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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

So wird auch hier der Boden ihm bald zu heiß, und es duldet ihn in Ferrara nicht länger. Wiederholt treibt sein unruhiger Geist ihn fort nach Venedig und Padua und als Flüchtling eilt er endlich nach Sorrent, um hier im Kreise der Familie seiner Schwester Cornelia noch einmal die stillen Freuden eines ungestörten Familienlebens zu genießen.

Aber kaum ein Jahr hält es ihn in dieser traulichen Umgebung. So wenig er das Leben am Hofe Alfonsos ertragen konnte, so wenig vermochte er es auf die Dauer zu entbehren. So ergreift ihn denn die Sehnsucht nach den vergangenen glücklichen Tagen, und, von Ehrgeiz und Liebe unwiderstehlich gedrängt, fliegt er, wie der Schmetterling zur Flamme, nach Ferrara zurück. Von neuem versengt, entflieht er von neuem, diesmal weniger weit, erst nach Urbino, dann nach Turin, von dort ausgeliefert, wird er auf seines Fürsten Befehl zur Heilung seines zerrütteten Geistes in das Hospital Sant’ Anna eingesperrt. Hier setzt nun der Geist die irre Wanderung fort, an der die sicheren Wände seiner Zelle den Körper hindern, aber kaum daß er nach siebenjährigem qualvollen Aufenthalt als gebrochener Mann seinen Kerker wieder verlassen darf, beginnt auch das ruhelose Leben von neuem. Man glaubt ihn auf einer Wallfahrt zum Heiligtume in Loreto und er taucht plötzlich in Rom und Neapel auf; kaum hat er sich in Florenz auf dem lieblichen Hügel von Monte Oliveto glücklich eingerichtet, so finden wir ihn abermals in der Stadt der Päpste.

Und so geht es neun Jahre lang fort! Wohl siebenmal pilgert der müde Fuß die staubige Landstraße von Rom nach Neapel, von Neapel zurück nach Rom. Elend und krank langt er zum letztenmal in der ewigen Stadt an, wohin er auf Einladung der Kardinäle Quinto und Cinzio gewandert ist, um der höchsten Ehre, von der er sein Leben lang geträumt hat, der Krönung auf dem Capitol mit dem Lorbeer Petrarcas, teilhaftig zu werden. An den Thoren empfangen ihn die Neffen des Papstes mit einem großen Gefolge von Würdenträgern und eine unabsehbare Menge jubelnden Volkes, dem Papst darf er die Füße küssen und empfängt dessen Segen. Doch ehe seine Hand den so heiß ersehnten Lorbeer ergreifen kann, bricht er zusammen, nachdem er noch auf dem Totenbette den Wunsch geäußert hat, man möge gerade dasjenige seiner Werke, das allein der Nachwelt seinen Namen überliefert hat, die Gerusalemme liberata, das „Befreite Jerusalem“, dem Feuer weihen. In aller Stille ist er dann wenige Tage darauf in dem reizenden Klostergärtchen von San Onofrio, das jeder Romfahrer kennt, zu Grabe getragen worden.

Das äußere Lebensbild des Dichters, das sich hier in aller Kürze vor dem Leser entrollt hat, ist vollendet. Tasso selbst hat nur allzu wahr in dem Gedicht an seine Seele davon gesungen:

„Indes ist sonnenlos mein Tag; ich sehe
Verhüllt des Nachts der Sterne lichtes Heer.
Ich hatte Wünsche viel wie Sand am Meer
Und innen nichts und außen nichts denn Wehe.“

Leonore von Este.

