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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

ist das bekannte Ohrschwämmchen. Aber, obschon demselben der oben gerügte Fehler abgeht, ist doch auch dieses nicht zu empfehlen. Das Schwämmchen hat den großen Uebelstand, daß es als hygroskopischer, d. h. Feuchtigkeit aufsaugender Körper sich mit den verschiedensten Bestandteilen, dem Inhalte des Ohres, dem Staube etc., imprägniert, und so häuft sich in ihm bei wiederholtem Gebrauch eine Unmasse von Schmiere an; eine Reinigung mit einem solchen Schwamme ist eine direkte Verunreinigung, und es wird die Möglichkeit für eine Infektion bei ihm in noch höherem Grade gegeben als beim Löffelchen. Dieser „Vermuffelung“ hat man durch Auswaschen in Seife, Alkohol etc. vorzubeugen gesucht, allein wenn dieses nicht nach jedem Gebrauch des Schwämmchens sehr sorgfältig wiederholt wird, ist der an und für sich schon ziemlich zweifelhafte Nutzen völlig hinfällig; dazu haben aber wohl die wenigsten Lust und Ausdauer genug. Hier und da kommt es dann auch vor, daß ein nicht mehr gut befestigtes Schwämmchen beim Gebrauch sich ablöst und als Fremdkörper im Gehörgange stecken bleibt. Also auch das Schwämmchen entspricht den gerechten Anforderungen der Hygieine nicht.

„Aber womit soll ich mir dann das Ohr reinigen, wenn alles nichts taugt?“

Doch! Es giebt ein einfaches Mittel dafür: völlig entfettete Watte, die sogeannte chirurgische Verbandswatte (Bruns’sche Watte). Sie schnitzeln sich ein kleines dünnes Holzstäbchen, kerben es an dem einen Ende mit einigen kleinen Einschnitten ein und wickeln nun ein Flöckchen Watte, gerade groß genug für den Gehörgang, um das eingekerbte Ende des Hölzchens in der Weise, daß Sie die Watte locker festhalten und das Stäbchen immer in der gleichen Richtung von links nach rechts drehen, dadurch wickelt sich die Watte sehr fest um das Holz, so daß ein Abrutschen nicht zu befürchten ist, und mit dem pinselförmig aufgebrachten weichen und angenehmen Ende können Sie jetzt bequem genug ohne jede Furcht den Gehörgang bearbeiten. Haben Sie es ausgebraucht, so ziehen Sie das Wattebäuschchen ab und heben das Hölzchen auf, um es beim nächsten Gebrauch wieder so herzurichten. Ein einmal gebrauchtes Bäuschchen darf nie zum zweitenmal Verwendung finden; es muß zerstört, am besten verbrannt werden.

Das ist die einzige Methode, die allen hygieinischen Anforderungen entspricht und deren Durchführung weder die Gefahr einer Verletzung noch einer Infektion in sich birgt.

Es giebt eigene Watteträger hierfür, jedoch kommt man mit dem einfachen billigen Hölzchen eben so gut oder noch besser zurecht. Erweist sich das Ohrenschmalz als sehr zäh, so ist es nicht unvorteilhaft, das Wattebäuschchen vor dem Gebrauche in eine Lösung von Alkohol und Wasser zu gleichen Teilen einzutauchen, weil dadurch dann die zähe Aussonderung leichter zur Lösung gelangt.

Jetzt hätte ich noch ein großes Anliegen, und das möchte ich besonders den Müttern unserer lieben Kleinen ans Herz legen. Wie oft kommt es vor, daß einer der kleinen Sprößlinge ins Zimmer stürzt mit dem Rufe: „Mama, Mama, die Schwester (der Bruder) hat sich einen Kirschkern ins Ohr gesteckt.“ Alles Mögliche bringen ja die Kinder beim Spielen ins Ohr hinein, Bohnen, Linsen, Erbsen, Johannisbrotkerne, Schrotkörner, Bleistiftköpfe, Papierkügelchen, sogenannte Palmkätzchen, Glasperlen und, Gott weiß, was noch mehr. Da heißt es nun vor allem, ruhig Blut behalten, den Kopf nicht verlieren und zunächst einmal das Kleine beruhigen; halten Sie den Gedanken fest: wie der Fremdkörper ins Ohr hineingekommen ist, so wird er auch wohl wieder herauskommen.

Vor allem sollte man, auch wenn der Fremdkörper noch so verführerisch einladend am Eingange des Gehörganges herauslugt, niemals versuchen, des Körpers habhaft zu werden mit Haarnadeln, Häkelnadeln oder gar mit einer unglücklicherweise im Haushalte vorhandenen Pincette. Mit beinahe unfehlbarer Sicherheit wird der Fremdkörper nicht nur nicht herausgebracht, sondern nur viel tiefer hineingestoßen, und dabei werden noch bei der immer vorhandenen Unruhe der Kinder Verletzungen hervorgebracht.

Gehen Sie, ohne nur ein bißchen an dem Dinge gerührt zu haben, zu Ihrem Arzte; er wird dann entscheiden, ob er, wenn er sich heimisch genug in diesem Gebiete weiß, selbst die Entfernung vornehmen kann oder ob diese von einem Ohrenarzte gemacht werden muß.

