltkörper durch das Fernglas betrachtet, aber Tante Klementine muß sich hinterher gestehen, daß der Planet – Erde genannt – mit seinen für Ditscha noch unerforschten Wundern dem Mädchen unendlich mehr Interesse bietet als der rötlich blitzende Stern da droben.

Ja, ja, Klementine hat die Zeit nicht vergessen, wo es auch bei ihr so der Fall war. Arme Ditscha, wie soll deine Zukunft werden? — „Herr, der Du die Sterne lenkst, erbarme Dich auch über das junge sehnende Menschenherz und leite es auf die rechte Bahn!“ betete die Kranke.

(Fortsetzung folgt.)




Unter den kalifornischen Riesenbäumen.

Von Theodor Kirchhoff.0 Mit Illustrationen von R. Püttner.

Der Calavéras-Hain der Mammutbäume, mit dessen stolzen grünen Hallen ich den Leser gern bekannt machen möchte, ist eins der sehenswertesten Naturwunder in Kalifornien; aber nur selten entschließt sich einer von den hier lebenden Deutschen, jene Baumriesen, deren photographische Abbildungen jedermann in San Francisko bekannt sind, einmal in Wirklichkeit zu schauen, denn die recht unangenehme Reise dorthin schreckt die meisten davon zurück. Ich selbst muß zu meiner Schande gestehen, daß ich erst nach einem Aufenthalte von länger als dreißig Jahren an der pacifischen Küste mich dazu entschloß, einen solchen Ausflug zu unternehmen. Aber wahrlich, die anstrengende Reise hat mich nicht gereut! Ich zähle die sechs Wochen, während deren mir der Calavéras-Hain so bekannt wurde wie meine Wohnung in San Francisko, mit zu den angenehmsten meines vielbewegten Lebens.

Eine Eisenbahnfahrt von 122 engl. Meilen (197 km) brachte mich rasch nach dem Städtchen Milton im San Joaquin-Thale. Nach einer weiteren außerordentlich unbequemen Fahrt von 48 engl. Meilen (75 km) in einer Postkutsche uralten Stils erreichte ich am folgenden Mittag das „Mammoth Grove Hotel“, das in östlicher Richtung von San Francisko im Gebirgszuge der Sierra Nevada 4730 Fuß (1442 m) über dem Meere und ganz in der Nähe der Mammutbäume liegt. Ich will mich nun zunächst bemühen, dem Leser eine möglichst klare Darstellung von dem Wissenswertesten zu geben, was sich auf die kalifornischen Riesenbäume bezieht. Den darin eingeflochtenen Längenangaben ist der amerikanische Fuß zu Grunde gelegt, der 0,304 m mißt, so daß auf 1 m also 3,28 dieser Fuß kommen.

Der Calavéras-Hain (Calaveras Grove) wurde im Jahre 1852 von dem Bärenjäger A. T. Dowd zufällig entdeckt. Als dieser von einem längeren Jagdausfluge zurückkehrte, erzählte er mit Begeisterung seinen Genossen in dem Minenlager bei Murphy’s von den Riesenbäumen, die er entdeckt hatte, und forderte jene auf, mit ihm zu gehen, um dieselben gleichfalls in Augenschein zu nehmen. Er wurde aber als ein ganz kolossaler Aufschneider verlacht. Da niemand Lust verspürte, ihn zu begleiten, so redete er nicht mehr von den Riesenbäumen, streifte, wie er zu thun pflegte, in der Umgegend umher und verkündete dann eines Abends am Lagerfeuer, er habe oben im Gebirge den größten Grizzly (grauen Bären) erlegt, den er je gesehen. Seine Freunde mochten ihm doch behilflich sein, am nächsten Tage den fetten Braten zu holen. Hiergegen hatte selbstverständlich niemand etwas einzuwenden. Als nun die Gesellschaft nach einem mühseligen Marsche von 15 Meilen durch den Urwald endlich bei dem ersten Riesenbaum anlangte, sagte Dowd zu seinen Freunden, dies sei der Grizzly, den er ihnen zeigen wollte. Beim Anblick des über 300 Fuß hohen und etwa 30 Fuß dicken Baumes verziehen sie ihm die Jagdgeschichte, und Dowds Name wird heute in Calavéras County zusammen mit dem des Kolumbus als Entdecker rühmend genannt.

