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verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

 Stoßt an!

 (Zu unserer Kunstbeilage.)

Wir ritten scharf und schwangen frisch
Den Stahl, des Reiches Rächer;
Nun reit’ ich auf dem Wirtshaustisch
Und schwing’ den blanken Becher.
Das Gold, das uns der Stahl gewinnt,
Im goldnen Wein das Gold zerrinnt:
     Stoßt an! Der Wein soll leben!

Frau Sonne, dir ein Glas zur Ehr’!
Wie lachst du heut’ so heiter!
Oft hast auf Welschlands Flur du schwer
Geplagt die durst’gen Streiter.
Doch hat daheim uns deine Glut
Gereift das edle Rebenblut:
     Stoßt an! Ein Hoch der Sonne!

Was schaut ihr schämig nur von fern
Und kichert hinterm Zaune?
Und habt den Landsknecht doch so gern,
Ihr Mägdlein, blond und braune!
Ein roter Mund, ein firner Wein
Darf nimmer ungekostet sein:
     Stoßt an! Mein Schatz soll leben!

Der Tag verrinnt, der Wein verbraust,
Das letzte Hoch laßt steigen,
Dann nehmt den blanken Stahl zur Faust,
Und fort zum wilden Reigen!
Und trifft uns selbst der Todesstreich,
So sei’s für Kaiser und für Reich!
     Stoßt an! Ein Hoch dem Reiche!

 Ernst Lenbach.



Schwester Brigitte.

Novelle von Otto von Leitgeb.

      (Schluß.)


7.

Auf Schwester Brigittes Seele lagen die Lichter und die Schatten der Vergangenheit. Sie schlossen ihren Gedankenkreis ein. Aus den rückwärts liegenden Jahren griff das alte Leid nach ihr und zog sie wieder zu sich. Und das Leid ist stärker als der Wille. Es war ihr ältester und auch ihr treuester Bekannter. Sie konnte es nicht von sich weisen wie einen Fremdling.

Scheu, wie vorüberhuschend an sündiger Pforte, die sie ewig trennen sollte vom Vergangenen, doch drängend und ruhelos wiesen ihre Gedanken dahin.

Und seit sie dem fernen Lebenspfade in Gedanken wieder gefolgt, stand sie gefaßter an dem Bette des fremden, schwerverwundeten Offiziers und nahm das grausame Spiel des Zufalls in sich auf, daß er die Züge des Toten trug bis zur unglaublichsten Aehnlichkeit.

Die Empfindung erfüllte sie, daß ihr jener nahe sei, und in der Nacht, die den Blick nach innen kehrt, im Halbschlummer, im Traum bemächtigte sie sich ihrer mit übernatürlicher, unwiderstehlicher Kraft. Selbst mitten im Gebet zuckte die Täuschung auf, so daß ihre Sammlung von den Worten der Andacht absprang und eine starre Betroffenheit einen Augenblick Herr ward über sie.

Vom Kissen ihres Bettes war die Ruhe verscheucht, wie sehr ihr müder Körper auch danach verlangte. Während sie schlummerlos dalag, wanderten ihre Blicke auf der Wand gegenüber hin und her und verfolgten das langsame Vorrücken des Mondlichtstreifens, der durch die Spalten der Fensterläden schien und langsam über die bleichen Glieder des Gekreuzigten glitt, der groß, in Holz geschnitten, dort hing.

Dann wurde sie ängstlich, unruhig erhob sie sich und stieß die Läden auf. Einsam lag der Garten da in der stillen Sommernacht. Nichts regte sich unter den Büschen und in den Zweigen; die Blätter flimmerten im bleichen Licht. Schwester Brigitte stand unbeweglich an der Fensterbrüstung und sah hinaus. Die Nachtluft legte sich frostig an ihren Körper.

Und dann schritt sie in dem kleinen Zimmer auf und ab, die Arme auf der Brust, die Stirn gesenkt. Kaum, daß ihr bloßer Fuß auf dem dünnen Leinenteppich ein Geräusch verursachte.

