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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

in ihren kleinen Kreis. Etwas, das namenlos war, aber doch dastand, und wovon manchmal ein Schatten über sie fiel.

Wenn Käthe allein war mit dem Vater und Hubert, schien sie die Alte; aber der alte heitere Ton war es nicht, wenn Gusti hinzukam, und dann hatte Hubert das Gefühl, als stocke irgend etwas und als trete ein Ernst in ihr Gesicht, den sie früher nicht gekannt. Sie konnten zuweilen beinahe schweigsam werden.

Aber keines fühlte es so wie Käthe, und keines kannte wie sie die Sehnsucht nach dem alten Frieden, denn ihr nagte ein Vorwurf und ein Tadel immer still am Herzen und bleichte ihre Wangen, als ob sie selbst die Schuld an dem Wechsel trüge.




5.

Die Wochen verrannen.

Der alte Kirschbaum draußen stand da wie ein riesengroßer Blütenstrauß, wie angethan mit einem weißen Festkleide. Und wenn die Mailuft durch die Aeste wehte, dann schauerten die weißen Blättchen herab, daß darunter der Tisch und die Bank davon bedeckt wurden, und der ganze Weg war bestreut mit Blüten.

Auf der Bank saßen die beiden Mädchen, arbeitend und plaudernd.

„Was bringst Du für ein hübsches Sträußchen mit!“ rief Käthe Hubert entgegen, der den Weg heraufkam.

„Gelt? – Sieh’s ’mal an,“ und er reichte es ihr hin.

Es waren die ersten Gentianen, Primeln und Leberblümchen. Ein paar zarte Farnblätter waren dabei, und ein Tannenreislein.

„Wer es wohl bekommen soll?“ fragte Käthe.

„Wart’,“ lachte Gusti. „Wir wollen uns darum bemühen! Die Wahl muß ihm ja schwer werden.“

Er drehte das Sträußchen lachend in der Hand.

„Ihr macht mir’s wirklich sauer!“

„Er hat recht,“ sagte Käthe nach einer Weile, und fast als ob ihr der Scherz zu lang währte, setzte sie hinzu „Wir müssen ihm doch freie Wahl lassen, wenn ich am Ende dabei auch den kürzeren ziehe. Du bist so geschickt, Gusti!“

Sie ging nach einiger Zeit ins Haus, um ein Garn zu holen, das sie zu ihrer Arbeit brauchte, und als sie zurückkam, hatte Gusti das Sträußchen vorne an die Brust gesteckt.

Käthe schlug die Augen nieder, als wollte sie ihre Gedanken verbergen. „O Gusti!“ sagte sie so unbefangen sie konnte, „Du hast ihm gewiß keine Ruhe gelassen!“

Die andere lachte fröhlich. „Nein, nein! – Es war seine freie Wahl!“

Käthe aber musterte ihre Arbeit und die Farben flimmerten vor ihren Blicken.

Die Sperlinge jagten sich und schwätzten oben in dem alten Baume.

„Welch ein Geschrei sie machen!“ sagte Gusti.

„Das müssen die Männchen sein,“ meinte Hubert. „Es sind ja ganz rauhe Stimmen.“

„O!“ rief Gusti. „Wenn sie kein anderes Liebeslied zu singen wissen.“ – –

Und Käthe begann das Elend, das auf ihrem Herzen lastete, wie eine Prüfung zu tragen, die ihr Gott beschieden und vor der sie sich beugen mußte. Alles war doch noch nicht entschwunden. Sie kannte noch die stille Freude, ihn zu erwarten, wenn er kommen sollte; sie fand noch oft den alten glücklichen Ton, wenn er dasaß und mit ihr und dem Vater plauderte.

Ab und zu sprach er im Vorübergehen drüben bei Meiers vor. Käthe sah ihn öfter, wie er aus dem Hause trat und über den Platz herüberkam. Dann pflegte er von seinem Besuche zu erzählen, und man sprach über dies und jenes, das darauf Bezug hatte.

Später aber kam er manchmal von drüben und erwähnte nichts mehr davon. Und einmal sah ihn Käthe das Haus verlassen und über den Markt hinab fortgehen. Das erste Mal gab sie nichts darauf. Aber dann wurde es öfter so.

Meiers Gusti lag dem jungen Jägersmann im Sinn. Sie hatte es ihm angethan mit ihren helleu Augen, mit ihrem blonden Kopfe, mit ihrem ganzen fröhlichen Wesen. Ihre zierliche, etwas untersetzte Gestalt stand ihm fortwährend vor Augen, sogar auf seinen einsamen Wegen über das Moor, im Forst. Und wenn die Lerchen sich trillernd erhoben gegen den blauen Sommerhimmel, dachte er an ihren Gesang und summte selber vergnüglich ein Liedchen.

Bald kam er vorwärts in seinen Gedanken. Er dachte an sein Amt, an seine Beförderung, an die Möglichkeit eines künftigen Hausstandes, und daß dann das bisherige Leben sich verändern würde – wie es sich ändern wird!