Es war ein Dichterleben in jedem Sinne des Wortes, auch darin, daß alle persönlichen Schicksale im engsten Zusammenhange stehen mit der großen Aufgabe, die diesen Feuergeist von den ersten knabenhaften Flügen bis zu seinen letzten Entwürfen erfüllte: mit dem großen unsterblichen Heldengedicht vom „Befreiten Jerusalem“. Die schwere Krisis, deren Verlauf in die Tage seines Aufenthaltes am Hofe Alfonsos II. zu Ferrara fällt, ist auch eine Krisis in seinem dichterischen Schaffen, und darum ist es nötig, um zu einem vollen Verständnis des Lebens und Dichtens Tassos zu gelangen, den wichtigsten Personen einige Beachtung zu schenken, die in den Villen und Gärten von Belriguardo und Castel Durante, in den glänzenden Palästen von Ferrara mit dem Dichter in nächste Berührung gekommen sind, ihn zu begeistertem Schaffen angeregt, ihm dabei vor der Seele geschwebt haben und von denen eine ihm jene Liebe eingeflößt hat, die er, freilich durch eigene Schuld, mit einem Leben voll Verzweiflung und brütendem Wahnsinn hat bezahlen müssen: ich meine die Schwester des Herzogs Alfonso II. von Este, Leonore.

Noch immer, nachdem die Kritik nun drei Jahrhunderte Zeit gehabt hat, sich mit den Personen und Verhältnissen an diesem damals glänzendsten aller Höfe Italiens zu beschäftigen, nachdem litterarische Fälschungen begangen, Prozesse geführt, auf Anklagen und sogenannte „Ehrenrettungen“ Ströme von Tinte verschwendet worden sind, werden von neuem die Kardinalfragen aufgeworfen: Hat Alfons als ehrlicher Freund oder hat er als Verräter an Tasso gehandelt? Hat dieser die Prinzessin Leonore ernstlich geliebt, wurde seine Neigung erwidert? Und ist Tasso um dieser Leidenschaft willen sieben Jahre lang in dem Irrenhause von Sant’ Anna eingesperrt gewesen, oder war er in der That geistesgestört? So viele Biographen des Dichters wir hierüber um Rat fragen, von seinem Zeitgenossen Manso bis herab zu dem unsrigen Pier Leopoldo Cecchi, von Goethe, Byron, Leopardi bis auf Silvio Pellico, Quinet und Speyer, so viele verschiedene Antworten auf diese uns so lebhaft interessierenden Fragen erhalten wir. Und selbst die treffliche im Jahre 1855 von Guasti besorgte fünfbändige Ausgabe der Briefe Tassos, die mit seinem zehnten Jahre beginnen und bis in die Tage seiner letzten Krankheit reichen, haben den Federkrieg nicht zu enden vermocht. So müssen wir uns denn einstweilen der Meinung anschließen, die, auf diese Briefe und seine lyrischen Gedichte gestützt, den größten Grad von Wahrscheinlichkeit für sich zu haben scheint.

Als Torquato, ein kühn in das Leben schauender 21jähriger Jüngling, dem dank seinem „Rinaldo“ schon der Ruhm eines trefflichen Dichters vorausging, in Ferrara einzog, fand er den glänzenden Hof anläßlich der Hochzeit des Herzogs mit Barbara von Oesterreich in einem Taumel von Festlichkeiten und Enthusiasmus und das höfische Leben zeigte sich ihm von der glänzendsten Seite. Eine hochgespannte Natur, welche Liebe und Freundschaft gleich der Dichtkunst nur als reine, hohe Seelenkraft zu empfinden vermochte, fühlte sich Tasso in Gesellschaft der beiden Schwestern des Herzogs, der schon reifen, um ein Jahrzehnt älteren Lucrezia, der späteren Herzogin von Urbino, und der blassen, kränkelnden, idealgestimmten Eleonore, der „Schülerin des Plato“, in einer Region, wo „alles Gemeine schwand“; anerkennungsbedürftig und ehrgeizig schlürfte er hier den vollen Becher feinsten und berauschendsten Lobes, von zartesten Händen kredenzt. Bei hundert Gelegenheiten, wenn wir den in dieser Zeit entstandenen lyrischen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 249. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_249.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)