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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

„Oho!“ antwortet Perthien mit dem ganzen Selbstvertrauen seiner vierundzwanzig Jahre.

„Na, viel Glück, mein Herr!“

„Ich danke Ihnen, Herr Doktor.“

Während Hans von Perthien mit den Kollegen Reeden und Timpe schweigsam nach Hause reitet, hat er einen Plan fertig gemacht. Beetzen und Ditscha und Ditscha und Beetzen müssen erobert werden – beide! Eins allein kann ihm ja nichts nützen. Und dann wird doch endlich ’mal der Alte zufrieden sein, dem er bis jetzt noch nichts hat zu Dank machen können, und die Halsabschneider in Halle werden es ebenfalls sein. Ditscha soll’s auch nicht bereuen; er will sie auf alle erreichbaren Tanzfeste führen, denn hier ist das Mädel vor Langerweile krank. Tante Bertha und der tolle Jochen sollen an ihm einen Schwiegersohn haben comme il faut, und die fatale Tante mit ihren Missionsstrümpfen, die kann man ja schließlich hinausgraulen.

Todmüde langte er mit seinen beiden Gefährten auf Uechte an, und diese Müdigkeit verhinderte ihn für heute an ein weiteres Ausdenken des Schlachtplanes – aber siegen will er, siegen!




Als Hans von Perthien das nächstemal wieder nach Beetzen kommt, hat er Pech. Zu der Zeit um Weihnacht herum, in der das Unglück geschehen, herrscht in Beetzen Jahr für Jahr dieselbe trostlose Stimmung. Er wird nicht angenommen. Frau von Kronen hat überhaupt erklärt, es sei über ihre Kräfte gegangen, den so hübschen schlanken Jungen in ihrem Zimmer zu sehen, denn sie habe bei seinem Anblick mit Schmerzen ihres Verlorenen gedenken müssen; und Joachim von Kronen hat ihr recht gegeben und ist von einer furchtbaren Laune, einer Laune, die selbst Tante Anna mit ihren Morgenandachten nicht zu besiegen vermag, obgleich sie viel von Demut spricht und von der Pflicht, sein Kreuz geduldig zu tragen.

Tante Anna hat auch Ursache, unzufrieden mit Ditscha zu sein. Das junge Mädchen ist nach jenem Besuche ein paar Tage mit roten Wangen und glänzenden Augen umhergegangen, aber von dem Augenblick an, da in ihrer Gegenwart dem Friedrich gesagt wurde, wenn Besuche kämen – ausgenommen natürlich der Herr Pastor oder Oberförster – seien die Herrschaften nicht anwesend, erlosch Farbe und Lust wieder in dem lieben Gesicht, sie fröstelte, saß still da, that zwar alles, was sie thun mußte, aber mit sichtlicher Unlust.

Hanne fand das ganz natürlich, „denn, gnä’ Fröln Klementine, dat ist so: Wenn einer partout nicht hören und sehen soll, dann muß man ihm die Watte aus den Ohren und die Binde von den Augen nicht auf einen Augenblick nehmen, um sie sofort wieder vorzuthun, sonst ist’s ’ne pure Grausamkeit, und wenn das, was Fröln Ditscha gesehen und gehört hat, auch man von unterster Qualität gewesen ist, sie hält’s doch vor sehr schön, weil sie nie nichts hat, es zu vergleichen, und da kann’s kommen, daß sie ’nen Holzappel vor eine Königsreinette taxiert.“

Hanne macht während dieser Weisheitsreden den Kaffeetisch zurecht am Fenster, neben dem ihr Fräulein im Krankenstuhl sitzt. Es ist ein trauliches Zimmer, dieses halbrunde Turmgemach mit seinen dem Anfang des Jahrhunderts entstammenden Möbeln. Im säulengeschmückten, mit einer Urne gekrönten Kachelofen glimmt der Torf, und sein roter Schein strahlt zurück von dem silbernen Kesselchen, unter dem die bläuliche Spiritusflamme brennt. Trotzdem es erst drei Uhr ist, dämmert es schon stark; der Himmel draußen ist niedrig und wolkenverhangen und die entlaubten Bäume des Parkes gewähren einen trostlosen Anblick. Ein Glück, daß jenseit der nassen Rasenfläche das Grün der Koniferen die Grabkapelle verbirgt, es wäre sonst ein trübseliger Anblick gewesen; die weite Ferne, die am Horizont der dunkle Saum des Waldes abschließt, die Türme von Bützow, die man sonst sehen kann, und das Herrenhaus von Uechte verschwimmen heute in Dunst und Nebel.

Vor der Kranken stehen ein paar hellrosafarbene Rosen, die letzten des Jahres. So lang es Rosen giebt, sendet Joachim von Kronen seiner unglücklichen Schwester täglich welche hinauf; er läßt es überhaupt an keiner Aufmerksamkeit fehlen; was ihr Freude bereiten kann, geschieht. Die teuersten astronomischen Werke, die weichsten Teppiche, der komplizierteste amerikanische Krankenstuhl, alles, alles schenkt er ihr, aber – sehen will er sie nicht. Einmal nur im Jahre, am Morgen des Sylvester, pflegt er in ihr Zimmer zu treten, barsch, polternd, kurz. „Na, wie geht’s? Gratuliere – wünsche gute Besserung – fehlt es Dir an irgend etwas?“ Dabei sieht er an ihr vorüber, und sie streichelt seine Hand, und ihre Blicke voll Mitleid und Jammer hängen an seinem zuckenden Gesicht.

