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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

belehren, mit ihm spazieren gehen, anstatt Reifen zu schlagen und in derartigen Backfischvergnügungen aufzugehen.“

„Onkel,“ bittet Ditscha, „ich würde so gern alle diese kleinen Pflichten bei Achim übernehmen – soll ich Cilly fragen, ob ich an Stelle Mademoiselles –?“

„Bekümmere Dich doch in Gottes Namen um Deine eignen Angelegenheiten!“ schreit Tante Anna ärgerlich. „Denkst Du vielleicht, das Kind soll von den Launen seiner älteren Schwester abhängen? Nette Erziehung könnte das werden!“

„Ich habe doch so furchtbar viel Zeit,“ stammelt Ditscha, „und ich wäre so glücklich –“

„Laß gut sein, Kind,“ unterbricht Onkel Joachim sie sarkastisch, „Du sollst nicht Deines Bruders Hüter sein; er hat noch eine Mutter. Für Deine ‚furchtbar viele Zeit‘ wird sich schon noch Verwendung finden.“

„Bis jetzt ist Achim noch nichts abgegangen,“ erklärt Tante Anna, während ihre Stricknadeln ein wütendes Geklapper anheben, „Du hast eine Affenliebe zu dem Jungen, lieber Jochen.“

„Ja, ich habe ihn lieb,“ bestätigt der alte Herr halblaut, „sehr lieb, den Letzten unseres Hauses, und natürlich möcht’ ich ihn zu einem ganz besonders prächtigen Menschen heranwachsen sehen. Und wenn ich etwas von Gott erflehe, so ist es, daß ich noch seine Kinder erlebe. Bin uralt dann, ich weiß – ich weiß – aber ich hab’s ausgerechnet, unmöglich ist’s nicht.“

Er zieht das Taschentuch, schnaubt sich heftig und steht auf, um in sein Zimmer zu gehen. Auf einmal kommt er zurück. „Was ich sagen wollte – der alten Dame auf Dombeck muß ein Gegenbesuch gemacht werden; ich denke, Ihr fahrt nachmittags hinüber?“

Cilly, die eben eingetreten ist, um dem „Brummbär“ den üblichen „Guten Morgen!“ zu wünschen, und allerliebst in einem weißen Negligé aussieht, ruft: „Aber mir hat sie doch keinen Besuch gemacht!“

„Mir auch nicht!“ erklärt Tante Anna mit aufeinander gepreßten Lippen.

Er sieht ganz ratlos zu Ditscha hinüber, die, glühend rot, den Kopf gesenkt hat. „Und ich mache ein für allemal keine Besuche,“ erklärt er verdrießlich, „und wenn Du, Schwester, Dich nicht dazu verstehen willst, Ditscha zu begleiten –“

„Ich finde das gänzlich überflüssig, Joachim. Ditscha kann sehr gut allein fahren; sie ist ja – schon öfter allein – – ich meine, sie ist doch nicht so unerfahren!“

„Ditscha.“ sagt Joachim von Kronen ruhig, „Deine Tante Anna hat recht, Du kannst allein fahren, bist keine von den gewöhnlichen Schneegänsen, die einen Hüterjungen brauchen. Also – zu nachmittag um vier Uhr bestell’ Dir die Schimmel und vertritt mich bei Frau Rothe.“

Ditscha zögert einen Augenblick. Ein bitteres Lächeln zieht sich um ihren Mund, die Spitze in der Anspielung ihrer Tante hat sie getroffen. So macht Tante Anna es immer; sie erfaßt jede Gelegenheit, um sie zu demütigen, zu kränken, sie zu erinnern an – ach Gott – – „Ja, Onkel,“ sagt sie endlich, erhebt sich, ergreift den Schlüsselkorb und fügt hinzu, sie werde, da sie doch einmal in das Erdgeschoß gehe, Franz selbst das Anspannen bestellen.

Als sie die Thür hinter sich zumacht, sagt Joachim: „Freundlich ist’s nicht von Dir, Anna! Cilly begleitest Du in alle Gesellschaften der Umgegend, und Cilly ist doch eine Frau.“

„Seit wann bist Du denn so schrecklich besorgt um Ditscha?“ fragt die Schwester zurück. „Ich dächte doch, Du weißt, daß sie mehr als selbständig ist.“

„Schwagerchen,“ ruft Cilly, tänzelt zu ihm hinüber und legt ihm die Rechte auf die Schulter, während sie mit der linken an seinem Bart zupft, „Schwagerchen, Du willst mir doch nicht etwa einen Schwiegersohn verschaffen? Du protegierst ja die Rothes fürchterlich!“

„Schwätz’ doch nicht solch heillosen Unsinn!“ ruft Tante Anna ärgerlich.