In Kalifornien wurden im Laufe der Jahre 10 Gruppen von Mammutbäumen entdeckt, sämtlich in der Sierra Nevada Die bekanntesten darunter sind neben dem Calavéras-Hain der 6 engl. Meilen südöstlich von demselben liegende Süd-Hain (South Grove) und der Mariposa-Hain in der Nähe des Yosemitethales. Aber nur beim Calavéras-Hain befindet sich ein Gasthaus in unmittelbarer Nähe der Riesenbäume, die man von dort in aller Muße besuchen kann. Der Name Hain (Grove) ist etwas seltsam gewählt. Es ist nicht ein abgesonderter Hain, sondern in jedem Fall ein ansehnliches Stück Urwald, in welchem die Riesenbäume zwischen anderen viel zahlreicheren Bäumen zerstreut dastehen. Diese sind vorwiegend Zuckerfichten (sugar pinePinus Lambertiana – die Fichte, aus deren Harz der Fichtenzucker, pinit, bereitet wird), nebst zwei Arten von Gelbfichten (yellow pine), drei Arten von Silberföhren (fir), dann Douglaßtannen (red spruce) und Weißcedern (Libocedrus decurrens) – eine Art Lebensbaum). Alle diese Bäume erreichen eine ungewöhnliche Größe. Die Zuckerfichten namentlich sind wahre Prachtbäume, und einzelne derselben haben einen Durchmesser von 9 bis 11 Fuß, bei einer Hohe von 225 bis 275 Fuß. Der Boden ist fast überall dicht mit Gebüsch bewachsen. Diese sogenannten Haine liegen meilenweit (zwei derselben 40 engl. Meilen) voneinander entfernt, und zwischen denselben dehnen sich, unmittelbar anschließend, prächtige Waldungen aus, in denen nicht ein einziger Mammutbaum zu finden ist.

Ein englischer Botaniker mit Namen Lobb, der im Jahre 1853 im Auftrage der Royal Exotic Nursery in Chelsea als Pflanzensammler nach Kalifornien reiste und bei dieser Gelegenheit auch den kurz zuvor entdeckten Calavéras-Hain besuchte, meinte, daß die Riesenbäume eine ganz neue Art seien, und gab ihnen den Namen Wellingtonia gigantea. Es stellte sich aber bald heraus, daß dieselben zum Geschlecht der Rotholzbäume gehören die den botanischen Namen Sequoia sempervirens führen. Sequoia, oder Sequojah, ist der Name eines Häuptlings der Cherokesen, der ein Alphabet von 86 Buchstaben, von denen jeder eine Silbe vorstellt, ersann und als Schriftsprache bei seinem Volke einführte. Um den erfinderischen Häuptling zu ehren, gab der berühmte Botaniker Stephan Ladislaus Endlicher (geb. in Preßburg 1804; gest. 1849) den prächtigen Rotholzbäumen, die den Waldbestand des kalifornischen Küstengebirges und der an den Ocean grenzenden Landschaften nördlich vom Goldenen Thor bilden, den Namen Sequoia sempervirens und den Riesenbäumen in der Sierra, die zu demselben Geschlecht gehören, wurde späterhin der Name Sequoia gigantea gegeben. Dieser Name gilt jetzt überall in der Welt, mit Ausnahme Englands. Die Engländer halten mit erprobtem Starrsinn an dem Namen Wellingtonia fest, und sie können es heute noch nicht verwinden, daß ein Indianer dem Sieger von Waterloo den Rang abgelaufen hat. In Kalifornien sind neben dem Namen Sequoias die Bezeichnungen Mammot threes und Big trees d. h. „Mammutbäume“ und „Große Bäume“ – „Riesenbäume“, im Volksmunde üblich.

Das Alter der kalifornischen Riesenbäume muß nach Jahrtausenden berechnet werden, wobei man annimmt, daß jeder von den sich im Stamm zeigenden konzentrischen Ringen das Wachstum eines Jahres andeutet. Trotz der Einwürfe einzelner Botaniker gegen diese Art der Altersbestimmung sehen wir uns doch nach wie vor auf dieselbe als Mittel annähernd richtiger Schätzung verwiesen Die Entfernung dieser Ringe voneinander ist aber sehr ungleich, namentlich zwischen den inneren und äußeren Ringen. Während in seltenen Fällen nur 6 bis 8 Ringe auf einen Zoll gezählt werden, findet man bei anderen sehr alten Bäumen bis zu 40 Ringe auf den Zoll. Mehr oder minder reicher Boden, größerer oder geringerer Regenniederschlag, die das Wachstum der Bäume beeinflussen, sind wahrscheinlich die Ursache davon. Bei mehreren umgefallenen uralten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 227. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_227.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)