Daran blieben seine Gedanken zuweilen haften.

Eigentlich hätte er Käthe am liebsten haarklein erzählt, wie es um ihn stand. Er dachte es sich selig, ihr so davon sprechen zu können, und er hatte es mehr als einmal vor, auf dem ganzen Wege. Wenn er aber unter die Hausthüre trat, ließ er die Absicht fallen, es war etwas in ihr Wesen gekommen, das ihn schweigend davon zurückhielt. Sie war so sonderbar ernst und still geworden, und bei ihr wollte ihm die Anknüpfung an alles, was er dachte und erwog, verloren gehen. So fühlte er mehr als einmal, wenn er aus Meiers Haus trat und Käthe am Fenster erblickte. Und einmal gedachte er auch seiner ersten knabenhaften Neigung, die ganz weit zurücklag und seine Brüderlichkeit zu ihr einen Augenblick bedroht hatte, damals, als Käthe angefangen hatte, sich um seine kleinen persönlichen Angelegenheiten in mädchenhafter Sorglichkeit zu kümmern, und er sie seine „Frau Försterin“ genannt hatte; als sie um die losen Knöpfe an seinem Rock sorgte und seine verschlissenen Halstücher wieder in stand setzte, wie sie es treulich immer gethan bis hierher.

Aber sein Herz war anderswo gebunden und alles übrige verbleichte in der einen Empfindung, die vergeßlich macht und kalt auch gegen das, was eine lange Lebensstrecke ausgefüllt hat.

Er kam eines Tages wieder, gerade als die Mittagsglocken ausgeklungen. Es war ein heißer Sommertag. Die Mücken tanzten in der Luft über den Beeten und kein Blättchen regte sich an den Zweigen.

Käthe saß draußen unter dem Kirschbaum und wollte eben die Aepfel, die sie geschält, in das Körbchen vor sich zusammennehmen.

„Hör’, Käthel,“ sagte Hubert, nachdem er sich zu ihr auf die Bank gesetzt hatte. „Ich muß Dir heule ’was Ernstes sagen!“

„Ernstes?“ – Sie sah ihm in die Augen und merkte wohl, daß eine zurückgehaltene Erregung darin lag. Ein lebhafter Glanz, wie von freudiger Unruhe, schimmerte in ihnen und seine Wangen waren gerötet. Ihr aber war plötzlich, als legte sich der schwüle Mittag unmittelbar auf ihr Herz.

Einen kurzen Augenblick war’s, als griffe eine unsichtbare Hand in sein Wort, und er zögerte.

„Ich muß Dir doch etwas sagen – von mir!“ sprach er dann. „Weißt Du, Käthel, ich habe mich verlobt!“

Ihre Arme sanken unwillkürlich etwas zurück, mit den Ellbogen an die schlanken Hüften. Es schoß ihr heiß in die Augen wie hervorbrechende Thränen. Sie sah ihn stumm an und ihre feinen Lippen zuckten in jähem Schmerz.

Er schlug die Augen bestürzt nieder vor einer Erkenntnis, die wie ein greller Schein über sein Herz flog.

Und sie schwiegen beide, als forderte eine heilige Stimme in ihrer Brust, daß ihre Lippen stumm verharrten vor dem ungesprochenen Wort. –

Mechanisch zupfte Hubert an den Hirschhornknöpfen seines Rockes und starrte auf den Kies hinab, den er mit der Fußspitze langsam hin und widerstrich.

Und leise sagte er endlich: „Ich weiß jetzt, was Du mir gabst, Käthel. – Wenn ich Dir aber nicht das Gleiche geben kann?“

Die Worte wurden ihm schwer, wie etwas Unnatürliches, dagegen sich ihr Schweigen sträubte, bis es über ihn kam, als müßte er ihr sagen, wie sein Gedächtnis alles Liebe und Gemeinsame treu bewahre. Seine Gedanken flogen zurück in die vergangenen Jahre. Da und dort an den Schätzen ihrer armen schlichten Jugendzeit blieben sie haften, wie der Schmetterling wieder einmal zurückfliegt auf die Blumen, aus denen er süßen Seim geküßt.

„Du warst mir immer teuer,“ sagte er. „Ich hab’ Dich ja geliebt von Kindheit auf, wie ein Bruder die Schwester. – Weißt Du noch – als Franz und ich so wilde Jungen waren und Du ein scheues Ding in kurzem Röckchen? Als wir zusammen Kirschen pflückten und so wenige davon in das Körbchen kamen, weil wir so viel gegessen! Du standest unter dem Baum und warst so gewissenhaft und so hilflos gegen uns . . . ich werde nichts vergessen können – und die Zeit, da wir Dein Gärtchen drüben pflegen mußten, im Tagelohn für die Aepfel – und als wir Krieg spielten und Du die Marketenderin warst. – Du warst immer die treue Schwester! – Auch als ich mich mit dem Beil in die Hand schlug und Du mich verbandest und mich pflegtest, da, auf der Bank –“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 320. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_320.jpg&oldid=- (Version vom 4.12.2020)