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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)


über stundenlange Gletscher gründlich nieder, aber was er von der leichter erreichbaren „Stüdlhütte“ mitteilte, erweckte ihr die bestimmte Aussicht auf so viel Lokalkolorit, um obengedachtes Feuilleton auch ohne persönliche Anwesenheit auf „Adlersruhe“ mit Ehren in die Welt senden zu können.

Infolgedessen war die Stimmung der verdienstvollen Schriftstellerin eine sehr rosige geworden, und als man nun nach vollendetem sehr guten Mittagessen sich hier auf dem Altane zum Kaffee zusammensetzte, da fühlte sie sich geneigt, die Thatsache, daß diese „schlaue kleine Person“ den „guten armen Lorenz“ schließlich doch noch eingethan hatte, in einem milderen Lichte zu betrachten. Offenbar waren die zwei Leute ganz glücklich miteinander, aber diese Beobachtung genügte ihr doch noch nicht, sie mußte jetzt wissen, auf welche Weise diese früher beiderseits gegen sie so hoch verschworene Verbindung zustande gekommen war.

„Und nun erzählen Sie mir,“ begann sie, nachdem Lorenz ihren Stuhl auf den besten Aussichtsplatz gerückt und Toni sie mit Kaffee versorgt hatte, „aber ganz aufrichtig und ausführlich, wie denn das alles mit Ihnen beiden gekommen ist!“

„Was ist da viel zu erzählen?“ antwortete ihr der junge Ehemann mit einem vergnügten Blick auf seine Frau. „Sie wissen doch, daß ich damals von Salzburg weg bin, um einmal die ganze Geschichte aus den Gedanken zu kriegen. Aber das Reisen hat mir nicht geholfen und das Tonerl hab’ ich nicht vergessen können über den Mädels draußen. Hab’ mir aber immer wieder gesagt: nein, du fangst nicht noch einmal davon an, wenn du heimkommst, sie läßt dich doch nur wieder abfallen und lacht dich hinterher aus. Aber bis ich nach einem Jahr heimgekommen bin, da hat sie überhaupt nicht mehr gelacht, da ist zuerst nach schwerem Leiden ihre Mutter gestorben und ein halb Jahr darauf der Vater auch.“

„O! das wußte ich ja gar nicht!“ sagte Fräulein Panke bedauernd, indem sie die Hand nach Toni ausstreckte.

„Ja,“ erwiderte diese, „das war wohl schwere Zeit. Und sehen Sie, Fräulein, damals hab’ ich meinen Lorenz erst kennen gelernt, so lang’ vorher ich ihn auch schon gekannt habe. Na, ich will ihn jetzt nicht lang’ ins Gesicht loben, aber wie ich über die Zeiten, die letzten meine ich vom Vaterl, hätt’ ohne ihn hinauskommen sollen, das weiß ich heute noch nicht.“

„Aber Ihre Schwester und Ihr Schwager waren doch auch da!“

„Zu den Begräbnissen sind sie gekommen, ja. – Wie dann, nach ein paar Wochen, alles auseinandergethan und versteigert war, da mußte ich natürlich zu ihnen nach München, denn eine andere Heimat hab’ ich ja nicht mehr gehabt. Aber gerade dort – wenn auch viel inzwischen anders geworden war – dort hab’ ich immer mehr eingesehen, daß ich in das Leben nicht hineinpasse. Man meint so was manchmal, und da ist es ein Glück, wenn man beizeiten innewird, daß es nichts ist damit. Die wirklich Vornehmen und Eleganten – du liebe Zeit, da kann unsereins nicht hin, und die vielen anderen Künstler wirtschaften mit Not und Sorgen, und nicht dergleichen thun – das hielt’ ich nicht aus, dafür wär’ ich zu spießbürgerlich. Es war mir auch damals gar nicht d’rum, solche Gedanken zu haben. Ein recht trübseliger Winter war’s deshalb; die Resi hat bald die Trauerkleider abgelegt und ist wieder auf die Bälle gegangen, aber ich hätt’ das nicht gekonnt. So war ich meistens abends in der Kinderstube, wenn sie miteinander aus sind, und die Zeit ist mir lang geworden bis zum Frühjahr. Aber dann, wie die Bäum’ einmal ausgeschlagen haben, da hat’s mich nicht mehr in München gelitten, ich hab’ ein solches Heimweh nach die Berg’ gehabt –“

„Und wohl auch nach dem Herrn hier?“

„Kann sein – gewußt hab’ ich’s nicht. Aber wie ich zu seinen Eltern, die mich eingeladen haben, auf Besuch gekommen bin –“

„Da hat sich alles von selber verstanden,“ fügte Lorenz bei. „Punktum!“

„Ja,“ lachte seine kleine Frau, „wir sind unserem Vorsatz treu geblieben. Damals, als wir uns im Zug beim Heimfahren miteinander ausgesprochen und als gute Freunde versöhnt haben, da haben wir ausgemacht, daß wir nie mehr vom Heiraten reden wollten. Und dabei ist’s wortwörtlich geblieben: geredet haben wir so gut wie nichts, gelt, Lorenz?“

Sie sah ihn mit lachenden Augen an.

