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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

that es jedes Jahr. Und dann nahm sie auch den Kometen mit, den Hubert als sein Werk wiedererkannt hatte. Sie befestigte ihn über ihrem Bette, am Rahmen des Bildes der Mutter, das dort hing.

Die Weihnachtsglocken klangen. Bei ihrem Schalle schlief sie ein und träumte, sie stünde wieder vor dem Christbaum und müßte ihn aufputzen. Sie suchte den goldenen Stern und konnte ihn gar nicht mehr finden, denn sie erinnerte sich nicht, daß sie ihn in ihr Zimmer genommen. So mußte sie fortgehen, ihn zu suchen; eine Angst kam über sie, und sie erwachte davon. Im Halbschlaf sagte sie sich, daß es ungeschickt war, den Stern heraufzunehmen – er hat so viele Jahre bei den andern Sachen gelegen. Aber der Schlaf verscheuchte die Gedanken. –

Sie wollte mit Gewalt alles aus sich verdrängen, was in der letzten Zeit an Wünschen und Erwartungen, an Träumen ohne sichere Umrisse von ihr Besitz ergriffen hatte, als ob sie in diese letzten Tage des scheidenden Jahres mit allem Aufgebot ihres Willens wieder den frohen Geist hineinbeschwören möchte, den sie sonst gekannt, und der ihr verloren gehen wollte, sie wußte nicht weshalb. Sie wollte sich hineinzwingen in harmlose Unbefangenheit, um die Stimme nicht zu hören, die jetzt in ihr tönte.

In manchen Augenblicken konnte sie sich selbst betrachten wie etwas Fremdes und beinahe sorglos lächeln.

„Ist es eine Krankheit, die wir Mädchen alle durchmachen müssen? – Der arme Hubert! Was kann er denn dafür? Er hat mich immer gern gehabt, von Kindheit an, der gute alte Kamerad. Wenn er mich einmal will zu seiner Försterin, dann wird er kommen und mir’s sagen!“

Dann wird er kommen!

Und ihr Herz klammerte sich doch wieder an das Wort, es allein blieb übrig von ihrer Betrachtung und wiederholte sich hundertmal und wies immer nur auf das eine, wie auf das einzige Ziel in der rollenden Zeit.

Am Sylvestertag war sie guter Dinge, scherzte und lachte. Sie las dem Vater zweimal den guten lustigen Brief vor, den Bruder Franz geschrieben hatte. Sie schwatzte ihm lauter lustige Dinge vor und freute sich auf den Abend.

„Vater, heute müssen wir recht heiter sein, wenn Hubert kommt. Ich will Euch einen famosen Punsch brauen, das sollst Du sehen! Und wenn Du auch nicht mitwillst, so müssen wir nach dem Abendessen doch auf einen Sprung zu Meiers; Gusti hat so darum gebeten. Wir bleiben aber nicht lange aus. Und dann erwarten wir hier das neue Jahr, wie wir’s sonst immer gethan. Wie es warm und gemütlich sein wird! Wenn Hubert nur einmal recht pünktlich ist! Heute darf mir nichts verkochen und verbraten.“

Aber Hubert war pünktlich, und sie saßen gut gelaunt beisammen um den kleinen Tisch. Im Ofen knackte und puffte das Holz mit lustigem Eifer, und oben zischten wieder ein paar Aepfel, weil der Vater sie so gerne mochte.

„Wenn alle Jäger so friedlich beim Ofen sitzen,“ sagte Hubert, „dann haben es die Kerle gut, die uns draußen Holz stehlen und in die Gehege gehen. Was uns das Volk für Plackereien macht!“

„Ist’s so arg jetzt?“ fragte der Vater.

„Ja, da ist besonders einer – aber wir können ihn gar nicht erwischen. Ich laure schon so, daß mich der Förster auslacht. Eine rechte Bande!“

„Weil sie keinen Heller in der Tasche haben und zu Hause frieren!“ meinte Käthe. „Heut’ wo wir’s hier gemütlich haben, sollst Du nicht an Euren Jägergroll denken.“

„Ja, ja! Aber ewig herumbalgen muß man sich doch deshalb. Du hast aber recht, Käthel, heute abend wollen wir lustig sein.“

„Geht dann nicht zu spät hinüber,“ sagte der Vater, „daß wir noch ruhig beisammensitzen können im alten Jahr und gemeinsam das neue erwarten.“

„Bei Meiers soll’s ja flott zugehen! Das Lehrerpaar ist wohl drüben und der Doktor mit seiner besseren Hälfte.“

„Wie es stürmt!“ sagte Käthe.

„Gieb nur acht, daß Du mir dann nicht fortgeblasen wirst!“ lachte Hubert.

„Ja, Du möchtest mich so leicht nicht wiederfinden. Es schneit noch immer.“

„Was wird Franz machen?“ fragte der Vater.

„Er sitzt auch wo in einer warmen Ecke und denkt hierher,“ entgegnete Hubert.

„Wie viele Jahre schon saßen wir immer so beisammen!“

„Aber immer um eins weniger,“ sagte der Vater.

