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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

eine beabsichtigte Vorlesung über deutsche Kulturgeschichte zu gestatten. Der Wunsch, ein tüchtiges Schauspielensemble kennenzulernen, führte ihn zunächst nach Leipzig, wo Heinrich Marr als energischer und kundiger Regisseur das Scepter führte. Hier verkehrte Freytag viel in schauspielerischen Kreisen; dann ließ er sich ganz in Dresden nieder, wo er seine erste Frau, die geschiedene Frau des Grafen Dyhrn, die Tochter eines Breslauer Beamten, heiratete.

Schon sein „Graf Waldemar“ war in die politische Bewegung hineingeraten und bald sollte die „Dame Politik“, wie es in den „Journalisten“ heißt, den Dichter ganz in ihrem Banne halten. Da traf es sich im Einklang mit der Zeitrichtung und seiner eigenen Stimmung, daß er selbst mit einem Freunde zusammen ein Jourmal erwerben konnte, in welchem sein politischer Eifer zu Worte kam und seine litterarischen Tendenzen Vertretung finden konnten. Der Freund war Julian Schmidt, das Blatt die damals von Kuranda herausgegebenen „Grenzboten“. Bei einem Besuche in Leipzig traf er einen kleinen Herrn, dem hübsche blonde Locken ein rundliches rosiges Kindergesicht einfaßten und der hinter großen Augengläsern starr und schweigsam auf seine Umgebung sah. Mit diesem Herrn, der ihm als Julian Schmidt bezeichnet wurde, Verfasser einer gelehrten „Geschichte der Romantik“, geriet Freytag bald in ein Gespräch und es zeigte sich eine solche Uebereinstimmung in den Ansichten nicht nur über Preußen und die deutsche Unordnnung, sondern auch über litterarische Richtungen der Zeit, daß er mit größter Hochachtung von ihm schied. Sie erwarben beide zu gleichen Teilen Eigentumsrecht an den bisher von Kuranda herausgegebenen „Grenzboten“, und am 1. Juli 1848 begann die selbständige Thätigkeit der neuen Redaktion. Julian Schmidt besorgte die deutschen Artikel, schrieb über Litteratur und Kunst, Freytags Bereich war Oesterreich und das Ausland. Die „grünen Blätter“ fanden zwar nie einen ausgedehnten Leserkreis, aber ihre politischen Artikel wurden beachtet und die litterarischen Kritiken von Julian Schmidt machten Aufsehen durch ihr kaltes nüchternes Urteil, durch ihren Widerspruch gegen die damals herrschende Richtung, durch ihre hartnäckige Polemik gegen einzelne hervorragende Schriftsteller wie Gutzkow und die nachdrückliche Betonung der Charakterfestigkeit und sittlichen Tüchtigkeit als entscheidender Vorzüge auch auf litterarischem Gebiete. Ein großer Teil dieser Blätter fand sich wieder zusammengeheftet in der Julian Schmidtschen Litteraturgeschichte. Bisweilen aber erschien auch Freytag auf dem Kampfplatze der litterarischen Polemik, wo er mit feiner Ironie oft seine Gegner zu entwaffnen wußte. Freytag verkehrte in der Leipziger Gesellschaft viel mit einzelnen Universitätsprofessoren, außerdem mit Mathy, dem früheren Revolutionär und späteren badischen Minister, der damals Direktor der Leipziger Kreditanstalt war; ein traulicher Abendcircel vereinigte Freytag und Julian Schmidt öfter mit Heinrich von Treitschke und Wilhelm Hamm, dem schleswig-holsteinschen Freiheitskämpfer und späteren österreichischen Ministerialrat. In der Wintersaison fiel auf Freytag der Hauptanteil der Redaktion; für den Sommer hatte er inzwischen sich ein ländliches Heim erworben. Es war ein Landhaus mit Garten in Siebleben bei Gotha. Das altfränkische Haus, gerade ausreichend für einen bescheidenen Haushalt, anfangs von einem Gothaschen Minister eingerichtet, hatte oft die Gäste von Weimar, Karl August, Goethe und Voigt, auf ihren Fahrten nach Eisenach beherbergt und war in ihrem Kreise unter dem Namen „die gute Schmiede“ wohlbekannt. Jetzt stand der kleine alte Bau, wie Freytag selbst sagt, nach manchem Wechsel der Besitzer als ein Zeugnis, wie eng, anspruchslos und doch behaglich ein früheres Geschlecht gehaust hatte. „Ich fühlte mich in dem Besitz sehr wohl und siedelte jedes Frühjahr gern dorthin über. Die heitere Ruhe förderte mir auch die litterarische Thätigkeit, dort ist bei weitem der größte Teil meiner größeren Arbeiten entstanden.“ Hier genoß er den Zuspruch werter Männer aus der Nähe und Ferne.