Der Fremdkörper an und für sich wird wohl kaum jemals einen Schaden anrichten, selbst wenn er im Ohre bliebe. Wissen wir doch, daß die allerverschiedensten Fremdkörper jahre- und jahrzehntelang sich im Ohre befunden haben, ohne es irgendwie zu beeinträchtigen, höchstes, daß sich mit der Zeit ein Ohrenschmalzüberzug um sie herum bildete. So habe ich Palmkätzchen nach 7jährigem Verweilen, Glasperlen nach 25jährigem Aufenthalt im Ohre entfernt, ohne daß die Leute eine Ahnung davon hatten, daß sie sich überhaupt je etwas ins Ohr gesteckt hatten, und derlei Beispiele giebt es noch sehr, sehr viele. Wohl aber sind es die unglücklichen und verunglückten Entfernungsversuche von seiten Unberufener, die mit Instrumenten aller Art im Finstern hantierend schon manches jugendliche Ohr zerstört, seinen Besitzer der Taubheit, Taubstummheit oder dem Tode zugeführt haben.

Ehe ich zum Schlusse meines heutigen Kapitels komme, möchte ich noch einen weiteren verhängnisvollen Unfug und seine Folgen besprechen.

Das Zahnweh ist ein schlimmer Gast, aber ehe man möglichst bald zum richtigen Schmied, zum Zahnarzt geht, dessen Kunst in Bälde die Ursache des tobenden Schmerzes beseitigen kann, wird meist eine große Reihe von Hausmittelchen probiert, die doch alle die Ursache des Schmerzes nicht beheben können. Da weiß eine alte weise Dame, daß es vorzüglich wirkt, wenn man sich Knoblauch ins Ohr steckt, den kriegt man dann nicht mehr heraus und nun muß der Arzt außerdem den Knoblauch herausziehen und die durch ihn jetzt entstandene Entzündung bekämpfen. Ein anderer verbrennt sich den ganzen Gehörgang, indem er, den rasenden Schmerz zu dämpfen, Chloroform oder Aether ins Ohr hineingießt: starke Rötung des Gehörganges und schmerzhafte Entzündung des Trommelfells sind die prompte Antwort auf den Angriff. Auch der sogenannte „Painexpeller“ spielt eine nicht zu unterschätzende Rolle in diesen wegen Zahnwehs willkürlich hervorgebrachten Schädigungen des Ohres.

Dann wegen des Ohrenschmerzes, des Ohrenzwanges selbst, wie viel Unzweckmäßiges wird da nicht vorgenommen! Wollten die Leute bloß das verhältnismäßig harmlose Mandelöl nehmen, so wäre dies wenigstens nicht geradezu schädlich, statt dessen aber wird Milch in das Ohr geschüttet oder in Milch gekochte Reiskörner oder Rosinen, ein andermal auch Feigenstückchen hineingebracht, um „das Geschwür rasch zu zeitigen“, auch ein Stück rohes Fleisch habe ich einmal im Ohre gefunden. Alle diese Substanzen sind, ganz abgesehen davon, daß sie ihren Zweck, den Schmerz zu stillen, doch verfehlen, infolge ihrer leichten Zersetzbarkeit geeignet, die höchstgradigen Reizerscheinungen hervorzurufen; sie wirken direkt als Infektionsherde. Daß das Eingießen von Schnaps und Kölnischem Wasser gerade so wirken wird wie die beim Zahnweh berührten Mittel, dürfte sich von selbst verstehen. Auch Ohrbähungen werden nicht selten wegen des Ohrenschmerzes sowohl als auch wegen Schwerhörigkeit in Anwendung gezogen. Da werden durch einen Trichter die Dämpfe siedenden Wassers ins Ohr eingelassen oder der Unglückliche läßt sich, wie das auch in manchen Gegenden ortsüblich ist, gekochte Kartoffeln auflegen, so heiß als er sie ertragen kann. Die Folge dieser Eingriffe ist eine gründliche Verbrühung des Ohres, es bilden sich Brandblasen, später stellt sich eine oft sehr langwierige Eiterung mit Zerstörung des Trommelfells ein und schließlich kann der Gehörgang auch infolge der Narbenbildung hochgradig verengt werden, ja völlig zuwachsen.

Zum Schlusse möchte ich noch einen Punkt kurz berühren. In so ziemlich allen civilisierten Ländern ist die Militärdienstpflicht eingeführt, leider fehlt es überall nicht an solchen, die aus diesem oder jenem Grunde sich um den Dienst zu drücken versuchen. Unter den viele Simulationen, die im Schwange sind, um bei der Gestellung den Militärarzt zu hintergehen, giebt es gar manchen Unfug, der mit dem Ohre getrieben wird. Manche scheuen sich nicht, sich den schmerzhaftesten, gefährlichsten Selbstmißhandlungen zu unterwerfen zur Erreichung ihres Zieles. Der eine legt ein Spanischfliegenpflaster in den Gehörgang, das zieht Blasen und bewirkt eine oberflächliche Eiterung, ein Blick ins Mikroskop läßt uns sofort die Reste der Flügeldecke der spanischen Fliege (Lytta vesicatoria) erkennen. Ein anderer verätzt sich mit Schwefelsäure oder Salzsäure absichtlich den Gehörgang! Der so sich selbst Mißhandelnde zieht sich allerdings eine sehr thatsächliche, aber auch sehr folgenschwere Entzündung des ganzen Ohres zu, deren Ursache keinem Militärarzte verborgen bleibt, dem „Drückeberger“ aber leicht als kleine Dreingabe Gehör und Leben kosten kann.




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 259. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_259.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)