„Nur geheiratet,“ bekräftigte er lakonisch. „Das hat gerade gereicht.“

„Obwohl er kein ‚Abgrund‘ ist, Frau Toni?“

„Meinen Sie?“ erwiderte diese, „da irren Sie sich aber! Der ist wohl ein Abgrund, den sollten Sie einmal kennenlernen, wenn’s blitzt und donnert, da macht man gern, daß man beiseite kommt. Und was die übrigen Abgrundseigenschaften betrifft – da ist es mir schon lieber, daß er sie nicht hat, die gefallen mir heute lange nicht mehr so gut wie ehemals.“ …

Jetzt erschien nach seinem Mittagsschlaf der kleine dicke Prachtbubi auf dem Arm seiner Kindsmagd und Fräulein Panke mußte notgedrungen bewundern und alle die erstaunlichen Kunden anhören, womit glückliche Eltern auch die abgesagtesten Kinderfeinde so freigebig überschütten. Zu diesen gehörte sie wohl gerade nicht, aber es war ihr doch eine gewisse Erleichterung, als Toni, über die Brüstung blickend, rief: „Da kommen Volkhards“ und, den Kleinen seiner Wärterin zurückgebend, sich beeilte, noch ein paar Tassen zu holen.

Unmittelbar darauf erschien in dem Thürrahmen Volkhards breite Gestalt, neben ihm die immer noch sehr schöne Frau Resi. Sie wohnten mit ihren Kindern in einer benachbarten Villa und kamen oft am späteren Nachmittag zu einem Tarock hier herüber. Volkhards geübtes Auge umfaßte mit einem Blick die heutige Situation und ein bedauerndes Pfeifen durch die Zähne ging seiner Begrüßung voraus, die gerade keinen sehr angelegentlichen Charakter trug.

Aber Toni, die aus den vorhergehenden alpinen Gesprächen ersehen hatte, wie hoch Fräulein Panke das herrliche Auskunftsmittel für eingeschneite Tage in den Bergwirtshäusern, das edle Tarockspiel, zu schätzen wußte, sie stellte mit den Worten: „Das Fräulein spielt mit!“ des Schwagers gute Laune wieder her und holte nach den ersten Begrüßungen gleich die Karten herbei. Dann rückte sie sich einen Schaukelstuhl an die Altanbrüstung und streckte sich behaglich ausruhend darin aus, während drüben am Tisch diese so verschiedenen Lebenskreisen angehörigen Vier sich alsbald mit Eifer und Gründlichkeit in ihr Spiel vertieften.

Das Gespräch durfte nur in den Gebepausen geführt werden. Fräulein Panke benutzte sie, um aus Volkhard dies und jenes von künstlerischen Dingen herauszufragen, das ihr später von großem Nutzen sein konnte. Er ließ es an freimütigen Aeußerungen über Freunde und Gegner auch durchaus nicht fehlen. O, hätte Sophie Panke statt des Eichelober und Schellendaus eine Notiztafel und einen Griffel in Händen halten dürfen! Wie viel von den kostbaren Urteilen ging da verloren, bis sie endlich in stiller Nachtstunde zum Aufschreiben kam!

„Was mag denn,“ fragte sie, nach Beendigung des ersten Spieles, „an der Notiz sein, die kürzlich durch die Blätter lief: der Maler Pereda habe in Paris im Duell wegen einer skandalösen Liebesgeschichte seinen Gegner schwer verwundet und deshalb schnell die Stadt verlassen müssen?“

„Ich weiß nichts Näheres,“ erwiderte Volkhard. „Wird aber schon so sein. Dem sein Unglück sind die Weiber. Schade! ’s ist ein verteufelt geschickter und auch sonst ein braver Kerl.“

„Was halt die Männer so heißen,“ sagte Frau Resi mit einem verächtlichen Achselzucken. „Unsereins möcht’ sich für so einen bedanken.“ Sie warf einen Blick nach der Schwester hinüber, welche mit großer Gemütsruhe Stich um Stich an einem Kinderjäckchen machte.

„Er möchte sich auch für Euereins bedanken!“ lachte Volkhard. „Für den sind die guten, ordentlichen Frauen nicht gewachsen, der braucht eine andere Sorte. Wenn er nur nicht einmal an solchen Geschichten völlig zu Grunde geht! Er muß es jetzt, nach allem, was man hört, viel toller treiben als damals in München!“

„Uebrigens -,“ hier schlug er das Kartenspiel, das er bisher zwischen den Fingern bewegt hatte, auf den Tisch und erhob den mächtigen Körper in voller Länge – „übrigens ist’s doch eigentlich eine Sünd’, hier zu spielen, wenn draußen eine solche Beleuchtung losgeht!“ Er deutete hinaus auf die in tiefem Rosenrot glühenden Schrofen und die ganze friedevolle Landschaft zu ihre Füßen.

„Da schaut hin, wie das wieder einmal prachtvoll ist heute abend! Jetzt, wo wir wegen den dummen Schulen bald heim müssen, jetzt möchte ich am liebsten gar nicht fort. Wißt Ihr was – Ihr zwei? Ihr habt’s am besten von uns alle, das sage ich. Keine Sorgen und so ein Besitz! Ihr seid beneidenswerte Leute.“

Nun ging es ans Aufbrechen. Die beiden Töchter, blonde aufblühende Schönheiten, wie Toni der Schriftftellerin eifrig versicherte, waren umsonst erwartet worden. Nicht etwa, daß sie den Kuchen und Aprikosen der Tante nicht im Vorbeigehen gerne alle Ehre angethan hätten, aber – sie hatten hier viel vornehme Gesellschaft: junge gräfliche Institutsfreundinnen auf einem benachbarten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 254. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_254.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)