„Unsinn? Wieso denn?“ fragt Cilly und dreht sich auf dem Absatz herum. „Herrje, den nähme manche gern, wenn er auch nur Rothe heißt. Du bist wirklich schrecklich mittelalterlich angehaucht, Anna – hast Du denn nie gehört, daß der sogenannte Seelenadel nach den neuesten Forschungen über dem Geburtsadel steht? Das lernten wir doch schon allen Ernstes in der Pension. Nein, nein, Scherz beiseite,“ versichert sie mit drolligem Ernst, „der frische herbe Wind der neuen Zeit vertreibt die Wolken aus unserem adligen Olymp, und die Götter, denen ein Wappen auf die Flügel gestempelt ist wie den Beetzener Mastgänsen, wenn sie zu Markt geschickt werden, die nehmen auch Ungestempelte zur Ehe und umgekehrt. Gott im Himmel, es ist ja auch ein Glück! Das entre nous wird doch allmählich öde, und das kann ich Dir aus eigenster Erfahrung sagen, Jochen, den schönsten, elegantesten Mann, den ich jemals kennengelernt habe und in den ich mich Hals über Kopf sterblich verliebte, das war ein österreichischer Unterlieutenant, der Pepi Pamperl hieß, und dessen Vater war Greisler in einer ‚Weaner‘ Vorstadt.“

„Na, da werd’ ich einen etwaigen Freier von Ditscha gleich zu Dir schicken, wenn Du so tolerant bist,“ sagt der alte Herr gutmütig und macht ernstlich Miene, sich zurückzuziehen.

Als er in seinem Zimmer kaum angekommen ist, klopft es, und Tante Anna tritt herein. Sie hat einen ganz roten Kopf und ihre Stimme zittert, als sie sagt: „Es ist hoffentlich Dein Ernst nicht, Ditscha nach Dombeck fahren zu lassen!“

„Mein völliger Ernst!“

„Aber das ist ja – das kann ja der Mensch –“

„Welcher Mensch?“

„Der Rothe – als Avance auffassen, und nachher haben wir die Bescherung.“

„Wieso?“

„Na, Ditscha wird sich doch nicht verheiraten wollen? Ich meine –“

„Warum sollte sie nicht? Wenn sie sonst Lust hat?“ – Er legt die Zeitung weg und sieht die Schwester fast drohend an. „Liegt irgend etwas vor, das gegen ihre Verheiratung spricht? Wenn Du etwa auf die dumme Geschichte mit dem Perthien anspielst, so sage ich Dir, jene Kinderei hat das arme Ding hinlänglich gebüßt.“

„Sie wird in meinen Augen nicht moralischer, weil ihr das Durchbrennen mißglückte.“

Er schlägt plötzlich mit der Faust auf den Schreibtisch, daß die Tinte überfließt und alles Gerät klirrt. „Und das ist Dein Standpunkt, den Du immer so sehr als ‚christlichen‘ betonst?“ schreit er. „Würde so unser Herr gesprochen haben, Er, der selbst einer Ehebrecherin vergab? Hol’ der Teufel Deine altjüngferliche Moral, Schwester, ich finde sie sündhaft!“

Sie blinzelt nur ein wenig und ist ein paar Schritte zurückgetreten, aber sie sagt doch: „Wer würde Sophie wollen, wenn er ihre Geschichte erfährt? Und wenn Ihr sie verschweigt, so betrügt Ihr!“ Sie ist beim Schluß dieses Satzes an der Thür angelangt und öffnet dieselbe. Mit stolz erhobenem Kopf und dem Gefühl, sie habe das letzte Wort gehabt, geht sie hinaus.

Der alte Mann sitzt da, noch immer die geballte Faust auf dem Tische. „O Du arme Deern,“ murmelt er, „wie wirst Du noch büßen müssen für Dein bissel Jugendthorheit! Und – und – weiß Gott, kein Mann kann ein besser Weib finden als sie, und suchte er die ganze Welt ab.“

Indessen hat Ditscha in Küche und Speisekammer ihre Scheinpflichten gethan, das heißt, sie hat mit der Köchin über die heutigen Gerichte gesprochen, hat Hanne, die seit dem Tode der Baronin die Wirtschaft so vorzüglich führt, daß ein Oberbefehl ganz und gar überflüssig erscheint und Ditscha von der alten treuen Seele nur so meuchlings aufgedrängt worden ist, damit sie doch ‚etwas vorhat‘, in die Speisekammer geführt, wo die Einmachebüchsen in langer Reihe stehen, und hat ihr dann so beiläufig erzählt: „Ich fahre heut’ nachmittag nach Dombeck, Hanne, und dann in die Stadt; giebt’s etwas zu besorgen?“

„Se führn nach Dombeck!“ ruft die alte Frau. „Na, dat’s recht! De Annern karriolen den ganzen Dag im Land herum – dat Se nu’ ok ’mal ut kommen. – – Und, ja wenn Se wülln, gnä’ Fröln Ditscha, meine Ballerjahnsdroppen sün all, wenn Se vielleicht bei de Apteik vörbigahn –“

„Ja, liebe Hanne, gern –“

„Un bi’n Kopmann noch so’n halben Centner Zucker as ut de Bremhörder Fabrik, und bi de Putzmakersch hev ich ’ne Sündagshuw.“

Ditscha nickt. „Soll alles besorgt werden, Hanne.“ Und dann geht sie nach oben.

Nach einem Weilchen fällt Hanne noch etwas ein, was sie haben möchte aus der Stadt; sie klopft an Ditschas Zimmer und tritt ein, bleibt aber dann ganz erstaunt an der Thüre stehen, denn so etwas hat sie in diesem Raume noch nicht erblickt. Ditscha hat den Kleiderschrank fast ganz ausgeräumt; ihre Hüte, es sind deren

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 359. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_359.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)