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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Schloß und einen Kreis sehr junger, aber eleganter Verehrer, da konnte man sich doch nicht an einem Sonntagnachmittag auf den Balkon der Villa Käsmeyer den Blicken der Vorüberfahrenden und -reitenden aussetzen. Das ging einfach nicht. Sie hatten dies der Mama mit aller Entschiedenheit erklärt, und diese, die es längst aufgegeben, ihre frühreifen damenhaften Backfischchen mit mütterlicher Autorität meistern zu wollen, sie konnte gegen eine solche Unmöglichkeit selbstverständlich nicht aufkommen. So ließ sie eben dieses wie manches andere mit einem stillen Seufzer gehen, vor allem stets einzig bestrebt, ihres Mannes oft sehr mißmutige Stimmung über die riesenhaft wachsenden Ausgaben durch den Hinweis auf die gewiß sicher eintreffenden glänzenden Versorgungen der beiden zu verscheuchen. Aber immer gelang ihr dies nicht. –

Als sie beide gegangen waren und später die zurückgebliebenen Drei das vortrefflich zubereitete und mit österreichischer Zierlichkeit angerichtete Abendessen auf der Veranda einnahmen, da sagte Fräulein Panke, über den mondbeschienenen Garten hinsehend: „Meine lieben Freunde, ich habe eine Idee. Sie geht mir schon den ganzen Nachmittag im Kopf herum, ich muß sie aussprechen! Herr Volkhard hat recht, Sie sind beneidenswert. Aber wäre es nicht eine schöne Aufgabe, dieses Ihr Glück auf andere auszudehnen, die es mitgenießen könnten, ohne Sie zu schädigen? … Dieses Haus hat soviel Raum, Frau Toni ist eine so vortreffliche Hausfrau, wie wäre es, wenn Sie hier – eine Pension für Ausgewählte und Empfohlene einrichteten, die Ihnen eine angenehme Gesellschaft sein könnten, während sie selbst den herrlichen Aufenthalt hier genössen? … Ich darf, ohne mir zu schmeicheln, sagen, daß ich etwas zu dem litterarischen Charakter dieser Gesellschaft beitragen könnte. Und richtig geleitet, sind solche Unternehmen wahre Goldgruben!“

Aber weder die eine noch die andere dieser Lockungen verfing bei Lorenz Käsmeyer. Er lachte aus vollem Hals. „Nein, liebes Fräulein, da ist kein Gedanke daran. Als Gast sind Sie hier im Haus stets willkommen, aber Pensionärin können Sie bei uns nicht werden!“

„Schade, sehr schade!“ sagte die Schriftstellerin und neigte trauernd ihr großes Haupt. „So läßt uns das Leben doch immer einen Punkt des Ungenügens, wie erfreulich und genußvoll auch der Tag im übrigen sein möge!

An diesen Satz dachte Toni, nachdem die kühne Alpenfahrerin des andern Morgens glocknerwärts abgezogen war, im stillen zurück und in der Folge noch oft genug, denn auch sie spürte den bewußten Punkt auf dem Grund ihrer Seele, trotz Liebe und Glück, trotz Haus und Bubi: den nie verwundenen Namen Käsmeyer!

Dem ahnungslosen Lorenz verheimlichte sie es streng; aber sie konnte sich nicht helfen, dieser Klang fiel ihr stets neu auf die Nerven. Es war ja nicht viel, aber es war etwas, ein kleiner Wolkenschatten im Sonnenschein ihres Glückes.

Doch auch dieser sollte sich ein Jahr später, nachdem dem Stammhalter ein rundes Schwesterlein gefolgt war, aufs glänzendste aufhellen. Als Pate stand neben Frau Resi zum großen Stolz des Ehepaares ein gelehrtes Alpenvereinsmitglied aus Wien, dessen Hochachtung und Freundschaft sich Lorenz bei gefährlichen Steigereien im Gebiet der Dolomiten erworben hatte. Jener nun, welcher Namenskunde als zweites Steckenpferd neben seinem medizinischen Berufe betrieb, erklärte Frau Toni gelegentlich die gänzliche Verwerflichkeit der Schreibweise „Käsmeyer“. Kein Maier ziehe seinen Namen von den Käsen, welche er, wie alle andern Maier auch, verfertige, sondern von dem Ort, da sein Hof stehe. Dies sei nun ganz unzweifelhaft bei dem Stammvater ihres Gatten der Platz unterhalb eines „Kees“ oder Gletschers gewesen, folglich müßten sich seine Nachkommen von Gott- und Rechtswegen für ewige Zeiten nicht Käsmeyer, sondern „Keesmaier“ schreiben.