Im Spiegel an der Wand tauchte ihr weißes Bild auf, jedesmal, da sie vorüberging. Sie blieb davor stehen und sah sich an, mit Neugierde, fast forschend und doch ohne Befremdung vor dem Ungewöhnlichen, das nicht mehr zu ihr paßte und zu dem Gewand, das sie trug. Ihre dunklen Augen blickten sie glänzend aus dem Glase an, und ihre Wangen waren bleich wie Marmor.

Sie strich sich das kurze Haar aus den Schläfen und halblaut fiel ein Wort von ihren Lippen – „Bin ich’s? – die Käthe –?“ … … … Das Fenster blieb offen stehen. Die kalte Morgenluft erfüllte das Zimmer. Vom Mondlicht übergossen lag Schwester Brigitte auf den Knieen. Sie suchte Ruhe im Gebet.

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Der Schlummer, der ihr Lager floh, forderte sein Recht in dem großen Lehnstuhl am Fenster des Krankenzimmers. Die Lampe brannte müde dem Morgen entgegen, der durch die Ritzen der geschlossenen Fenster drang. Der Kranke schlief, und eine große Müdigkeit drückte Schwester Brigittes Lider zu. So, zwischen Wachen und Schlaf, lehnte sie da, und Traumbilder spannen ihre Gedanken fort und wirrten Leben und Tod ineinander.

Der Kranke war er, der Tote. Er war nicht tot, er war nur krank. Dort liegt er schlummernd. Ab und zu im Schlafe nennt er halblaut ihren Namen. Er ruft. Er fordert ihren Gruß, den letzten. Nur einmal noch! – Sie soll zu ihm treten – seine Stirne berühren mit ihren Lippen. – Eine unsichtbare Macht treibt sie auf. Ihre Augen brennen und irrend sucht ihr müder Blick die altvertrauten Züge zu erkennen.

Zitternd beugte sich die Schwester über den Schlafenden, den Fremden.

Nun erst erwachend, strich sie das quälende Traumbild von ihrer Stirne; eine tiefe Erschütterung pochte in schweren Schlägen an ihr Herz. So stand sie an seinem Bette, die Hände hilflos ineinander ringend, in ohnmächtigem Schmerze.

Sie verdoppelte ihren Eifer in der Pflege. Sie sah ihm jeden Wunsch, jede Frage an den unruhigen Augen ab, und jeder dankbare Blick erfüllte sie mit einer seligen Genugthuung. In den ersten Tagen hatte er öfter gesprochen, irgend eine Frage, irgend ein Wort, oft nur so zum Zeitvertreib, in der traurigen Langenweile des Krankenbettes. Nun sprach er fast gar nicht mehr. Und dies Verstummen machte sie betroffen, trotz der Hoffnung, die sich in ihr rührte und von der sie sich täuschen ließ, die ihr wie ein Licht aus der Dunkelheit entgegenschien und ihr über die eigene Abspannung hinweg half.

Warum soll er nicht genesen, dem Leben erhalten bleiben – warum sollen wir immer die Besiegten sein im Kampfe mit dem grausamen Feind, der alles in die Nacht des Todes beugt? – Und sie flehte um sein Leben in inbrünstigen Gebeten.

Aber mit dem kranken Manne wurde es schlechter. Seine Kraft schwand und die Gedanken, die unheimlich regsam sein Hirn durchzogen, gehörten nicht mehr ihm. Eine unbekannte Macht weckte und führte sie, zog sie in fremdes, flimmerndes Traumbereich und verwischte die Gegenstände um ihn her und die Laute, die sein Ohr trafen.

Der Regimentsarzt, der bisher zu dem Verwundeten gekommen, mußte abrücken und die Pflege einem jüngeren Kollegen übergeben. Den Abschied des alten Arztes nahm der junge Offizier mit apathischem Händedruck auf; dann folgte sein fiebernder Blick den zwei Männern und Schwester Brigitte, die jene mit einem Zeichen des Kopfes mit hinauswinkten.

„Es sieht schlecht aus,“ sagte der Arzt. „Wie die Sache äußerlich steht, haben Sie nun gesehen, Herr Kollege. Der Verlauf bisher

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verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1895, Seite 352. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_352.jpg&oldid=- (Version vom 18.7.2023)