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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

bewohnten Landstriche. In seinen „Erinnerungen“ bricht der Dichter eine Lanze für die Reize dieser Gegenden. Freytags Großvater war Geistlicher, sein Vater Arzt und später Bürgermeister von Kreuzburg; seine Mutter stammte aus einem ländlichen Pfarrhause. In seinen Romanen ist Freytag selten Kindermaler; aber in seinen Erinnerungen wetteifert er mit Oscar Pletsch, indem er uns allerliebste Genrescenen aus seiner Kindheit vorführt. Da schildert er uns den ersten großen Schmerz seines Lebens, als ein aus dem Neste gefallenes Sperlingskind, das seine Mutter künstlich mit Erfolg aufgepäppelt hatte, sein lieber Spielgefährte, plötzlich von des Nachbars Katze gemeuchelt wurde; er schildert uns, wie die Kinder das Waldmoos aus dem Stadtwalde holten für den Teppich, in welchen zur Weihnachtszeit die ausgeschnittenen Figuren der heiligen Familie gesteckt wurden. „Die meisten Kinderspiele,“ erzählt er, „wurden von uns geübt; der Drache flog, der ‚Mönch‘ brummte, die Bleisoldaten marschierten auf dem Fußboden, und was die Händler, welche ‚Spilleleute‘ hießen, von geschnitzter Holzware an den Jahrmärkten ausstellten, wurde so lange sehnsüchtig betrachtet, bis wir davon heimtragen konnten.“

Das Gymnasium in Oels, welches Freytag dann besuchte, bildete in ihm einen tüchtigen Lateiner und Griechen heran; die Lehrer sahen in ihm einen künftigen Philologen; aber als er die Universität bezog, wandte er sich dem Studium der deutschen Sprach- und Altertumskunde zu. In einem Kollegium über Handschriftenkunde war er der einzige Schüler Hoffmanns von Fallersleben, der ihm hierin tüchtige Kenntnisse beibrachte, ihm aber auch daneben seine neuesten lyrischen Gedichte vorlas. Im Jahre 1836 setzte er seine Studien in Berlin fort, wo er sich mit einer Abhandlung über die Anfänge der dramatischen Poesie der Deutschen den Doktorhut erwarb.

Wir finden ihn dann wieder als Privatdocenten in Breslau; er war schon 23 Jahre alt und hatte noch nicht seiner Militärpflicht genügt. Dabei begegneten ihm mehrere Unannehmlichkeiten. Der Oberstlieutenant des elften Regiments gewährte ihm noch einen halbjährigen Aufschub bis zum Herbst. Inzwischen war eine Verordnung erschienen, die alle aus seinem Geburtsjahr, welche ihrer Militärpflicht noch nicht genügt hatten, dringend aufforderte, sich bei der Polizei zu melden. Auch Freytag meldete sich und erhielt einige Wochen darauf den Befehl, sich bei der Ersatzkommission zu stellen. Ein alter mißvergnügter General behandelte ihn als säumigen Kantonisten und erklärte, daß er sein Recht auf einjährigen Dienst verloren habe, der Arzt habe ihn zu untersuchen. Ich war,“ wie Freytag selbst erzählt, „schnell aufgeschossen, damals schmal und kränklich, also versuchsweise einzustellen. Die Stiefeln aus, unter das Maß; die Fahne wurde herumgetragen und ich als Gemeiner für drei Jahre in Eid und Pflicht genommen.“ Als indes der Termin kam, wo er sich zum Eintritt in Breslau stellen sollte, lag er erkrankt danieder. Der Vater zeigte dies der Ersatzkommission an und legte für die Verhinderung ein Zeugnis des Kreisphysikus bei; doch umgehend erging der Bescheid an den Landrat, der Rekrut solle per Schub zum Regiment gebracht werden. Das war verzweifelt gesetzlich, wie Freytag später es nannte; er wurde einige Tage darauf eingepackt und nach Breslau gebracht, wo er zunächst vom Regimentsarzt behandelt wurde, bis er wieder für dienstfähig erklärt werden konnte; er wurde auf dem Bürgerwerder mit zwei andern ebenfalls zurückgebliebenen Rekruten gedrillt. Bald traf dann von Berlin die Ordre ein, welche die Schnur auf den Achselklappen bewilligte. Er nahm auch seine akademischen Vorlesungen wieder auf und bestieg zuweilen, wenn er aus der Kaserne kam, das Katheder in der Kommisjacke, was bei ernsten Professoren Anstoß erregte. Doch beim Exerzieren im leichten Anzuge erkältete er sich und verfiel in ein hitziges Nervenfieber. Einige Zeit blieb er als Revierkranker in seiner Wohnung, bis er als Armeereservist entlassen wurde.

Diese kurze militärische Laufbahn bewies, daß die kriegerischen Lorbeeren für ihn nicht gewachsen waren; aber auch mit den dichterischen sah es anfangs mißlich aus. Wenigstens die Sammlung seiner Gedichte, die damals unter dem Titel „In Breslau“ erschien, erweckte geringe Hoffnungen. Freytag selbst bekennt, daß er kein lyrischer Dichter sei; aber auch die größeren lyrisch-epischen Gedichte fanden nur wenig Anklang. Von Sturm und Drang, von innerer Gährung war darin nie die Rede, wie dies ja dem Charakter und der Entwicklung des Dichters gänzlich fern lag; obwohl Redakteur des studentischen Musenalmanachs und ein Vorsteher im akademischen Klub, hatte Freytag, wie sich alle erinnern werden, die damals die Universität besuchten, sehr viele Gegner. Diese Gegnerschaft hing damit zusammen, daß man ihm in gewissen akademischen Kreisen den engeren Anschluß an einzelne bevorzugte Kreise der Breslauer Handelswelt verdachte. Seine Bekanntschaft mit dem angesehenen Kaufmann Molinari, dessen Haus und Geschäft er einige Motive für „Soll und Haben“ entlehnte, brachte es mit sich, daß er in diesen Kreisen bald der Hahn im Korbe wurde, für die geselligen Vergnügungen des Börsenkränzchens sorgte sowie für die Unterhaltung anderer großer kaufmännischer Klubs, wo er allerlei Lustiges, zuletzt ein großes Maskenfest, einrichtete.