„Nichts, Joachim, nichts fehlt mir; ich danke Dir herzlich für alles, was Du für mich thust.“

Dann geht er wieder, räuspernd, schnaubend, und für den Rest des Tages ist er krank, und Fräulein Klementine auch.

Sie wendet jetzt den Kopf. „Hast Du auch Fräulein Sophie gesagt, Hanne, daß ich sie um drei Uhr erwarte?“

„Ja woll, gnä’ Fröln, und da ist sie auch schon,“ lautet die Antwort.

Unter den Thürvorhängen erscheint Ditscha. „Ich komme wohl spät, liebe Tante Tine,“ entschuldigt sie sich, „ich war eingeschlafen auf meinem Sofa und mußte doch auch noch den Brief an Papa fertig schreiben.“

„Wovon bist Du denn so müde, kleines Murmeltier?“ fragt Tante Tine und streichelt über das herrliche braune Haar.

„Ach, ich weiß nicht, Tanting; ich bin immer müde,“ antwortet sie apathisch und schmiegt sich in einen der tiefen Lehnstühle.

„Was hast Du denn heute tagsüber angefangen?“

„Nichts Besonderes. Geübt, Staub gewischt – – Tante Anna näht weiße Kittelchen für Indien und da hab’ ich vorgeheftet; dann hat Tante Bertha Krammetsvögelkonserven für den Winter in Blechbüchsen gelegt, und da ließ sie mich in die Küche kommen zum Kosten, sie wollte wissen, ob genug Wacholder daran sei, und weil ich Ja! sagte, meinte sie ‚Dummes Zeug!‘ und Rieke mußte noch ein Paar Körner stoßen. Und bei Tisch hat Onkel Jochen mit Tante Anna gestritten über Missionsfragen und hat gesagt, sie solle sich zunächst um unsere Dorfkinder bekümmern, die seien schlimmer als die Wilden. Und dann wollte ich eigentlich spazieren gehen, aber da kam Papas Brief und ein Brief von Lieschen Lindenberg –“ Jetzt zuckte es um ihren Mund wie verhaltenes Weinen.

„Und was schreibt Dein Papa?“

„Es geht ihm gut,“ sagt Ditscha und schluckt die Thränen hinunter, „er war in Berlin, aber, denke Dir“ – sie muß wieder schlucken „er schreibt, mit meinem Kommen zu Weihnachten würde es dieses Jahr nichts werden. Warum nicht? – Das würde mir Tante Bertha seiner Zeit mitteilen.“

Ein Ausdruck tiefsten seelischen Wehes lagert sich bei diesem Bericht über Ditschas Züge.

„Ei, aufgeschoben ist nicht aufgehoben, Kind,“ tröstet die alte Dame.

„Das schreibt Papa auch.“

„Und Deine Freundin Lieschen, was läßt sie hören?“

Das kummervolle Gesicht wird nicht heller. „Denke Dir, Tante – sie bittet zwar, ich soll nicht davon sprechen, aber Dir, Du bist ja so verschwiegen, kann ich’s sagen – sie ist heimlich verlobt! Der ganze Brief ist kritzlig und kratzlig geschrieben und von Thränen halb verwischt, und zuguterletzt schreibt sie: ‚Entschuldige die Schrift, aber Fritz steht hinter mir und küßt mich und daher‘ – dann ein Klex, und von einer Männerhand noch: ‚Die Freundin seines lieben Lieschens grüßt Ihr glücklicher – („glücklich“ dreimal unterstrichen) – Fritz Hennecke.‘“

„Nu kik mal,“ sagt Hanne verwundert, „und so jung noch? Veel to jung, die Fröln Liesing!“

„Und denke Dir, Tante,“ fährt Ditscha fort, „er hat sich in sie verliebt, weil sie so schön malt, schreibt Lieschen. Er ist nämlich auch Maler. Es ist doch herrlich,“ setzt sie leise hinzu, „wenn man ein Talent besitzt, Tante Tine – ich hab’ auch gar keines, gar keines.“

„Unsinn, gnä’ Fröln,“ ruft Hanne, die eben die Tassen gefüllt hat und ihrem Fräulein Sahne hinzugießt, „das können Sie auch haben, wenn Sie’s man bloß wollen! So ’ne Talente, die kann man sich angewöhnen. Oll Kurzleb, wo Schriwer is bei Herrn Landrat in Bützow, dem sein ältester Jung’ ist auch Maler, da hat sogar was von in die Zeitung gestanden von seine Bilders, die er in Berlin ausgestellt hat, und ich weiß doch noch, wie die selige Kurzlebn zu mich gesagt hat dazumalen: ,S’ist ein Elend mit uns’ Otto, er beschmiert allens voll. Die Stühlens und Tischens und Gott weiß was allens. Er hat sich das nur so angewöhnt’, sagt sie, ,und da hilft nun kein Prügeln nich.‘ Sehen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 243. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_243.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)