Daß Toni diese Heilsbotschaft mit Jubel begrüßte und voll Feuereifer die neue Rechtschreibung in ihren Briefen begann, ist nur selbstverständlich. Schwieriger hält des konservativen Lorenz Bekehrung, doch Toni verzweifelt nicht daran: sie hat schon viel mit ihm hingebracht, sie wird auch dies noch hinbringen! Seine Ausflüchte und Bedenken über notwendige Eingaben wegen Namensänderung sind rein lächerlich: wozu hat man Papier, als um darauf zu schreiben? An wen man schreibt, ist auch ganz einerlei, wenn es eine gute Sache gilt! Und daß diese Sache gut ist – darüber kann er heute schon, nach den zahlreichen, lebhaften und eindringlichen Vorträgen seiner kleinen Frau, nicht mehr im Zweifel sein. Ihre Haupthoffnung setzt diese nebenbei auf den Zustand des alten Firmenschildes in der Getreidegasse. Es zählt seine guten sechzig Jahre und ist ganz schauderhaft verwittert, geradezu eine Schande für das Geschäft. Ein neues wird in Bälde nötig sein, und wie dessen Inschrift dann lauten wird – das dürften die Leser dieser wahrhaftigen Geschichte schon heute ziemlich genau im voraus wissen.


Allerlei Mißhandlungen des Ohres.

Von Dr. Rudolf Haug.


Nicht von großen Verletzungen, wie sie bei Unglücksfällen, bei dem ungeheuren Maschinenbetriebe der Neuzeit so häufig vorkommen, auch nicht von den „Schmissen“, die sich unsere studierende Jugend auf der Mensur holt, oder sonstwie entstandenen Schnitt-, Stich-, Hieb- oder Quetschwunden des Ohres wollen wir reden, sondern die tagtäglich vorkommenden, oft von der Mode bedingten Verunglimpfungen des Ohrs, die vielen Mißbräuche und kleinen Mißhandlungen, unter denen unser Ohr zu leiden hat, sie wollen wir in das Bereich unserer Betrachtungen ziehen. Und mit Erstaunen wird da mancher Leser erst innewerden, welche Unsumme solcher Verletzungen es giebt, die Tag für Tag vorkommen und deren Folgen oft recht traurig für den Betroffenen sind.

Es ist eigentümlich, daß gerade das Ohr – wir haben zunächst das äußere, die Ohrmuschel, im Auge – wie kaum ein anderes Organ unseres Körpers den Launen der menschlichen Leidenschaften ausgesetzt ist. Die Eitelkeit sucht es zu verschönern, im Zorne wird es geschlagen, gebissen und zerrissen, die Liebe küßt es und grausame Rachsucht willkürlicher Despoten hat es in früheren Jahrhunderten einfach abgeschnitten, so kennzeichnet Magnus dies Schicksal. Im Spiele der Kinder wird es oftmals zu einem höchst unzweckmäßigen Versteckplatz gewählt und die Erwachsenen fügen ihm, oft aus übergroßem Reinlichkeitsdrange, oft aber auch absichtlich aus purem Unbedacht, allerlei Schaden zu. Laster und Tugenden versündigen sich gleichmäßig am Ohre. Ein gut Teil Schuld daran trägt die exponierte Lage des Ohres, obschon es dieserhalb keineswegs gerade häufiger mißhandelt zu werden brauchte als unser edles Geruchsorgan, der Gesichtsvorsprung der Nase, und doch ist es so.

Wollen wir nun zuerst einmal die Folgen der Eitelkeit am Ohre betrachten. Da haben wir den uralten Brauch der Ohrringe und Ohrgehänge, die unser Interesse wachrufen. Uralt ist derselbe, finden wir doch schon im 1. Buch Mosis seiner Erwähnung gethan; gleicherweise war er verbreitet bei den Völkern des Ostens und des Westens und durch das Mittelalter zieht er sich in breiter Spur bis in unsere Zeit. Hanptsächlich sind es die Frauen, die diesem Brauche huldigen, doch sehen wir, so auch zum Beispiel im bayerischen Gebirge, nicht selten kleine Ohrringe bei den stämmigen Burschen und älteren Männern, ganz abgesehen von der Unzahl beohrringter Kinder, auf die wir noch besonders zu sprechen kommen. Bei manchen Völkern Afrikas und Amerikas werden gewichtige Scheiben und Klötze als Ohrgehänge getragen. Ueberall und zu allen Zeiten war das Ohr ein Sklave der Mode.

Was soll mit dem Ohrgehänge bezweckt werden? Es soll das Ohr schmücken, verschönern. Aber ein jedes normale Ohr ist von der Natur so ausgestattet, daß es durchaus keiner künstlichen Verschönerung bedarf; jedes normal gebaute Ohr ist im allgemeinen schön, so daß es durch solchen Anhang geradezu verunziert wird, ja ein natürlich schönes Ohr wird durch die oft ziemlich gewichtigen Gehänge mit der Zeit sehr unschön, da die zarte Rundung des Läppchens leidet. Es hängt dann als breiter dünnhäutiger Lappen herunter, und nicht gar selten kommt es vor, daß infolge der Schwere der Gehänge das Läppchen allmählich durchschnitten wird, so daß dann zwei hahnenkammähnliche Fetzen die Stelle des einst so anmutigen Ohrendes einnehmen. Bei kleinen Ohrringen ist das allerdings nicht so leicht zu befürchten.

Und ein häßliches, mißbildetes Ohr, wird es schöner dadurch, daß wir es mit funkelnden Steinen zu schmücken suchen? Hand aufs Herz! es bleibt trotzdem häßlich. Und das Auge der Andern wird durch den Schmnck gerade auf seine Häßlichkeit gelenkt. Es

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 255. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_255.jpg&oldid=- (Version vom 16.7.2023)