Inzwischen hatte aber Freytag auf anderem Gebiete einen Erfolg davongetragen, der seine Gegner nachdenklich machen mußte: er hatte auf Grund geschichtlicher Studien ein Lustspiel geschrieben, „Die Brautfahrt“, dessen Inhalt die Werbung des Erzherzogs Maximilian um Maria von Burgund war und in welchem der Hofnarr Kunz von der Rosen eine wichtige Rolle spielte. Da wurde gerade von der Hofintendanz von Berlin ein Preis für das beste Lustspiel höheren Stils ausgeschrieben; der Dichter sandte sein Manuskript ein und sein Lustspiel erhielt mit drei andern zusammen 1842 den Preis. Das Berliner Hoftheater selbst brachte indes das Stück nicht zur Aufführung, eine Thatsache, die noch mehr befremden müßte, wenn sie sich nicht später nach Verteilung des Berliner Schillerpreises mehrfach wiederholt hätte. Etwa zwölf andere Bühnen gaben das Stück. Der Dichter wohnte der Breslauer Vorstellung bei; er berichtet darüber: „Bei der ersten Aufführung war ich selig; ich saß wie verzückt und ertappte mich darüber, daß ich fortwährend die Lippen bewegte und die Worte der Schauspieler leise mitsprach. Es störte mich auch gar nicht und ich war beim Schluß nur etwas verwundert, daß das Publikum meine Begeisterung nicht recht teilen wollte und dem jungen Verfasser nur ein mäßiges Wohlwollen gönnte.“

Bei späterem Nachdenken fand er die Fehler heraus, welche den Erfolg beeinträchtigt hatten. Ein Hauptübelstand waren die häufigen Verwandlungen, aber auch die Vorliebe, welche der Dichter einer Nebenfigur, dem Kunz von der Rosen, zugewendet hatte.

Doch schon traf Freytag in seinem nächsten Stücke das richtige, was scenische Einrichtung und die Wirkung auf der Bühne anlangt. Damals war durch Gutzkow und Laube das Theater für eine jüngere Richtung erobert worden; Gutzkow hatte mit Vorliebe moderne Stoffe gewählt und war mit Erfolg auf theatralische Wirkung bedacht gewesen. Freytag trat in seine Fußstapfen und sein nächstes Schauspiel, „Die Valentine“, das er im Frühjahr 1846 dichtete, ging mit Erfolg über alle Bühnen und hält sich noch heute auf denselben. Der Stoff hat etwas gewagtes; die Errettung einer schönen Hofdame aus bedenklichen Verhältnissen durch die Liebe eines unternehmenden jungen Mannes, der aus Amerika, wohin er wegen politischer Verwicklungen geflüchtet, zurückgekehrt war und bei einem nächtlichen Besuch nicht scheute, sich als Dieb verhaften zu lassen, bildet die Haupthandlung. Freytag selbst war später, wo er den Jungdeutschen gegenüber den Standpunkt moralischer Tüchtigkeit hervorkehrte, nicht ganz mit diesem Stücke einverstanden.

Er ist geneigt, seinem nächsten Drama, „Graf Waldemar“, das er 1847 verfaßte, den Vorrang vor der „Valentine“ einzuräumen; er glaubte darin einen Fortschritt zu erblicken, trotz einiger Bedenken, die er selbst hervorhebt. So leicht wie er selbst setzte sich indes das Publikum und die Kritik nicht über das Gewagte der ganzen Begebenheit, die Unwahrscheinlichkeit, daß der Held Georgine nicht wiedererkennt, so nahe sie ihm gestanden; und die Unsicherheit, was die Nachhaltigkeit der Bekehrung des Helden am Schluß betrifft, hinweg. „Graf Waldemar“ ist ein Gegenstück zur „Valentine“; hier wird der Held selbst durch die Liebe zu einem schlichten braven Mädchen aus mißlichen Verwicklungen gerettet. Das ist bei der Valentine glaubhafter; denn über ein Frauenherz hat die Liebe eine bewältigende Macht, welche das ganze Leben ausfüllt: bei einem wüsten Genußmenschen wie Graf Waldemar ist ein Rückfall aus einem stillen für den Augenblick fesselnden Liebesglück in das frühere abenteuerliche Leben nicht nur möglich, sondern auch wahrscheinlich.

Freytag war inzwischen von Schlesien nach dem Königreich Sachsen übergesiedelt. Die akademische Laufbahn hatte er aufgegeben; die Freude, selbst Dichterisches zu schaffen, ward allmählich stärker in ihm als der Drang, über dem zu verweilen, was andere in alter und neuerer Zeit geschaffen haben. Die äußere Veranlassung zu seinem Rücktritt gab die Weigerung der Fakultät, ihm

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 331. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_331.jpg&oldid=- (Version vom 17.4.2024)