Unter dem Blätterdach der alten Linden von Siebleben sind nun in der ersten Hälfte des sechsten Jahrzehnts die beiden Werke gedichtet worden, welche mehr als alle seine andern Schriften seinen Ruhm in weiten Kreisen verbreitet und für die Nachwelt gesichert haben: das Lustspiel „Die Journalisten“ (1852) und der Roman „Soll und Haben“ (1855). Seitdem Freytag selbst unter die Journalisten gegangen, hatte er die verschiedensten Arten und Abarten des beweglichen Völkleins kennengelernt; auch gaben ihm seine eigenen Erlebnisse manchen Anhalt für eine glückliche Erfindung. Sowohl dies Lustspiel als auch der Roman sind so bekannt, daß ihre Inhaltsangabe überflüssig ist und ihre Vorzüge keines eingehenden Lobes bedürfen. „Die Journalisten“, denen es längere Zeit nicht gelang, die Berliner Hofbühne zu erobern, sind jetzt ein beliebtes Repertoirestück aller Bühnen, trotz der gänzlich veränderten politischen Weltlage. Wenn sie in keiner Weise veraltet sind, so lag das an der feinen Kunst und glücklichen Vorsicht der Freytagschen Darstellungsweise. Wenn er auch die Parteikämpfe selbst und ihre Taktik mit vieler Lebenswahrheit und glücklicher Satire zeichnete, wenn man auch sah, daß es sich um einen Kampf der Konservativen und Liberalen handelte, so war doch keine der Parteien über die Taufe gehalten, und für alle Parteiverschiebungen der Zukunft konnten dieselben Charaktere und Situationen gelten; dennoch entstanden dadurch keine unsichern und verblaßten Umrisse; dafür sorgten die lebensfrisch gezeichneten Persönlichkeiten. Ein Piepenbrink konnte einen ganzen Akt den lebhaftesten Beifall des großen Publikums sichern; das war ein Vertreter des fest auf sich selbst stehenden Bürgertums in lustigen Scenen, in denen das Parteigespinst beiseitegefegt wird von einem fröhlichen Humor, der keine andern Götter kennt; Schmock und Bellmaus sind Gestalten, die man in der Tagespresse immer wieder findet wird; Bolz aber ist der glännzende Vertreter des eigenartigen Freytagschen Humors mit seinen übermütigen Launen und dem rücksichtslosen Geltendmachen geistiger Ueberlegenheit. Die Handlung, im ganzen durch lockere dramatische Fäden verknüpft, steigert sich gegen den Schluß des Stückes in glücklicher Weise; gerade der letzte Act sichert demselben den großen Bühnenerfolg, den es überall und bis zur Gegenwart davongetragen.

Und unter den rauschenden Linden von Siebleben hatte Freytag noch eine andere dichterische Eingebung; die Erinnerungen an seine schlesische Heimat, an seine Erlebnisse in Kaufmannshäusern und auf Rittersitzen und auf einer polnischen Reise befruchteten seine Phantasie mit jenen mannigfachen Bildern, die er in seinem großen Roman „Soll und Haben“ (1855) um eine freie Erfindung schlang, in welcher er einen dichterischen Grundgedanken verwertete und zugleich zwei gesellschaftliche Kreise, die kaufmännische Welt und den Adel, in ihren gegenseitigen Beziehungen schilderte.

Der liebenswürdige Humor dieser Schilderungen, die Charakteristik mit ihren Gegensätzen: Anton und Fink, der Kaufmann und der Aristokrat, Leonore und Sabine, Pix und Specht, darunter der Lieblingstypus Freytags, der etwas burschikose, flotte, ironisch überlegene Fink, der Geistesverwandte von Bolz in den „Journalisten“, trugen zu dem seltenen Erfolge des Werkes bei; der leitende Grundgedanke, wie er Freytag vorschwebte, war, der Mensch solle sich hüten, daß Gedanken und Wünsche, welche durch die Phantasie in ihm aufgeregt werden, nicht allzugroße Herrschaft über sein Leben erlangen: Anton und Itzig, der Freiherr und Ehrenthal und in geringerem Maße auch die anderen Gestalten haben mit solcher Befangenheit zu kämpfen; sie unterliegen oder werden Sieger. Einen andern Kreis des bürgerlichen Lebens schilderte Freytag in dem nächsten Roman, „Die verlorne Handschrift“ (1864), den Kreis der Universitätsprofessoren; Beziehungen von Gelehrten zu den kleinen Höfen schürzen die Konflikte, die fast eine tragische Wendung nehmen. Die Genremalerei bewegt sich hier nicht mit vollem Behagen; es sind ihr einige zu grelle Lichter aufgesetzt. Die Absicht des Dichters war, „zu zeigen, wie in die unsträfliche Seele eines deutschen Gelehrten durch den Wunsch, Wertvolles für die Wissenschaft zu entdecken, gaukelnde Schatten geworfen werden, welche ihm, ähnlich wie Mondlicht die Formen der Landschaft verzieht, die Ordnung seines Lebens stören und zuletzt durch schmerzliche Erfahrungen überwunden werden.“

Inzwischen hatte Freytag auch ein politisches Abenteuer zu bestehen gehabt, durch welches er in das schwarze Buch der Berliner Polizei kam. Er gab 1854 mit einigen Gesinnungsgenossen eine autographierte Korrespondenz heraus; die Eingänge wurden zunächst an ihn adressiert. Sie enthielten einmal eine Notiz, der preußische Mobilmachungsplan sei an Rußland verraten worden. Diese Mitteilung erregte in Berlin den höchsten Unwillen; gegen Freytag war sogar ein geheimer Haftbefehl erlassen worden; die höchsten Berliner Polizeibeamten kamen nach Leipzig, um nach dem Verbreiter dieser Nachricht zu forschen. Freytag, der sich in Siebleben aufhielt, konnte auf Grund der bestehenden Auslieferungsverträge dort

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 332. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_332.jpg&oldid=- (Version vom 17.4.2024)