Käthe stand auf und küßte ihn auf die Stirn und der Alte machte einen Scherz, als ob er nichts gemeint hätte.

Endlich nahm Käthe ihr großes Wolltuch um, Hubert seinen Wettermantel, und sich an den Händen haltend, liefen sie über den Markt hinüber. Der Wind pfiff und schlug ihnen die eisigen Flocken schneidend ins Gesicht. Sie lachten aber und waren in einem Augenblick drüben.

Die ganze Gesellschaft saß unten in der Eßstube. Man hörte schon auf dem Flur ihr lautes Sprechen und das derbe Lachen des Hausherrn.

Herr Meier war galant. Er saß neben der Lehrersfrau und erwies ihr kleine Aufmerksamkeiten. Hatte sie sich ein Stück zugelegt, so spießte er es von ihrem Teller fort und sagte: „Pardon, Pardon, schöne Nachbarin, aber ich muß darauf sehen, daß Sie ’was Besseres bekommen!“ Und bei jeder Speise erzählte er, auf welche Art zubereitet sie ihm am besten schmecke. Er sprach laut und viel, nur wenn er sich von einem Hühnerbein nicht trennen konnte, schwieg er. Dann hatte er den Kopf ein wenig vorgeneigt, und man hörte seine starken Kiefer arbeiten. Schon gleich nach dem Abendessen war der Punsch gebracht worden, und als Käthe und Hubert kamen, war Herrn Meiers Gesicht schon ganz rot und glänzend vor Vergnügen.

„Wissen Sie?“ sagte er zu Hubert, „jetzt werde ich Ihnen eine Cigarre geben, so eine haben Sie noch gar nicht geraucht!“

„Also aufgepaßt, Jägersmann!“ rief der Doktor vom Ende des Tisches herüber und zwinkerte mit seinen possierlichen Augen.

Ueber dem Tische, auf dem zwei Lampen standen, hing schon eine Wolke von Tabaksrauch und aus einer großen Terrine stieg der Dampf von dem heißen Punsch auf und vermischte sich damit. Gusti hatte für Käthe und Hubert links und rechts von sich Stühle herbeigerückt und war voll sprudelnder Laune.

„Wir müssen heute ein Vielliebchen mitsammen essen,“ rief sie und hielt Hubert mit ihrer kleinen rosigen Hand eine Krachmandel entgegen. Er griff danach, aber sie ging schwer entzwei, und sie mußten sich eine ganze Weile beide daran bemühen.

„Uff!“ sagte Gusti aufatmend. „Das war eine Arbeit, Käthe! Er hat mir dabei fast die Finger zerquetscht.“

Sie machte aber ein heiteres Gesicht und blitzte mit ihren Augen immer lachend zu ihm hinüber, so von der Seite, als ob sie ein übermütiges Wort auf den Lippen hätte. Sie plauderten und lachten, die Drei unter sich, und Gusti riß mit ihren spaßigen Geschichten Käthe mit fort, so daß auch diese beinnahe mutwillig wurde.

„Meinem Punsch müssen Sie ordentlich zusprechen,“ rief Herr Meier. „Ja, Kinder, da ist ein ganz besonderer Rum dabei! Da kosten ein paar Flaschen so viel wie ein paar Faß Bier, wissen Sie!“

Nach einiger Zeit glaubte er, er müßte seinen Gästen einen Trinkspruch sagen.

Er klopfte also laut an seinn Glas und sah mit einem Blick, der fast etwas Herausforderndes und Tadelndes hatte, im Kreise herum, bis alle schwiegen.

„Ich werde Ihnen was sagen,“ begann er dann.

„Hört! Hört!“ rief der Lehrer leise dazwischen und sah so angelegentlich nach Herrn Meiers Mund, als ob nun gleich die Weisheit selbst davon herunterfließen sollte.

„Der Sylvesterabend,“ sagte Herr Meier, „ist eine ganz prächtige Einrichtung. Seh’n Sie, ich genieß’ ihn immer sehr. Ein Jahr ist wieder abgetreten. Aber was macht denn das? – Wenn es schlecht war, seien wir froh, daß es fertig ist“ – hier stach er mit der Gabel, die er noch immer in der Hand hielt, ins Tischtuch, als ob es ein schlechtes Jahr wäre, dem er den Garaus machen möchte – „und wenn es gut war, kommt ein noch besseres nach. Ich kann Ihnen sagen, daß ich aus langer Erfahrung spreche. – Seh’n Sie, meine Herrschaften, ich habe mir das so eingerichtet, daß ich meine Jahresbilanz immer ein paar Tage vor Sylvester mache. Warum? werden Sie natürlich fragen. – Nun, deshalb, damit ich meiner Sache sicher bin, und damit ich nicht vielleicht nach einem lustigen Sylvesterabend einen moralischen Katzenjammer zu haben brauche.“

„Sehr gut!“ sagte der Lehrer halblaut und blickte nachdenklich auf seinen leeren Teller.

„Und damit ich weiß,“ fuhr Herr Meier fort, „daß ich es

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 304. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_304.jpg&oldid=- (Version vom 4.11.2022)